Ernährung 06.06.2003, 18:25 Uhr

Deutsche Kältetechnik setzt Fleischstandard in Sibirien

Russlands Nahrungsmittelversorgung soll auf West-Niveau. Da die Einfuhrzölle hoch sind, werden Verarbeitungsmaschinen importiert und die Selbstversorgung angekurbelt. Deutsche Firmen profitieren von der technologischen Aufrüstung, die der Bevölkerung hilft – und Russlands Lebensmittelexporte stärken könnte.

Food-Firmen aus den USA, Europa und Südamerika freuten sich viele Jahre über Gewinne aus dem Export von Tiefkühl-Fleisch oder -Geflügel nach Russland. Nun wurden dort die Importzölle drastisch erhöht, um die landeseigene Nahrungsmittelerzeugung zu fördern. „Im großen Stil werden jetzt moderne Zuchtbetriebe, Schlachtereien und Verarbeitungsbetriebe benötigt“, berichtet der Kälte- und Klimatechnik-Ingenieur Rolf Harig aus Sennestadt bei Bielefeld.
Zusammen mit Partnern errichtet sein Unternehmen gegenwärtig eine Hähnchenschlachterei in Wladiwostok, ganz am anderen Ende Russlands. In der Anlage kann man pro Stunde 6 t Hähnchen schlachten, verarbeiten und kühlen. Die Tiere müssen innerhalb kürzester Zeit per Luftkühlung auf 4°C gekühlt werden – ohne Qualitäts- und Gewichtsverlust. In diesem Zustand werden sie weiterverarbeitet und zum Teil schockgefrostet. Die Kälteaggregate aus Bielefeld-Sennestadt wurden jetzt verschickt.
Harig konnte bei dem Auftrag auf Erfahrungen im EU-Bereich zurückgreifen, wo die Umstellung von Wasser- auf Luftkühlung bei der Hähnchenschlachtung üblich ist. „Brüssel hat die Weiterverarbeitung mit Eiswasser verboten“, sagt Rudolf Harig. In Russland, Osteuropa, aber auch in den USA sei die Umstellung im Gange – auch weil ein verändertes Verbraucherverhalten dazu zwinge.
„Konsumenten in entwickelten Ländern bevorzugen mehr und mehr frisches Geflügel von der Ladentheke, während der gefrostete Anteil, das tiefgefrorene Hähnchen oder auch die gefrostete Hähnchenbrust, tendenziell zurückgeht“, weiß Harig. Der Anteil der Frischware in Westeuropa betrage heute schon ca. 50 %.
Mehr Frischgeflügel an der Theke verlangt inzwischen auch die russische Hausfrau kalte, auf etwa 4°C abgekühlte Ware. Rolf Harig: „In Ballungsräumen wie in der westsibirischen Großstadt Tjumen, wo unsere Anlagen schon arbeiten, lässt sich das bei kurzen Transportwegen von der Schlachterei zum Supermarkt problemlos erledigen.“
Was aber bei längeren Strecken? Das Frosten von Hähnchen auf eine Kerntemperatur von – 18°C und eine vorherige Abkühlung im Eiswasser (Spin Chilling) war das übliche Verfahren: Das Geflügel wurde nach dem Schlachten und Ausnehmen in ein Eiswasserbad geworfen und durch eine Förderschnecke langsam durch das Bad geführt. Die Tiere nahmen bei diesem Eisbad noch bis zu 5 % an Flüssigkeit und Gewicht zu.
„Aber sie nahmen fast immer auch Salmonellen-Keime mit auf“, weiß Harig, „die beim Braten oder Kochen erst nach längerer Zeit inaktiviert wurden – auch deshalb verbot die EU die Wasserkühlung.“ Nach dem Eiswasserbad kamen die Hähnchen in den Frostraum, wo sie bei – 32°C bis – 35°C schockgefrostet wurden.
Heutiges Verarbeiten mit Kaltluftstrom sieht so aus: Die Hähnchen durchlaufen an Transportbändern aufgehängt die Schlacht- und Rupfzone. Danach kommen sie in die Bratfertig-Abteilung, wo sie ausgenommen und die Innereien ausgesondert werden.
In einem ersten Bereich kühlt man sie bei einer Lufttemperatur von 0°C und einer Verweilzeit von 80 min bis 120 min auf eine Temperatur von rund + 4°C herunter. Dann kommt das Fleisch in einen klimatisierten Raum von 12°C Lufttemperatur. Hier zerlegen Mitarbeiter die Tiere in die jeweils geforderten Portionen, Brust, Schenkel etc., um sie anschließend zu verpacken. Der Teil, der noch gefrostet werden soll, wird auf Trays in Folie eingeschweißt.
Im Fertigwaren-Kühlraum bei 0°C werden die Hähnchenteile zwischengelagert und zum Teil als Frischwaren (bei max. 4°C) mit Kühl-LKW zu den Verbrauchermärkten gebracht. Der übrige Teil der Fertigware kommt in einen Gefrierraum in dem Hähnchenteile und ganze Tiere bei – 32°C in 12 bis 15h auf eine Kerntemperatur von – 18°C gebracht werden. Im nächsten Bereich bei – 22°C lagert diese Frostware – bis das Geflügel zu den Tiefkühltruhen der Märkte gelangt.
Mehrere „Kälteprojekte“ für Russland und die GUS hat Harig aus Sennestadt bereits abgewickelt, z.B. eine Geflügelschlachterei in Tjumen in Westsibirien, eine Molkerei in Tartastan oder die Frostung des Kaviarfisches Stör am Kaspischen Meer. Neueste Projekte betreffen den nordamerikanischen Markt. Im US-Bundesstaat Pennsylvania wie auch im kanadischen Vancouver verarbeiten Schlachtereien bis zu 40 t Hähnchen oder 20 000 Stück pro Stunde. HORST BIERE/KÄM

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