Algen sorgen für den klaren Kopf danach
An der TU Clausthal-Zellerfeld wurde ein Aufbereitungsverfahren entwickelt, mit dem rund 80 % des fossilen Rohstoffs zurückgewonnen werden können. Derzeit wird es in einer Großanlage praktisch erprobt.
Das kühle Blonde verdankt seinen klaren golden Schimmer der Mitarbeit von abgestorbenen Kieselalgen. Ihre nur wenige Mikrometer kleinen Schalen filtern in der ganzen Welt Hefe und Schwebstoffe aus dem Bier. Etwa 30 000 t verbraucht allein die deutsche Brauindustrie jährlich und verwandelt sie in 72 000 t Abfall. Die Filterschlämme werden deponiert oder auf die Felder gestreut.
An der Technischen Universität Clausthal haben Aufbereitungstechniker eine dritte Möglichkeit entwickelt: Sie recyclieren das Material und gewinnen so 80 % des fossilen Rohstoffes zurück. Eine Technologie, auf die die Brauereien erwartungsvolle Blicke werfen. Der kürzlich in Betrieb genommene Industrie-Pilot der Wittinger Brauerei wird scharf beobachtet.
Die Entsorgung der Filterschlämme auf den Acker ist, „juristisch ein bisschen heikel und für die Brauerein ein Damoklesschwert, weil sie nicht sicher sind, wie lange das noch erlaubt sein wird“, erklärt der Entwickler der Clausthaler Technologie Tobias Leußner. Die Mischung aus Kieselgur und organischen Rückständen ist ein Abfallstoff und muss nach dem Abfallwirtschaftsgesetz verwertet oder beseitigt werden.
Die Brauereien streuen die Masse jedoch durch einen Gesetzes-Spalt auf die Felder, denn da die Bierrückstände bis zu 1,5 % Stickstoff enthalten, sind sie nicht nur Abfall, sondern gleichzeitig auch Düngemittel. Abgesehen von der Unsicherheit, wann diese Lücke geschlossen wird, sind die Kieselalgen-Schalen viel zu schade für die Entsorgung.
„Es haben sich viele an einem Recyclingverfahren versucht“, weiß Leußner. „Es gibt viele Patente, viele Ansätze, aber das Meiste funktioniert nicht, oder wird zumindest nicht angewandt.“ Einzig bei der Dortmunder Tremonis können Brauereien aufgearbeiteten Kieselgur beziehen. In der Regenerieranlage werden die Schlämme getrocknet und anschließend ausgeglüht. Allerdings ist die Qualität des recycelten Materials nur mäßig und kann nur als Zuschlagstoff verwendet werden.
Eines der Hauptprobleme bei der Aufarbeitung des Bierschlammes ist, dass Kieselgur und die organischen Bestandteile gemeinsam sedimentieren und sich so nur schlecht voneinander trennen lassen. Technologien, die darauf setzen, dass Enzyme, Tenside oder Natronlauge die organischen Bestandteile zerstören, verursachen Abwasserprobleme und die Filter, die die Schalen abtrennen sollen, verstopfen.
Die Clausthaler umgehen diese Hürden. Sie machen aus der leicht sauren Bier-Filterbrühe eine alkalische Suspension. Der Grund, so Leußner: „Wenn man den Schlamm einfach mit Wasser suspendieren und dann sedimentieren lassen würde, würden sich Kieselgur und Organik gemeinsam absetzen.“ Durch das Anheben des pH-Wertes ändern sich jedoch die Oberflächenladungen in der Mischung und erzeugen geringe Abstoßungsreaktionen zwischen den organischen Teilchen, so dass sie sich nicht absetzen, sondern in der Lauge schweben.
Der Rest ist Physik. Sie rühren bei etwa 60 °C, damit sich die Kieselalgenschalen von ihrem Filtergut trennen, und müssen dann Filter und Abfall nur noch voneinander trennen. „Das kann man machen, indem man die alkalische Suspension schlicht in einen Behälter füllt und einen Tag wartet oder indem man sie in einen Zyklon leitet und unter hohen Beschleunigungen im Fliehkraftfeld trennt“, erklärt Leußner. Da auch in Brauereien Zeit Geld ist, jagen sie die alkalische Suspension durch mehrere parallel geschaltete Mini-Hydrozyklone. Jeder hat einen Durchmesser von 1 cm und bei Zentrifugalkräften von bis zu 10 000 G trennen sich schwere Kieselgur- von leichten Organikbestandteilen.
Das ganze Verfahren läuft in einem vierstufigen Gegenstrom-Waschprozess. In der fünften Stufe wird das regenerierte Filtermaterial als saubere Kieselgur-in-Wasser Suspension abgezogen und frisches Wasser zugegeben. Dadurch wird die Lauge immer weiter verwässert, bis sie fast neutral ist und wieder in den Brauereiprozess übernommen werden kann. „Das ist ein netter Nebeneffekt, das wir das Material gar nicht trocknen müssen, sondern direkt wieder als Suspension einsetzen können. In der Brauerei wird frisches Material auch erst suspendiert und dann ins Bier zum Filtrieren dosiert.“
Mit vier Waschschritten gewinnen die Clausthaler 80 % der Algenskelette zurück. Die restlichen 20 % – zertrümmerte Kieselgur oder Abrieb – sind im Filtermaterial nicht erwünscht.
Das Verfahren funktioniert. Mit der Pilotanlage in der Wittinger Brauerei waren die Clausthaler und ihre Partner von den Heinrich Meyer-Werken in Breloh sogar so erfolgreich, dass die Brauerei die Anlage nach dem Testbetrieb gleich gekauft hat. „Mit fünf parallel geschalteten Zyklonen je Stufe fahren wir Durchsätze von 80 kg/h“, berichtet Leußner.
Und um aus dem Forschungs-Prototypen eine richtige Industrieanlage zu machen, mussten lediglich Schläuche durch feste Leitungen ersetzt, Tanks in der richtigen Größe installiert und die Steuerung überarbeitet werden. Seit wenigen Wochen ist sie in Betrieb und natürlich läuft sie nicht so einwandfrei wie ein Serienprodukt. „Diese Anlage besteht aus so vielen neuen Elementen und Entwicklungen, dass wir kaum auf andere Erfahrungen bauen können. Dazu kommt, dass der Stoff sich manchmal sehr merkwürdig verhält“, begründet er. Mal zickt die Steuerung, mal verklebt der Bier-Hefe-Schlamm die Ventile oder der Schaum, der aus den Zyklonen aufsteigt, verstopft die Überlauf-Öffnungen. „Das sind eben 1000 Kinderkrankheiten, aber das muss wahrscheinlich so sein. Und je neuer und spektakulärer ein Verfahren ist, desto mehr davon gibt es“, nimmt er es mit Humor. „Wenn die Anlage erst einmal zwei Wochen am Stück durchgelaufen ist, werden sämtliche deutsche Brauerein unseren Partner anrufen und eine bestellen“, lachte er zwinkernd.JO SCHILLING/wip
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