Die große Angst vor kleinen Dingen
Neue Technologien machen Angst.Die Nanotechnik bildet da keine Ausnahme.Ihr Potenzial in der Rüstung ist beträchtlich: Sie eröffnet Wege zu verbesserten Waffen und innovativen Materialien.Der Ruf nach Richtlinien und einem gewissenhaften Umgang mit der neuen Technologie wird laut.
Vor kurzem klingelt in einem deutschen Forschungsinstitut das Telefon.Die FDP bittet um Auskunft.Ob es sein könnte, dass winzige Nano-Roboter, von Flugzeugen abgeworfen, unbemerkt und unsichtbar längst das Land auspionieren?
Neue Technologien machen Angst – vor allem im technik-skeptischen Deutschland.Wie zuvor Bio- und Kerntechnik, ruft nun auch die Nanotechnik die ersten Kritiker auf den Plan – obwohl sie bisher ein Image als „saubere“ und „grüne“ Technologie pflegt.Es ist die Rüstung, die Befürchtungen weckt.Apokalyptiker treten auf – Leute wie Bill Joy, Chef-Entwickler von Sun Microsystems, der Feuilletons in Aufregung versetzte mit seinen düsteren Warnungen, die neue Technik könnte entgleisen und die Menschheit in den Untergang reißen.
Joy sieht die Erde schon bedeckt von einem gewaltigen grauen Schleim – bestehend aus sich unkontrolliert vermehrenden Nanorobotern („gray goo problem“), womöglich in die Welt gesetzt von Terroristen und beladen mit zerstörerischer Fracht.Der Computer-Spezialist fordert, die Nano-Forschung zumindest teilweise zu stoppen.
Seitdem liefern sich Kritiker und Nano-Optimisten wie die US-Forscher Ralph Merkle und Ray Kurzweil eine heftige, mehr von den Medien als von den Forschern selbst ernst genommene Debatte über Fluch und Segen der neuen Technik.Vielen deutschen Wissenschaftlern erscheinen Joys Bedenken und Kurzweils Visionen, als hätten die Amerikaner zu viele Star-Trek-Folgen gesehen.
Ein Fehler, findet Uwe Hartmann, Professor für Physik und Nano-Strukturforschung von der Universität Saarbrücken.“Wischt man die Diskussion einfach als lächerlich vom Tisch, macht man es sich zu leicht“, warnt Hartmann.Das militärische Potenzial für völlig neue Waffensysteme sei vorhanden.“Hier sind Politiker gefragt, die mit Gesetzen und Richtlinien entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.“
Von den Schreckensvisionen über grauen Schleim hält der Physiker indes wenig.“Solche Maschinen, sollte es sie jemals geben, sind sehr empfindlich und nicht dazu in der Lage, sich universell zu vermehren.“
Vor allem die USA haben die Nanotechnik zu militärischen Zwecken längst für sich beansprucht.Politiker und Forscher behaupten, in spätestens 15 Jahren Nanomaschinen für die Rüstung herstellen zu können.Eine Ankündigung, die deutsche Forscher eher amüsiert.“Dieser Zeitrahmen ist unrealistisch“, sagt Stefan Reschke, Werkstoffwissenschaftler und Trendforscher vom Fraunhofer-INT, Euskirchen.“Wie will man Energie erzeugen und solche Maschinen mit Antrieb versehen, ihnen dazu noch Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit verleihen?“
Dennoch scheinen die amerikanischen Absichten ernst gemeint.Einen Tag, nachdem Bill Clinton im vergangenen Jahr vollmundig verkündet hatte, dass die USA die Weltmarktführerschaft bei Nanotechnologie anstrebten, wurden alle US-Internetseiten in militärischem Besitz, die sich mit Nano-Forschung beschäftigten, für den öffentlichen Zugriff gesperrt.
Auch George Bush ist fest entschlossen, die „nächste Waffengeneration zu entwickeln, die Kriegsführung und Friedenssicherung neu definiert“. 20 Mrd.DM will er innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Rüstung investieren, die Nanotechnik eingeschlossen.
Doch das Militär muss nicht erst auf die neueste Waffengeneration warten, um von „Nano“ zu profitieren.Auf eher kurz- bis mittelfristige Anwendungen, hauptsächlich im „defensiven“ Bereich, beschränkt sich die deutsche Rüstungs-Forschung.Neue Panzerungen locken.So könnte die Wissenschaft mit Hilfe winziger Kohlenstoff-Röhrchen Materialien herstellen, die zehn Mal reißfester sind als herkömmlicher Stahl und dabei nur einen Bruchteil seines Gewichtes haben.
Auch neue Munition wird entwickelt.So genannte KE-Geschosse, als „Uranmunition“ ins öffentliche Bewusstsein gelangt, sollen verbessert werden.Hier soll Nanopulver aus Wolfram das leicht endzündliche Uran ersetzen – ohne „unangenehme“ Nebenwirkungen, nicht strahlend oder toxisch.
Das Militär wartet vor allem auf viel versprechende Nano-Entwicklungen aus dem zivilen Bereich, um diese für sich zu übernehmen.Eine Beispiel sind nanokristalline keramische Verbundwerkstoffe auf Basis von Siliziumcarbid.Hier locken hitzebeständige und besser formbare Materialien für Panzerungen und Hitzeschilde.Außerdem „erleichtern sie die Herstellung von Brennerdüsen für Raketen“, erklärt Stefan Lach, Chemiker und Nanoforscher von der Universität Kaiserslautern.
Indes entwickeln Bio-Nanotechnologen winzige und sensible Detektoren auf Biochips, die frühzeitig vor biologischen oder chemischen Kampfstoffen warnen sollen – eine Entwicklung, die nahezu Marktreife erreicht hat.
Nur längerfristig denkbar sind elektronische Systeme wie Satelliten, die auf „Nano“ basieren.“Sie sind momentan zu störanfällig“, erklärt Reschke, „eine Abschirmung wiegt zu viel.“In der Nanowelt reichen kleine elektromagnetische Pulse oder Strahlungen, um ein System zu stören.Daher enthält der bislang kleinste, 10 kg schwere Aufklärungssatellit, „nur“ Elemente aus der Mikroelektronik.
Trotz oder vielleicht auch wegen ihres großen militärischen Potenzials ist die öffentliche Nanoforschung in Deutschland an mehr oder weniger strenge Auflagen geknüpft.“Geld gibt es nur, wenn keine militärischen Ziele verfolgt werden“, erklärt Hartmann.Der deutschen Rüstungsindustrie sei jedoch kein Vorwurf zu machen, wenn sie sich der ungeheuren Möglichkeiten bediene, die „Nano“ biete.“Ob die neue Technik eine Chance für den Fortschritt darstellt oder eine Gefahr, müssen die Menschen bestimmen“, sagt Hartmann.
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