Der Ingenieur ist ganz vermessen
Am 21. April haben die Partner von Size Germany die Ergebnisse der ersten automatischen Reihenmessung an der gesamten deutschen Bevölkerung vorgestellt. Automobil- und Textilindustrie wollen mit aktuellen Körpermaßen Konfektionsgrößen und Fahrzeugergonomie besser den heutigen Verhältnissen anpassen. Der Diplom-Ingenieur Martin Rupp ist einer der Leiter des ungewöhnlichen Projekts. VDI nachrichten, Bietigheim-Bissingen, 24. 4. 09, cha

Die Menschen werden immer größer – stimmen die Konfektionsgrößen noch?
Foto: Cultura RF
Die Körperproportionen der deutschen Bevölkerung haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Im Mittel sind die Menschen heute größer und kräftiger als ihre Eltern und Großeltern. Die Bekleidungsindustrie reagiert darauf mit Sondergrößen. Die Automobilindustrie hat es da schwerer, weil sie international marktfähige Fahrzeuge anbieten muss, in denen sich sowohl der Zwei-Meter-Hüne als auch die zierliche Asiatin wohlfühlen können sollen. Martin Rupp – 1,91 m, schlank – erfährt das Problem tagtäglich am eigenen Leib. Damit ist er quasi prädestiniert für die Projektleitung bei Size Germany.
Der 40-jährige Ingenieur ist Direktor der Abteilung Bekleidungstechnik an den Hohenstein Instituten in Bönnigheim, einer Forschungseinrichtung, die sich auf die Textilbranche spezialisiert hat. „Die heutigen Konfektionsgrößen in Deutschland beruhen auf Körpermaßen, die bei den Männern aus den 80er-Jahren stammen, bei den Frauen aus den 90ern.“
Auch an der Fahrzeugentwicklung gehen die körperlichen Veränderungen der Deutschen nicht spurlos vorbei. Wie groß sollte die Kopffreiheit im Auto sein? Ab welcher Größe des Fahrers beeinträchtigt die A-Säule die freie Sicht? Wie weit muss das Lenkrad verstellbar sein? Mit 3D-Menschmodellen lassen sich solche Überlegungen heute bereits in der Entwicklung simulieren. Doch die Ergebnisse sind natürlich nur so gut wie die Ausgangsdaten. „Sowohl die Textil- als auch die Automobilindustrie sahen vor drei Jahren den Bedarf an aktuellen Körperdaten“, erzählt Rupp. So kam es, dass die Hohenstein Institute sich mit der Firma Human Solutions aus Kaiserslautern zusammentaten, um im Auftrag der beiden Branchen die Bevölkerung neu zu vermessen.
Mehr als 13 300 Männer und Frauen im Alter zwischen sechs und 87 Jahren traten zwischen Juli 2007 und Herbst 2008 für die Industrie in einen 3D-Scanner und ließen ihre Körperform berührungslos erfassen. Rupp hat an der Fachhochschule Heilbronn Produktionstechnik studiert und arbeitet seit 1994 bei den Hohenstein Instituten. Zunächst in der Qualitätssicherung. „Ich wirkte unter anderem am Aufbau einer Zertifizierungsstelle für persönliche Schutzausrüstungen mit.“ Vier Jahre später übernahm Rupp die frei werdende Stelle des Direktors der Abteilung Bekleidungstechnik. „Meine rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Prüf- und Forschungsaufgaben“, sagt er.
Beispielsweise sind hier zusammen mit Computergrafikwissenschaftlern digitale Models für die Textilindustrie entwickelt worden, an denen sich neue Kleidungsstücke mittels CAD-Schnittdaten ausprobieren lassen, ohne dass sie jemand aus Fleisch und Blut anprobieren muss. In einem anderen Projekt entwickelten Rupp und seine Mitarbeiter gemeinsam mit Partnern Bekleidung, die mit Solarzellen ausgerüstet ist. „Die Bekleidung der Zukunft wird mehr und mehr Elektronik sowie Mikrosysteme enthalten. Die dafür erforderliche Energieversorgung lässt sich zumindest zum Teil mit Solarzellen abdecken.“
„Size Germany war kein gewöhnliches Projekt“, sagt Martin Rupp. „Bereits der damalige Start der Vermessung löste ein gewaltiges Medienecho aus, was gut für den Zuspruch bei den Messkampagnen an insgesamt 31 Standorten im Bundesgebiet war.“ Rupp und sein Team organisierten die Kampagnen mit Partnern vor Ort – Einkaufszentren, Modehäusern oder Hochschulen zum Beispiel. Schnelle Entscheidungen seien immer wieder gefragt gewesen, denn „kein Standort glich dem anderen“. Das ging so weit, dass Rupp auch für Pressegespräche mit den örtlichen Medien vor Ort sein musste. „Die erforderliche Öffentlichkeitsarbeit leistete meine Abteilung mit Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen vom Marketing.“Daneben war Rupp zusammen mit seinem Kollegen Rainer Trieb von Human Solutions auch das Bindeglied zu den Auftraggebern aus der Textil- und Automobilindustrie, die in Präsentationen und in Sitzungen des Lenkungsausschusses über den Fortgang der Dinge auf dem Laufenden gehalten werden wollten. „Alles in allem war das Projekt etwas untypisch für einen Ingenieur, aber gerade darin lag der Reiz.“ MICHAEL VOGEL
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