Der Druck auf Engineeringdienstleister wächst
VDI nachrichten, Düsseldorf, 28. 5. 04 – Trotz anhaltender Modelloffensive der Automobilhersteller klagen die Entwicklungsdienstleister über zu wenig Aufträge. Denn Zulieferer und Tochterfirmen der Automobilbauer drängen verstärkt ins Engineeringgeschäft.
Eine Situation mit Beispielcharakter: Wenn der traditionsreiche Entwicklungsdienstleister IVM Automotive wegen schwieriger Auftragslage zum 30. Juni auch seine Niederlassung in der Automobilhochburg Sindelfingen dicht macht und seine Konstrukteure wie auch Entwicklungs-Ingenieure in die Arbeitslosigkeit entlässt, zieht Wettbewerber MB-Tech wenig später in die frei gewordene Adresse in der Columbus-Straße ein. Seit Gründung 1995 expandiert die Sindelfinger MB-Tech zweistellig. Im vergangenen Jahr übersprang die Unternehmensgruppe bereits die 100-Mio.-Umsatzmarke. Allein in diesem Jahr wird die Belegschaft um rund 600 Mitarbeiter auf etwa 1500 aufgestockt.
Das Interessante daran: MB-Technology ist eine 100%-Tochter von DaimlerChrysler. Als Wettbewerber auf dem Markt (MB steht für Mercedes Benz) der automobilen Entwicklungsdienstleistungen erhält das Unternehmen mehr und mehr Aufträge des eigenen Mutterkonzerns. Systematisch baut der Automobilhersteller die fünf Geschäftsfelder Antriebsstrang, Karosserie/Interieur, Elektrik/Elektronik, Gesamtfahrzeug-Entwicklung sowie Prozessmanagement seiner schnell wachsenden Engineeringtochter durch gezielte Zukäufe von spezialisierten Unternehmen aus.
Der Rückzug von IVM Automotive und die Expansion von MB-Tech markieren einen Paradigmenwechsel in der Branche: Mit klassischer Entwicklungsdienstleistung als Geschäftsmodell ist im Automobilbau derzeit kaum noch wirklich Geld zu verdienen. Während die Automobilhersteller ihre Modelloffensive auf hohem Niveau fortsetzen, erzielen traditionelle Engineeringdienstleister wie die deutschen Platzhirsche EDAG, Bertrandt oder IVM Automotive immer weniger Aufträge bei nur noch magerer Rendite. „Die Preise sind kaputt“, klagt ein Manager über die schmalen Deckungsbeiträge und die geringe Auslastung der Kapazitäten. Denn ähnlich wie DaimlerChrysler verlagern auch andere Automobilhersteller ihre zahlreichen Entwicklungsprojekte zunehmend auf die Schultern ihrer eigenen Töchter und Inhouse-Abteilungen. So baut auch der VW-Konzern seine Berliner Entwicklungsgesellschaft IAV systematisch weiter aus. Mit über 2600 Ingenieuren beschäftigt die IAV heute über tausend Mitarbeiter mehr als vor vier Jahren.
Die Folge: Immer weniger Entwicklungsprojekte landen auf dem freien Markt. Um auch die herstellereigenen Inhouse-Ressourcen besser auszulasten und dadurch Kosten zu senken, entwickelt Volkswagen den wiederholt verschobenen Bulli-Nachfolger Microbus nun fast alleine, ebenso das jüngst als Concept C vorgestellte Klapptop-Modell auf Golf-Plattform. Und Ford vergibt die Nachfolgegeneration der Großraumlimousine Galaxy nun nicht mehr nach draußen. „In einem derartigen Umfeld ist das Geld verdienen nicht gerade leicht“, sagt Vorstands-Chef Dietmar Bichler vom Entwicklungsdienstleister Bertrandt im württembergischen Ehningen.
Doch auch aus den Reihen der großen Zulieferer erwächst Druck auf die Engineeringfirmen. Systemlieferanten wie Delphi, Magna oder ZF Friedrichshafen stocken ihre Entwicklungsabteilungen auf und bieten bei immer größeren Projektumfängen zugleich auch Verrechnungsmodelle mit an: Die Bezahlung der Entwicklungskosten über den Stückpreis (pay on production).
Solchen Verrechnungsmodellen haben Entwicklungsdienstleister nichts entgegenzusetzen, weiß Rainer Kurek, Geschäftsführer der internationalen MVI Group in München, die seit Verkauf ihrer deutschen Engineeringsparte verstärkt auf projektbezogenes Prozessmanagement spezialisiert ist. „Das Tempo, mit dem sich der Markt verändert, hat in den vergangenen Monaten damatisch zugenommen“, beobachtet Kurek und macht erste Opfer aus: Anfang April musste das große britische Entwicklungsunternehmen Mayflower aus Birmingham überraschend Insolvenz anmelden.
Wegen der schwierigen Lage wird „die eigene Finanzkraft für Entwicklungsunternehmen immer wichtiger“, bestätigt Bertrandt-Chef Bichler. Finanzielle Rückendeckung fand Bertrandt jüngst in einer 25%-Beteiligung durch ThyssenKrupp. Die Kompetenz der Ehninger Engineeringfirma in Sachen Karosserieentwicklung paßt offenbar gut in die Strategie des Essener Stahlkonzerns, der massiv ins Automotive-Geschäft drängt.
Dass sich die kritische Lage bald erholen wird, glaubt kaum jemand in der Szene. Preiswerte Konkurrenz aus Osteuropa, Asien oder Südamerika setzen die Deutschen zusätzlich unter Druck. Wer in solchen Lowcost-Regionen keine eigenen Offshore-Niederlassungen unterhält, um Leistungen kostengünstiger zu erbringen wie etwa EDAG oder auch die MVI Group, für den „wird die Luft bald ziemlich dünn“, erwartet EDAG-Chef Matthias Topp.
Geschäftsführer Rainer Kurek von der MVI Group sieht die Branche sich deshalb „weiter konsolidieren“. Um zu überleben werden sich die Unternehmen spezialisieren müssen, etwa auf besonders gefragte Gebiete wie Elektronik, Simulation und Berechnung, Fahrzeugsicherheit oder auch projektbezogenes Prozessmanagement.
„Wer hofft, dass die Projekte irgendwann wieder zu den Entwicklungsdienstleistern zurückkehren, der übersieht, dass die Projekte zunehmend von den Systemlieferanten in Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern realisiert werden“. Bei Entwicklungsdienstleistern komme davon auch langfristig nicht mehr allzu viel an.B. ROSE/KIP
Ein Beitrag von: