Entwicklung wird für Automobilzulieferer zur Kernkompetenz
VDI nachrichten, Düsseldorf, 20. 2. 04 -In der Modellschlacht der Automobilhersteller übernehmen vermehrt Zulieferer die wachsende Entwicklungsarbeit. Doch mit dem reibungslosen Management der komplexen Engineering-Projekte haben noch viele ihre Probleme.
Schlechte Zeiten für die Entwicklungsdienstleister im Automobilgeschäft: Trotz anhaltender Modelloffensive der Automobilindustrie und einer Flut an immer neuen Derivaten kommen die Entwicklungshelfer der Automobilhersteller neuerdings vermehrt aus deren Zuliefererkreisen.
Fast alle Ingenieurgesellschaften im klassischen Bereich „machen Verluste“, beobachtet Jan Dannenberg von der Unternehmensberatung Mercer Management Consulting, München. Nach den Boom-Jahren 1995 bis 2001 mit Umsatzsprüngen von zeitweise 17 % und guten Renditen hat sich der Markt für die Ingenieurgesellschaften deutlich gabgekühlt.
Stattdessen vergeben die Automobilhersteller ihre Aufträge für die Serienentwicklung der wachsenden Lieferumfänge immer mehr direkt an die Systemlieferanten. Dass die Unternehmen die damit verbundenen Entwicklungsvolumen in gleichem Umfang an die Engineering-Dienstleister weiterreichen, glaubt kaum jemand in der Branche. Im Gegenteil: Alle großen Zulieferer stocken derzeit ihre eigenen Entwicklungskapazitäten kontinuierlich auf. Damit reagieren die Zulieferer auf den weiterhin massiven Abbau von Eigenleistungen der Automobilhersteller, die sich in ihrer Wertschöpfungsstrategie vermehrt auf das Management ihrer Marken und unterschiedliche Kernkompetenzen konzentrieren.
Bis zum Jahr 2015, so prognostiziert die gemeinsame Studie „FAST“ (Future Automotive Industry Structure) der Münchener Unternehmensberatung Mercer Management und der Fraunhofer Gesellschaft in Stuttgart, werde die Zulieferindustrie im Automobilgeschäft ihren Wertschöpfungsanteil um 68 % ausbauen und dabei um rund 280 Mrd. € auf gewaltige 700 Mrd. € wachsen.
Den Automobilherstellern (OEM) bringt die Verschiebung in der Entwicklungsprozesskette handfeste Vorteile: Neben weniger organisatorischem Aufwand in der Koordination der vielen Projekte sind es vor allem attraktive neue Verrechnungsmodelle. Etwa die Umlage der Entwicklungskosten auf den späteren Stückpreis durch „pay on production“. Verlockend für die Hersteller, doch für die Zulieferer nicht immer lohnend, weiß Marcus Barret, Spezialist für die Automobilzulieferindustrie bei der internationalen Strategieberatung Roland Berger, Stuttgart: Wegen der Aussichten auf das spätere Teilegeschäft über mehrere Jahre „fordern die OEM vermehrt Entwicklungsleistungen von den Zulieferern durchaus umsonst.“
Doch mit dem wachsenden Entwicklungsgeschäft und der zunehmenden Verantwortung kommen auch die Probleme. „Von Seiten der OEM werden die Zulieferer mit Aufgaben konfrontiert“, beobachtet Barret, „wofür ihnen die oft nötige Erfahrung noch fehlt“. Viele dieser Unternehmen „sind nicht in der Lage, wegen mangelnder Kompetenz in der Prozessgestaltung das Projektmanagement vom ersten Designentwurf bis zum fertigen Produkt einigermaßen hinzubekommen.“ Massive Anlaufprobleme, wie in den vergangenen Jahren, sind die Folge. Nicht selten hapert es an der Fähigkeit für das gesamte Launch- und Prozess-Management. Hier macht Barret Defizite bei den Systemlieferanten aus – und sieht zugleich eine Kooperationschance für Engineering-Dienstleister. „Wer als Zulieferer das prozessorientierte Projektmanagement nicht beherrscht, verliert bei den dünnen Deckungsbeiträgen unweigerlich viel Geld“, verdeutlicht Barret das hohe Risiko.
Stefan Liske, Branchenexperte bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little in Wiesbaden, rät daher insbesondere großen Ingenieur-Dienstleistern, sich zum Engineering-Network-Manager für das Gesamtfahrzeug zu entwickeln. Hierbei gelte es, „komplexe Lieferketten optimal und ergebnisorientiert zu steuern und zu managen“, macht Berger-Manager Barret wachsende Nachfrage für eine diffizile Aufgabe aus. Doch erfahrene Anbieter, die „das nötige Gesamtfahrzeugverständnis haben und nicht bloß aus der Modulsicht kommen“, sind rar.
Dass der bloße Verkauf von Konstruktionskapazitäten längst „kein Zukunftsmodell“ mehr ist, weiß auch Rainer Kurek, Geschäftsführer beim Münchener Managementdienstleister MVI Group. Bereits vor Jahren zeichnete sich ab, „dass es in der klassischen Entwicklungsdienstleistung zunehmend schwieriger werden würde, nachhaltig erfolgreich zu sein“, sagt er. Deshalb richtet Kurek die MVI Group auf „prozessorientiertes Projektmanagement“ in der Automotive-Industrie aus.
„Wir sehen uns als Dienstleister neuer Prägung“, erklärt Kurek das geänderte Profil – eine Verknüpfung aus fachlichem Engineering-Know-how mit den methodischen Fähigkeiten der klassischen Firmenberatung. Unter anderem komme es darauf an, Methoden, Werkzeuge und Instrumente spezifisch so zu entwickeln und zu konfigurieren, „dass Projekte effektiver und effizienter umgesetzt werden können“. Dabei gelte es, Prozessabläufe kundenspezifisch zu optimieren. Ein Projekt bei VW beispielsweise laufe anders ab als bei DaimlerChrysler, verdeutlicht Kurek.
Auf eine neue Rolle in der Lieferpyramide stellen sich mittlerweile auch andere in der Branche ein. Matthias Topp, Vorsitzender bei Edag in Fulda und einer der größten klassischen Entwicklungsdienstleister am Markt, sieht Chancen vor allem darin, den Kunden neben Entwicklungsleistungen auch Optimierungspotenziale zu erschließen. Wer die Wertschöpfungskette am besten vernetzt, ist beim Mitbewerber Bertrandt im württembergischen Ehningen auch Vorstands-Chef Dietmar Bichler überzeugt, „erzielt deutliche Vorteile.“BERNHARD ROSE/KIP
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