„Eine Werkzeugmaschine ist kein Schokoriegel“
VDI nachrichten, Düsseldorf, 6. 6. 08, ciu – Die Ausgaben für Werbung im Geschäftskundenbereich steigen derzeit wieder, erklären die Marketing-Professoren Markus Voeth und Uta Herbst von der Universität Hohenheim gegenüber den VDI nachrichten. Allerdings würden im Industriegütermarketing, wie ihre Untersuchungen zeigen, weiterhin Konzepte aus dem Konsumgüterbereich angewandt.
Voeth: Sie ist elementar! Denn das „klassische Marketing“ müsste sich korrekterweise „Konsumgütermarketing“ nennen. Wenn Sie etwa in die führenden deutschsprachigen Marketing-Lehrbücher hineinschauen, dann steht zwar stets sehr allgemein „Marketing“ auf dem Umschlag, beim Lesen stellt man dann aber sehr schnell fest, dass nur Konsumgütermarketing drin ist. Eine Werkzeugmaschine ist aber kein Schokoriegel und muss daher entsprechend anders beworben werden.
Der Grund für diesen regelrechten Etikettenschwindel ist in der Historie unserer Disziplin zu sehen: Marketing etablierte sich zunächst auf Konsumgütermärkten, weil dort zuerst der Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten auftrat. Investitionsgüter- oder – wie wir sagen – Industriegüterhersteller mussten sich hingegen erst sehr viel später hierauf einstellen. Und daher entwickelte sich das Industriegütermarketing auch erst mit zehn bis 20 Jahren Verzögerung.
Herbst: Die starke Konsumgüterprägung des Marketings ist aber für dessen Akzeptanz in Industriegüterunternehmen definitiv nicht förderlich. Oft berichten mir Marketingverantwortliche aus B-to-B-Unternehmen, dass ihre Aktivitäten im Unternehmen nicht sehr geschätzt werden. Stattdessen bekommen sie häufig zu hören: Marketing sei doch Werbung und Werbung bringe bekanntlich nur etwas bei Tütensuppen und Schokoriegeln, nicht aber bei Betonpumpen oder Kraftwerken.
VDI nachrichten: Ende der 1990er-Jahre gab es schon einmal Ansätze, das Marketing im Geschäftskundenbereich – Business-to-Business (B-to-B) – zu etablieren. Wenige Jahre später wurden die Investitionen wieder zusammengestutzt. Weshalb?
Herbst: Die wirtschaftlich schwierigen Jahre bis 2005 haben die Marketingbudgets in praktisch allen Unternehmen unter Druck gesetzt. Dass diese Kürzungen vor allem auch in B-to-B-Unternehmen vorgenommen wurden, liegt unter anderem daran, dass das Marketing zu diesem Zeitpunkt in B-to-B-Unternehmen noch nicht ausreichend etabliert war, um der aufkommenden „Sparwut“ Wirksames entgegensetzen zu können.
Voeth: Einen weiteren Grund muss sich das Marketing der B-to-B-Unternehmen aber auch selbst zuschreiben: All zu sehr hat man dort auf Erfahrungen aus Business-to-Customer-Märkten zurückgegriffen und so getan, als könne man Leistungen an Unternehmen genauso vermarkten wie an Endkonsumenten. Der Hintergrund: Anfänglich stammten die meisten Marketingverantwortlichen in den B-to-B-Unternehmen aus B-to-C-Unternehmen. Dies gilt übrigens auch für alle klassischen „Marketingzulieferer“ wie Werbeagenturen, Marktforschungsinstitute etc.
VDI nachrichten: Wie beurteilen Sie aktuell die Bereitschaft in B-to-B-Marketing zu investieren?
Voeth: Die Bereitschaft ist unserer Erfahrung nach zurzeit wieder relativ hoch. Das lässt sich etwa daran feststellen, dass Marketingbudgets, die noch wenige Jahre zuvor radikal gekürzt wurden, nun wieder aufgestockt werden, und Marketingabteilungen, die jahrelang nicht weiter ausgebaut oder eher reduziert wurden, in B-to-B-Unternehmen nun erweitert werden und nicht weiter Karriere-Endstationen sind. Marketing hat in B-to-B-Unternehmen wieder Konjunktur.
VDI nachrichten: Welche Erkenntnisse für das Marketing haben Sie über das besondere Beschaffungsverhalten in der Industrie gesammelt?
Herbst: Anders als auf Konsumgütermärkten ist das organisationale Beschaffungsverhalten das Ergebnis eines Prozesses, an dem viele Personen und Organisationseinheiten teilnehmen. Unternehmen lassen ihre Beschaffungsentscheidungen durch „Buying Center“ abwickeln. In diesen Einkaufsgremien werden alle Kompetenzen und Erfahrungen gebündelt, die im Unternehmen, mitunter auch außerhalb des Unternehmens, z. B. bei speziell hinzugezogenen Ingenieurbüros oder Beratern, vorhanden sind. Hiermit wird das Ziel verfolgt, ein größtmögliches Ausmaß an Kompetenz, Sachbezogenheit und Rationalität in den Einkaufsentscheidungen sicherzustellen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Emotionalität im B-to-B-Geschäft keine Rolle spielt.
Jedes Buying-Center-Mitglied ist natürlich ein ganz normaler Mensch, dessen Emotionen angesprochen werden können. Allerdings muss man erkennen, dass dem gegebenenfalls emotional angesprochenen Individuum zusätzlich auch die Sachargumente an die Hand gegeben werden müssen, damit dieses seine Auffassung im Buying Center durchsetzen kann.
VDI nachrichten: Wie lassen sich die Erkenntnisse im Industriegütermarketing nutzen und was bedeutet das z. B. für den Markenaufbau?
Voeth: Diese Besonderheiten zwingen uns dazu, unser Marketing ganz anders aufzuziehen. Beispielsweise gibt es nicht den Kunden, auf den das Marketing abzielen kann. Stattdessen müssen die unterschiedlichen Buying-Center-Funktionen speziell angesprochen werden, um den Nutzen der angebotenen Leistung zu vermitteln. Da aber etwa Techniker häufig auf ganz andere Argumente als Einkäufer oder Mitglieder der Geschäftsführung bei einem Produkt achten, muss das B-to-B-Marketing sehr differenziert agieren.
Insgesamt muss die Ansprache rationaler erfolgen. Neben anderen Kommunikationskonzepten müssen darüber hinaus auch bestehende Kommunikationsinstrumente wie Werbung, PR etc. anders eingesetzt werden. Mein Eindruck ist, dass 80 % der B-to-B-Kommunikation ganz einfach von B-to-C-Konzepten abgekupfert werden und daher wirkungslos verpuffen.
Herbst: Die Besonderheiten haben unmittelbare Konsequenzen für das Markenmanagement in B-to-B-Unternehmen. Wegen der Buying Center auf Seiten der Kunden benötigen erfolgreiche B-to-B-Marken zum einen „multiple Markenkerne“. Denn für jede wichtige Rolle in den Buying Centern der Kunden müssen diese eigentlich separat aufgebaut werden. Da jedoch die Kerne in keinem Widerspruch zueinander stehen und keine allzu unterschiedliche Markenbotschaft vermitteln dürfen, sind dem Eingehen auf Buying-Center-spezifische Besonderheiten natürlich Grenzen gesetzt. Zum anderen müssen die Markenkerne vor allem fakten- und nutzenbasiert und weniger emotional aufgeladen werden, da die Marke nur dann Hilfestellung auf Buying-Center-Ebene im Vermarktungsprozess liefern kann. Diese Besonderheiten des Markenmanagements bei B-to-B-Marken werden unseres Erachtens aber bei kaum einem Industriegüterunternehmen beachtet.
VDI nachrichten: Welche Informationskanäle sind denn für das Industriegütermarketing besonders geeignet?
Voeth: Auch wenn man natürlich nicht alle B-to-B- oder B-to-C-Märkte über einen Kamm scheren darf, gilt sicherlich, dass die klassische Werbung weniger etwas für den B-to-B-Bereich ist. Wichtiger sind dort Messen, Events – z. B. in Form von Hospitality-Angeboten – oder die persönliche Kommunikation. In jedem Fall muss gerade auf B-to-B-Märkten die Wirksamkeit der Kanäle belegt werden. Da in B-to-B-Unternehmen häufig die Technikperspektive dominiert, müssen marktseitige Investitionen, insbesondere im Bereich der Kommunikation hier noch mehr bewiesen werden. Auch da gibt es noch viele unerledigte Hausaufgaben in der Praxis! MARTIN CIUPEK
Zu den Personen
Prof. Dr. Markus Voeth ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Hohenheim. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des Industriegütermarketings, der Marktforschung und des industriellen Dienstleistungsmarketings. Das von ihm gegründete Beratungsunternehmen Prof. Voeth & Partner bietet zu diesen Themen auch Consulting, Coaching und Research an. Voeth Jahrgang 1968, promovierte und habilitierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach Rufen an die Universitäten Marburg und Duisburg war er von 2000 bis 2002 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg.
Jun.-Prof. Dr. Uta Herbst lehrt seit April 2008 als Juniorprofessorin für Marketing an der Universität Tübingen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des Industriegütermarketings, des Verhandlungs- und des Markenmanagements. Herbst, Jahrgang 1980, promovierte an der Universität Hohenheim. Von 2007 bis 2008 war sie als Juniorprofessorin für Industriegütermarketing an der European Business School tätig. CIU
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