Enzyme bringen Industrieprozesse auf Trab
Enzyme sind Eiweiße, die Stoffwechselreaktionen hocheffizient katalysieren. Die Selektion, der die Biokatalysatoren in der Natur unterliegen, hat dafür gesorgt, daß bei biochemischen Reaktionen kaum Abfälle entstehen. Was die Natur seit langem vormacht, übertragen Forscher nun auf industrielle Prozesse.
Durch gentechnische Veränderungen im Stoffwechsel von Mikroorganismen erreichen Stämme heute das 3000- bis 4000fache der Produktivität von ursprünglich in der Natur vorkommenden Bakterien oder Pilzen. Auf diese Weise können Mikroorganismen sogar Reaktionen katalysieren, die in der Natur normalerweise nicht vorkommen. Über die gezielte Veränderung der Enzymstruktur, die als räumliche Anordnung der Aminosäureketten festgelegt ist, können wichtige Bindungseigenschaften und Aktivität beeinflußt werden. Allerdings gibt es dabei einen Engpaß: „Von zahlreichen Enzymen kennen wir die dreidimensionale Faltstruktur noch nicht“, stellt Prof. Hermann Sahm fest, Biotechnologe und Direktor am Forschungszentrum Jülich. Mit Hilfe spektroskopischer Verfahren versuchen Forscher, die räumliche Struktur von Proteinkristallen zu durchleuchten. „Ein zeitraubendes und mühsames Geschäft, ohne das sich jedoch der räumliche Molekülbauplan nicht rekonstruieren läßt“, erklärte der Forscher auf einer Tagung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt kürzlich in Osnabrück.
Daß auch in natürlichen Enzymen noch ungenutztes Potential für die Prozeßoptimierung steckt, zeigt die Entwicklung eines neuartigen On-line-Meßssystems der Amino GmbH im niedersächsischen Frellstedt. Pro Jahr wandelt das Unternehmen 60 000 t Melasse, die bei der Zuckerverarbeitung anfällt, mit Hilfe von Ionenausschluß- und Ionenaustauschverfahren in industrielle Wertstoffe wie Flüssigzucker, Betaine und verschiedene Aminosäuren um. Die Prozeßschnitte, die zwischen den abgetrennten Komponenten liegen, zeigte bisher ein physikalisches Meßverfahren an. Das aber war nicht zuverlässig genug, es erkannte den Wechsel von einer Komponente auf die folgende nicht immer schnell genug. „Da die Abgabe einer Fraktion nur wenige Minuten dauert, kam es manchmal vor, daß wir eine Extraktionsphase verpaßten“, schildert Robert Faurie von der Amino GmbH die Tücken der Technik.
Der Ausfall erforderte einen erneuten Extraktionsdurchgang, was das Unternehmen zusätzliche Energie und Zeit kostete. Das verhindert nun der Einsatz eines On-line-Biosensors. Als Detektor fungieren zwei Enzyme, eine Dehydratase und eine Dehydrogenase, die das Abtrennen der verschiedenen Fraktionen fast ohne jede zeitliche Verzögerung erkennen und anzeigen.
Nach Fauries Angaben hat sich der Einsatz der Biokatalysatoren in einer 15%gen Steigerung der Produktausbeute niedergeschlagen. Zugleich wurde die mit Salzen belastete Abwasserfracht um insgesamt 35 % gesenkt. Für Umwelt und Unternehmen bedeutet das eine erhebliche Entlastung: Pro Jahr müssen nun 80 t Ammoniak, 110 t Salzsäure und 3500 m3 Abwasser weniger entsorgt werden.
Zum Erfolg kann aber auch eine andere Methode führen. Garbed Antranikian, Professor für technische Mikrobiologie an der TU Hamburg-Harburg, spürt gezielt die Spezialisten unter den Mikroorganismen an den unwirtlichsten Orten der Erde auf. Der Stoffwechsel der extremophilen Mikro-organismen ist von Natur aus so eingestellt, daß ihre Enzyme unter extremen Bedingungen, z.B. hohen Drücken oder Temperaturen, arbeiten, wie sie auch für Industrieprozesse typisch sind. Im siedendheißen Wasser von Geysiren, in vulkanischen Schlammtöpfen, die ätzende Schwefeldämpfe ausatmen, und im Polarfrost wurde Antranikian schon mehrfach fündig.
Die extremophilen Mikroorganismen, die der Forscher von seinen Exkursionen mitbrachte, haben bereits den Weg vom Labor in die Industrie gefunden. Pyrococcus, ein kugelförmiges Bakterium, das Antranikian aus 120 0C heißen Schwefelquellen auf den Azoren fischte, versieht inzwischen seine Dienste beim dänischen Enzymhersteller Novo Nordisk mit Sitz in Bagsvaerd unweit von Kopenhagen. Hier liefert es ein hitzestabiles Enzym, das Stärke bei hohen Prozeßtemperaturen zu Dextrose umsetzt. Das Unternehmen will dadurch Energiekosten einsparen, denn das Herunterkühlen der Anlagen bei diesem Prozeßschritt ist nun nicht mehr nötig. Mit den Dänen arbeitet Antranikian an der gentechnischen Optimierung der Mikroben, so daß die Zellen sich in einem industriellen Prozeß besser handhaben lassen.
Ein Patent hat der Hamburger auch für einen weiteren „heißen“ Fund in der Tasche, den er in einem Fangobecken Italiens machte. Hier stieß er auf Fervidobakterien mit stärkeabbauenden Enzymen, die langkettige Zuckermoleküle bei Temperaturen um 70 0C spalten. „Eine Eigenschaft, die sich für die Nahrungsmittelherstellung oder die Produktion von Biopolymeren nutzen läßt“, erläutert Antranikian.
Auf eine andere nützliche Bakterienart mit Namen Thermoalcalibacter bogoriae stieß der Hamburger Wissenschaftler bei einer Expedition zu den Seen Kenias. Die unter anaeroben Bedingungen existierende Mikrobenart will Antranikian nun für die Cyclodextrinherstellung in der Nahrungsmittelindustrie einsetzen. Normalerweise wird hier bei der Produktion mit traditionellen Enzymen Stärke in unterschiedliche Cyclodextrin-Varianten umgesetzt, die einen verschiedenen räumlichen Aufbau haben. Das Gemisch muß dann in einem weiteren Arbeitsschritt getrennt werden, um die gewünschte Variante auszulesen. Der kenianische Mikroorganismus besitzt jedoch ein Enzym, das auf Anhieb die „richtige“ räumliche Cyclodextrinform liefert.
Auffällig ist freilich, daß vor allem die Nahrungsmittelbranche von den Neuentwicklungen durch extremophile Enzyme profitiert. Bei anderen Zweigen, wie der papier- und metallverarbeitenden Industrie, sind Anwendungen dagegen noch rar, obwohl gerade hier die umweltschonenden Eigenschaften von Hochleistungsenzymen gefragt sind. Antranikian erklärt das so: „Die Industrie erwartet von uns zu viel Vorleistung. Das können wir mit unseren beschränkten finanziellen Mitteln oft nicht bieten.“
SILVIA VON DER WEIDEN
Gentechnisch veränderte Bakterien produzieren zellfremde Stoffe in großen Mengen.
Ein On-line-Biosensor detektiert bei der Umwandlung von Melasse im rund 10 m hohen Ionentauscher die einzelnen Fraktionen fast ohne jede zeitliche Verzögerung. Das spart Zeit und Energie.
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