Die Digitale Fabrik wird Chefsache im Automobilbau
Auf den Wunschlisten des Topmanagements der Automobilindustrie rückt die Digitale Fabrik als komplette Vorabsimulation der Fertigung ganz nach oben. Dies belegt eine neue Studie der Unternehmensberatung Roland Berger, vorgestellt am Anfang Juli in der Zentrale von T-Systems – IT-Dienstleister und Firmentochter der Deutschen Telekom AG.
Deutsche Automobilbauer arbeiten mit Hochdruck in Richtung Digitaler Fabrik, lautet ein wichtiges Ergebnis der Roland-Berger-Untersuchung. „Sie gehört zu den wichtigsten Innovationsthemen dieser Branche“, weiß Dirk Hanßen, bei Roland Berger zuständig für Innovations- und Post-Merger-Strategien und Mitautor der Studie.
So werde es für Hersteller wie Zulieferer immer wichtiger, schon während der Entwicklung des Produkts mittels Simulation zu untersuchen, ob, wie, mit welchen Ressourcen und wo es später optimal produziert werden kann. Denn beide Seiten seien zunehmend voneinander abhängig. „Die Wertschöpfungsanteile verschieben sich, Modellvielfalt und Komplexität steigen“, präzisiert Dirk Hanßen. Der Faktor „time to market“ gelte als Formel für globalen Markterfolg.
„Schnellere Marktreife lässt sich jedoch nur mit der unternehmensübergreifenden, kompletten Reorganisation der Prozesskette erzielen“, so Norbert Franchi, Leiter Manufacturing Industry bei T-Systems in Leinfelden-Echterdingen, wo die Studie Anfang Juli vorgestellt wurde. Digitalisiertes Entwickeln, Konstruieren, Simulieren und die rechnergestützten Methoden der Fabrikplanung und Produktion hätten zwar inzwischen große Fortschritte gemacht. Bei der digitalen Planung und Steuerung der eigentlichen Produktionsprozesse bestehe jedoch noch ein großer Nachholbedarf.
Diese Lücke wollen die deutschen Automobilhersteller in den nächsten Jahren schließen.
Sie haben die Digitale Fabrik zur Chefsache erklärt, Pilotprojekte im Top-Management angesiedelt und befinden sich bereits in der Umsetzungsphase, wie die Studie zeigt. „Bei drei unserer Projekte nehmen die Hersteller für externe Leistungen insgesamt einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand“, so Horst Diether Wagner, Leiter Engineering Manufacturing bei T-Systems.
Im Rahmen der Pilotprojekte haben fast alle der befragten Hersteller inzwischen ihre Produktionsplanung standardisiert und modularisiert. Durchgängige Datenströme und Klarheit über die Datenarchitektur sind ebenfalls fast überall zu finden. Eine geschlossene Systemlandschaft für sämtliche Funktionalitäten haben jedoch lediglich 60 % von ihnen realisiert. Und das Workflowmanagement funktioniert erst bei 30 %.
Im Idealfall simuliert die Digitale Fabrik das Zusammenspiel von Produkt, Produktionsprozess und Produktionsstätte dreidimensional im Rechner, bevor sich in der Realität auch nur ein Schräubchen dreht.
Eine konkretere Vorstellung von diesem Zusammenspiel erhält man im Stuttgarter Solution Lab von T-Systems. Hier zeigen prozessorientierte 3-D-Anwendungszenarien zum Beispiel, wie man das Einfügen von Frontscheiben in eine Karosserie virtuell plant. Dabei übernimmt die Digitale Fabrik die Daten der virtuellen Prototypen direkt aus den Entwicklungssystemen, plant damit die Produktionsstätten und simuliert mit diesen Daten Produktionsprozesse.
Hersteller und Zulieferer versprechen sich laut Studie von der Digitalen Fabrik vor allem eins: Zeitersparnis. Sie schätzen bis zu 30 % bei Produktionsplanung und -anlauf. 15 % Kostenersparnis erwarten sie zusätzlich in der Produktion selbst, vor allem beim Fertigungsmaterial und den Änderungen. Weitere 5 % bis 10 % durch die bessere Qualität der Produkte und Produktionsanlagen.
Bis 2005 wollen einige Hersteller deshalb Teile der digitalen Fabrik umgesetzt haben. Ihre Zulieferer sollten zwischen 2007 und 2010 so weit sein. Ein hoch gestecktes Ziel, bedenke man – so Dirk Hanßen – ,dass der Produktionsplaner nach 30 Jahren CAD immer noch 70 % seiner Zeit damit verbringt, identische Daten in der jeweils geeigneten Aufbereitung für die Fertigungs- und Betriebsmittelplanung, den Konstrukteur, den Logistiker und den Zulieferer zu bekommen.
Zum Bedauern der Unternehmensberater beschäftigen sich bislang nur wenige der zwölf befragten Zulieferer mit der Digitalen Fabrik. Und wenn, dann verfolgen sie das Konzept meist auf Fachbereichsebene mit Unterstützung des mittleren Managements und stehen ihm in Bezug auf ihren eigenen Produktionsprozess eher skeptisch gegenüber.
Einerseits befürchten die Firmen hohe Kosten für die Software und ihre Implementierung – besonders, wenn sie mehrere Kunden mit unterschiedlichen Systemen beliefern. Andererseits wollen sie eine zu starke Transparenz ihrer Produktionsprozesse nach außen vermeiden. Diese Haltung könne die langfristige Zusammenarbeit mit den Herstellern in Frage stellen, betont Hanßen. Wenn die Zulieferer ihre Wettbewerbsstärke erhalten wollten, müssten sie das Thema der Digitalen Fabrik angehen. Fehlendes Know-how in diesem Bereich werde dem Mittelstand zwar gegenwärtig noch nicht als Schwäche ausgelegt – „in einigen Jahren ist es aber eine“, warnt Hanßen. Er rät den Zulieferern, frühzeitig mit ihren Auftraggebern über das Thema zu diskutieren.
Die Studie von Roland Berger zeigt allerdings nicht nur Erwartungen und Stand der Dinge bei den Produzenten – untersucht wurden auch die marktgängigen IT-Tools. Hier werden einige Schwachstellen deutlich. So dominieren noch immer Insellösungen. Es fehlen offene, standardisierte Schnittstellen und integrierte Konzepte, die durchgehende Workflow-Systeme abbilden. Nur wenige Tools meistern Massendaten und den Aufbau eines Daten-Netzwerks, das die notwendigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Detaillierung zur Verfügung stellt. Einige Funktionalitäten sind nicht im gewünschten Ausmaß vorhanden, und die Softwarelösungen zur Realisierung einer Digitalen Fabrik noch nicht mittelstandstauglich. Es gibt also jede Menge zu tun für die IT-Branche. SONJA HÜBNER/Kip
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