Dünne Schichten zeigen großes Umformpotenzial
VDI nachrichten, Düsseldorf, 28. 3. 08, Si – Bei zerspanenden Präzisionswerkzeugen für die Metallbearbeitung hat der Beschichtungsgrad nach Informationen des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken mittlerweile fast die Sättigungsgrenze erreicht. Beinahe alles, was sinnvoll beschichtbar ist, werde heute auch beschichtet. Bei Umformwerkzeugen allerdings sieht die Situation noch anders aus. Hier sehen Branchenexperten noch Aufhol- und Beratungsbedarf.
Die wichtigsten Trends bei der Beschichtung von Umform-, Schneid-, und Zerspanwerkzeugen für die Rohr- und Drahtherstellung umreißt Michael Kirsch, Geschäftsführer der Eifeler Werkzeuge GmbH, Düsseldorf, im Vorfeld der Messe „Metav“ vom 31. März bis 4. April in Düsseldorf so: „Man arbeitet intensiv an der Verbesserung der Schichtsysteme und an Neuentwicklungen.“ Im Fokus stünden die Hauptverschleißkriterien Adhäsion und Abrasion oder deren Kombination. Kirsch: „In Abhängigkeit der Anwendung kommen sowohl PVD- (Physical Vapour Deposition) als auch CVD-Schichten (Chemical Vapour Deposition) zur Anwendung. Hauptsächlich handelt es sich hierbei um Multilayer- oder nanostrukturierte Schichtsysteme auf Basis von Titan (Ti), Chrom (Cr), Aluminium (Al) und Stickstoff (N) und/oder Kohlenstoff (C).“
Bei der Optimierung der Schichtsysteme stehen die Erhöhung der Oxidationsbeständigkeit, die Verbesserung der tribologischen Eigenschaften, die Optimierung der Verschleißhärte und nicht zuletzt die Steigerung der Haftfestigkeit im Vordergrund. Weiteres Potenzial sieht der Eifeler-Geschäftsführer „in der Entwicklung der Schichtsysteme hin zu höherer Leistungsfähigkeit durch die Konzentration auf genau definierte Anwendungen“. Dadurch entstehe ein Trend zur besonders guten Eignung der Schichten in einer schmalen Bandbreite von Anforderungen, aber zu Lasten der Universalität.
Nach Einschätzung von Stefan Musche, Geschäftsführer der Plasmotec Coating GmbH, Rheinbreitenbach, sind Beschichtungen sehr unterschiedlich gefordert: Bei Umformwerkzeugen sei eher die Reibung und die Zähigkeit ausschlaggebend, bei Zerspanungswerkzeugen eher die Härte. Allerdings gebe es Schichtsysteme auf der Basis von Titan-Aluminum-Nitrid und Chrom-Nitrid in Verbindung mit diamantähnlichen Kohlenstoffschichten, die mehrere dieser Eigenschaften auf sich vereinen und somit als „Allrounder“ in Frage kämen. Wo es jedoch auf die letzten Leistungsprozente ankomme, sei ein spezialisiertes Engineering der Beschichtung unverzichtbar.
„In der Zerspanung“, so Musche, „hat der Beschichtungsgrad mittlerweile fast die Sättigung erreicht. Bei Schneid- und Unformwerkzeugen ist man noch weit davon entfernt.“ Es gebe zwar einen Trend zur weiteren Spezialisierung der Schichtenpalette, aber hier hinke die Umformtechnik beim technisch Machbaren der Zerspanungstechnik hinterher.
Bei der Beschichtung von Umform-, Schneid-, und Zerspanwerkzeugen für die Rohr- und Drahtherstellung ist nach Meinung von Dr.-Ing. Antonius Leyendecker, Vorstandsvorsitzender der Cemecon AG, Würselen, in den kommenden Jahren das stete Hinzufügen neuer Legierungselemente weniger entscheidend. Wichtiger sei vielmehr die exakte Abstimmung von Substrat, Geometrie und Beschichtung bereits in der Konstruktionsphase des Werkzeugs.
„In der Zukunft“, so skizzierte Leyendecker das Potenzial, „werden extrem glatte Non-adhesive-Beschichtungen eine immer größere Rolle spielen, da oft infolge von Aufbauschneiden ein vorzeitiger Verschleiß der Werkzeuge eintritt.“ Ein weiterer Trend gehe in Richtung elektrisch nichtleitender Beschichtungen, die ebenfalls heute problemlos im PVD-Sputterverfahren hergestellt werden können.
Meilensteine in der Werkzeugbeschichtung sind nach Leyendeckers Einschätzung u. a. nitridische Nanocomposite-Schichtwerkstoffe mit besonders harten und zähen Eigenschaften, optimierte Schichtmorphologien (Nanocomposite-Strukturen = „Supernitride“), nahezu eigenspannungsfreie Beschichtungen zum Erzeugen immer dickerer Schichten (über 15 µm), mit der Möglichkeit, PVD-Supernitride in der jetzigen Domäne von CVD wie z.B. Drehbearbeitungen einzusetzen.
Künftig wird es laut Andreas Reiter, Leiter Segment Forming Tool der Oerlikon Balzers AG in Liechtenstein, wichtig sein, „Beschichtungssysteme zu entwickeln, die einen effizienteren Schmiermitteleinsatz ermöglichen“. Neben diesem geforderten Effekt gelte es jedoch auch, Schichteigenschaften wie Härte, abrasive sowie adhesive Verschleißbeständigkeit weiter zu optimieren und das bei maximal erzielbarer Schichtdicke. Solche neuartigen Beschichtungen könnten laut Reiter in allen Bereichen der Kaltmassivumformung Einsatz finden. Zu den Meilensteinen der vergangenen fünf Jahre gehört für Reiter die Einführung der Schicht „Balinit Alrocna“ in den Jahren 2003/2004. Das sei deshalb ein Durchbruch, weil damit erstmals eine Ti-freie Verschleißschutzschicht ein breites Anwendungsgebiet gefunden habe.
Für Winfried Blau, Geschäftsführer der Europäischen Forschungsgesellschaft Dünne Schichten (EFDS), Dresden, geht der Trend bei der Beschichtung von Umform-, Schneid-, und Zerspanwerkzeugen für die Rohr- und Drahtherstellung zur Kombination von Hartstoffen und reibungsarmen Materialien wie diamanthaltigem Kohlenstoff in der Form von Nanokompositen. Das Potenzial liege in der Vermeidung von Adhäsionsverschleiß bei sehr hohen Normalspannungen, wenn flüssige Schmierstoffe und High-Pressure-Additive versagten. „Bei Feinschneidwerkzeugen und Mikrowerkzeugen“, so Blau, „geht der Trend zu kleineren Schneidkantenradien, das heißt dünneren Schichten.“
Nachdem TiAlN (Titanaluminium nitrid) das erste Nanokomposit-Material war, das in großem Maßstab industriell produziert wurde, geht man laut Blau jetzt daran, „Schichtsysteme auf Nanokompositbasis nach Maß“ zu entwerfen. Allgemein werde derartigen Kompositen aus mehr keramisch-harten und mehr metallisch-duktilen Gefügebestandteilen und/oder Festschmierstoffen wie diamantartigem Kohlenstoff ein großes Potenzial zugeschrieben. Ein Highlight der vergangenen Jahre seien neue warmfeste und hochtemperaturkorrosionsfeste Systeme auf Basis Plasmanitrieren (PACVD-Titanborid), die zunächst für Leichtmetall-Druckgusswerkzeuge eingesetzt werden.
Im Bereich der Ur- und Umformwerkzeuge sei die Situation anders als im Bereich der Zerspanungswerkzeuge, erklärte Blau. Werkzeugentwickler, Werkzeugbauer und Beschichtungsentwickler kooperierten hier in den meisten Fällen nur unzureichend. Denn viele Werkzeuganwender im Zulieferbereich hätten ein geringes Interesse an einer längeren Standzeit, die nur mit zusätzlichen Kosten für die Beschichtung zu erreichen wäre, weil ihnen das Werkzeug nicht gehört. Anders als bei Zerspanungswerkzeugen sei bei Ur- und Umformwerkzeugen von Fall zu Fall neu zu entscheiden, ob eine Beschichtung wirtschaftlich ist oder nicht. Hier müsse der Anwender umfassend beraten werden. Blau: „Die EFDS hat dafür eine spezielle Beratungssoftware entwickelt.“ VDW/Si
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