Das kommt in und aus Nanotüten: Gerüche, Kosmetik, Schweiß
VDI nachrichten, Burghausen, 1. 4 .05 – Millionstel Millimeter kleine Tüten aus Zucker können winzige Moleküle – etwa Gerüche oder Vitamine für Kosmetika – einfangen und gezielt wieder abgeben. Diese nanometerkleinen Molekülkapseln – so genannte Cyclodextrine (CD) – können statt Parfümduft abzugeben auch Schweiß bis zur nächsten Textilwäsche aufnehmen, damit unerwünschte Geruchsbildung in Kleidung gar nicht erst entsteht.
Sakkos, die keinen Zigarettenrauch mehr annehmen, Hemden ohne Schweißgeruch, Teddybären, die beim Streicheln ätherische Öle abgeben, Cremes, die erst auf der Haut ihre Wirkstoffe freisetzen – noch vor wenigen Jahren wären solche Produkte nicht denkbar gewesen. Doch dann gelang es Forschern der Wacker-Chemie im bayerischen Burghausen, nanometerkleine Molekülkapseln – so genannte Cyclodextrine (CD) – sortenrein herzustellen und ihre Herstellungskosten drastisch zu senken. Das Unternehmen ist heute der weltweit führende Hersteller dieser „Nanotüten“.
Cyclodextrin heißt so viel wie „Ring aus dem Zucker Dextrin“. Die ringförmigen Moleküle umschließen einen Hohlraum, in dem sie Substanzen aufnehmen können, lange Zeit hervorragend geschützt – ohne feste chemische Bindungen.
Am liebsten nehmen sie Substanzen auf, die eine Abneigung gegen Wasser haben, also unpolar sind. Dazu gehören fettlösliche Vitamine und Öle, leicht flüchtigen Duftstoffe von Parfüms oder auch weniger gut riechende organische Moleküle. Solche Stoffe bleiben dann so lange im Inneren der Wirtmoleküle, bis sie durch ein Übermaß an Wasser wieder verdrängt werden. Auf diese Weise lässt sich Kneipengeruch im Mantel ebenso einfangen und wegsperren wie der Essensdunst in der Küchengardine. Im Wasser der Waschmaschine setzen die Cyclodextrine die Duftmoleküle wieder frei und können erneut als winzige Müllschlucker dienen. Bei einem Überschuss an Wasser und erhöhter Temperatur wandern die Gastmoleküle nämlich lieber vom Cyclodextrin ins Waschwasser und werden so ausgespült.
Ähnlich funktioniert die Schweißabsorption. Hier nehmen die Ringmoleküle jene Stoffe auf, die der Mensch mit dem Schweiß abgibt und die Bakterien – etwa in den Achselhöhlen – verstoffwechseln und dabei in streng riechende Substanzen zersetzen. Abgeschirmt im Inneren der Cyclodextrine sind sie jedoch jedem Zugriff entzogen. Der Vorteil: Die natürliche Bakterienflora wird nicht bekämpft, sie wird nur auf Diät gehalten.
Die Anwendung für Textilien wurde in breitem Umfang erst möglich, als es den Entwicklern von Wacker gelang, Derivate natürlicher Cyclodextrine zu erzeugen, die sich chemisch fest an Cellulosefasern binden.
„An Baumwolle und Viskose lassen sie sich nun so gut koppeln, dass sie sich auch nach häufigem Waschen nicht lösen“, erklärt der Chemiker Jens Moldenhauer. Selbst auf Leder oder Zeltplanen können sie ihre Wirkung entfalten: „Bei den Zeltplanen geht es jedoch nicht um Gerüche, sondern hier können die Cyclodextrine beispielsweise Antischimmel-Mittel beherbergen, die sie nach und nach abgeben“, sagt Moldenhauer.
Mindestens ebenso wichtig wie die Modifikation der Wunderzucker war die drastische Senkung der Produktionskosten. So kostete ein Gramm sortenreines Cyclodextrin vor zehn Jahren noch mehr als 100 € – heute bekäme ein Käufer dafür bereits einige Kilogramm.
Um Cyclodextrine sortenrein herzustellen, muss Wacker Enzyme in hoher Konzentration und Reinheit verwenden und die Endprodukte voneinander trennen und reinigen. Die modifizierten Varianten, zum Beispiel diejenigen, die dank zusätzlicher reaktiver Gruppen mit Cellulosefasern Bindungen eingehen, werden in einem Tauchbad chemisch an die jeweiligen Fasern fixiert. Auch fertigt Wacker eine Reihe von CD-Komplexen, in denen bereits andere nützliche Moleküle eingeschlossen sind.
Herauszufinden, welche Cyclodextrine für Kosmetika geeignet sind und wie sich die CD-Komplexe am besten herstellen lassen, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Marlies Regiert und ihren Kollegen bei Wacker Specialities: „Als eine Top-Firma der Kosmetik-industrie ein möglichst stabiles Vitamin A verwenden wollte, hatte ich die Idee, jedes dieser Moleküle in einer winzigen Kapsel zu verpacken, die es schützt, aber auf der Haut gezielt wieder freisetzt.“ Dass dies in der Tat funktioniert, bewies Regiert mit der Erfindung der Cyclodextrin-Retinol-Komplexe – „den kleinsten Kosmetikkoffern der Welt“.
Vitamin A – auch Retinol genannt – und ähnliche Stoffe sowie Coenzyme sind hochwirksame Substanzen in Anti-Aging-Mitteln und Faltencremes. Sie stimulieren die Zellproduktion, unterstützen die Abstoßung abgestorbener Hautzellen und fangen freie Radikale ab. Andere Wirkstoffe, etwa Teebaumöl, wirken in Anti-Akne-Produkten antibakteriell und desinfizierend. Diese Kosmetikwirkstoffe haben jedoch einen großen Nachteil: Sie sind sehr empfindlich gegen UV-Strahlung und höhere Temperaturen. Das Retinol verträgt nicht einmal den Sauerstoff der Luft. Ungeschützt dem Licht und der Luft ausgesetzt, zerfallen diese Substanzen schnell, verlieren ihre Wirksamkeit – und schlimmer noch: Manche ihrer Abbauprodukte können zu Hautirritationen führen und die Haut schädigen, die sie doch schützen sollen.
Doch mit Hilfe der Cyclodextrine gelang es der Forscherin, die empfindlichen Stoffe zu schützen: Jedes Molekül wird in eine nur wenige millionstel Millimeter kleine Zuckertüte gepackt und erst auf der Haut gezielt wieder abgegeben. „Dabei reichen schon die geringen Wassermengen aus, die ein jeder von uns auf der Haut hat, um die Gastmoleküle wieder freizusetzen“, erklärt Regiert. Die Wirkstoffe sind aber durch ihre Nano-Verpackung so lange vor Umwelteinflüssen geschützt, bis sie auf der Haut ihre glättende Wirkung entfalten können.
Da das Vitamin-A-Molekül zwar sehr gut in den Innenraum eines Gamma-Cyclodextrins passt, aber so lang gestreckt ist, dass es herausragen würde, umgab es die Wacker-Forscherin einfach mit zwei Cyclodextrinen, die sich „wie die Schalen eines winzigen Reisekoffers um das Retinol herumlegen“ – wie Regiert die räumliche Struktur des Komplexes beschreibt. Bei Vitamin F, einem noch gestreckteren Molekül, legen sich sogar vier Cyclodextrine hintereinander, um es in ihrem Inneren zu schützen. Das funktioniert so gut, dass nur drei Prozent eines CD-Vitamin-F-Komplexes in der UV-Strahlung und Hitze eines heißen Sonnentages chemisch abgebaut werden – während eine Mischung mit ungeschütztem Vitamin F in dieser Zeit vollständig zerstört wird. Ähnlich perfekt ist der Einschluss von Vitamin A im Cyclodextrin-Koffer: Werden die CD-Retinol-Komplexe in Kunststofftuben bei Raumtemperatur gelagert, ist der Vitamingehalt auch nach über zwei Jahren noch fast genauso hoch wie am Anfang – während in einer Mischung mit ungeschütztem Retinol bereits nach wenigen Monaten kaum noch Wirkstoff vorhanden ist.
Neben der längeren Haltbarkeit gibt es noch weitere Vorteile der CD-Komplexe. Gesteuert von der Hautfeuchte werden die Wirkstoffe nämlich über Stunden, manchmal Tage, langsam und gezielt freigesetzt. Daher genügt schon das Auftragen kleiner Mengen, um eine hohe Wirksamkeit zu erreichen.
Beim Teebaumöl zeigt sich ein weiterer Vorzug der Verpackung: Im Komplex wird der intensive harzige Geruch des Öls unterdrückt, der ansonsten zu wenig Begeisterung beim Käufer führen würde. Entscheidend ist bei all diesen Anwendungen, dass Cyclodextrine dermatologisch unbedenklich sind. Tests zeigten bislang keinerlei negative – auch keine allergischen – Reaktionen der Haut. Seit einigen Jahren ist das Beta-Cyclodextrin in der EU sogar als Zusatzstoff für Lebensmittel zugelassen.
„Wir haben inzwischen Cyclodextrin-Komplexe für die wichtigsten Anti-Aging-Wirkstoffe entwickelt und patentieren lassen. Unsere Kunden, die Kosmetikhersteller, haben sie auch schon in verschiedenen Produkten auf den Markt gebracht“, sagt Regiert und fügt hinzu, dass der Siegeszug der Cyclodextrine erst begonnen hätte: „Wir finden immer mehr Einsatzmöglichkeiten – selbst Einlegesohlen für Schuhe kann man einen angenehmen Duft verleihen, indem ¿Schweiß-Aromen¿ weggefangen und Duftstoffe über die Hautfeuchte freigesetzt werden. Die Wirt-Gast-Paarung ist ideal für ein fortwährendes Geben und Nehmen.“
Schon vor drei Jahren hatte der deutsche Stofftierhersteller BärenWelt einen Teddybär auf den Markt gebracht, der vom Käufer mit Parfüm besprüht werden konnte und diesen Duft dann so lange im Inneren der auf seiner Oberfläche angebrachten Cyclodextrine versteckte, bis der Kunde darüberstrich.
Künftig könnte sich dieses Prinzip vielleicht auch für medizinische Zwecke nutzen lassen: Dies reicht vom Teddy mit ätherischen Ölen für erkältete Kinder über Kleidung mit Hautpflegemitteln für Personen mit Neurodermitis bis zur Krankenhauswäsche mit keimtötenden Stoffen oder vielleicht sogar dem T-Shirt, das den Sommerurlaub rettet, weil es über lange Zeit Mücken abweisende Substanzen abgibt. Ulrich Eberl
Cycoldextrine
Trojanische Zuckertüten
Wacker fertigt die Cyclodextrine in Bioreaktoren. Hier schneiden Enzyme, die aus Mikroorganismen gewonnen werden, aus Maisstärke winzige Stücke heraus, die sich dann zu ringförmigen CD-Molekülen verbinden. Davon gibt es drei unterschiedlich große, das Alpha-, das Beta- und das Gamma-Cyclodextrin mit jeweils sechs, sieben oder acht Einheiten des Zuckers.
Die Durchmesser des umschlossenen Raums der molekularen Tüten variieren dabei von 0,47 Nanometer bis 0,83 Nanometer, die Höhe beträgt etwa 0,8 Nanometer. Ein Nanometer ist nur ein millionstel Millimeter – und doch reicht dies aus, um die noch kleineren Geruchsmoleküle einzufangen und festzuhalten. ub
Ein Beitrag von: