Qualität auf molekularer Ebene
Die Kernspintomographie liefert in der medizinischen Diagnostik wertvolle Dienste. Forscher entdecken die Technik jetzt auch für schnelle und präzise Materialuntersuchungen.
In der organischen Chemie und Biochemie ist die Kernspinresonanzspektroskopie, kurz NMR-(Nuclear Magnetic Resonance)-Spektroskopie, schon seit langem eine Standardmethode: Die zu untersuchende Probe befindet sich in einem Magnetfeld und wird darin einem millisekundenkurzen Impuls von Ultrakurzwellen ausgesetzt. Dadurch werden die im Magnetfeld ausgerichteten Wasserstoffatome der Probe in ihrer Position „gestört“ und zu einer Bewegung angeregt. Die Frequenz dieser Bewegung ist charakteristisch für die chemische Umgebung der Wasserstoffatome, etwa Art und Anzahl der Nachbaratome. Sie wird gemessen und erlaubt Rückschlüsse auf die Struktur der Moleküle. Eine Variation der NMR-Spektroskopie, die sogenannte Kernspintomographie, wird in der Medizin vor allem zur Untersuchung des Gehirns eingesetzt. Da verschiedene Gewebe unterschiedlich auf die UKW-Anregung „antworten“, kann aus den gemessenen Frequenzen ein Abbild der untersuchten Gehirnregion berechnet werden. Gegenüber der Röntgenstrahlung hat die Kernspintomographie den Vorteil, auch verschiedene weiche Gewebe kontrastreich darstellen zu können. Dadurch läßt sich beispielsweise ein Tumor von gesundem Gewebe unterscheiden. Außerdem kennt man bisher keine gesundheitlichen Risiken der Kernspintomographie.
Am Göttinger Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie arbeiten Wissenschaftler um Professor Jens Frahm an der Weiterentwicklung von Methoden der medizinischen Bildgebung, etwa an besserer räumlicher Auflösung und Verkürzung der Meßzeit. Die Forscher können inzwischen mit Kernspintomographie die Funktion einzelner Regionen des Gehirns erkennen. Bewegt eine Versuchsperson etwa einen Finger, den sie vorher ruhig hielt, so ändert sich die Sauerstoffkonzentration des Blutes an der für die Fingerbewegung zuständigen Stelle im Gehirn, wodurch sich das NMR-Signal ändert. Den Göttinger Wissenschaftlern ist bereits gelungen, der optischen Wahrnehmung beliebiger Bilder und dem Lesen, also dem Erkennen bekannter Buchstabenfolgen, verschiedene Bereiche im Gehirn zuzuordnen. Sie hoffen durch solche Untersuchungen nicht nur, mehr über die Informationsverarbeitung im Gehirn zu erfahren. An einigen Unikliniken werden die Verfahren bereits erprobt, um vor neurochirurgischen Operationen abzuschätzen, welche Bereiche des Gehirns und damit welche Fähigkeiten eventuell in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. „In zwei bis drei Jahren könnten die Verfahren zur Routine werden“, hofft Professor Frahm.
Gut geeignet ist die bildgebende Kernspinresonanz auch in der Materialforschung, vor allem zur Analyse weicher Materialien, etwa Kunststoffe. So lassen sich Materialfehler oder das Verhalten unter Spannung erkennen. Eine weitere Anwendung ist die Beobachtung des Fließverhaltens laminarer Flüssigkeiten. Bei der Kunststoffverarbeitung kann die Verteilung der Schmelze im Mischer oder Extruder von außen untersucht werden. Damit lassen sich „tote“ Bereiche lokalisieren, in denen sich die Schmelze festsetzt, ohne weitertransportiert zu werden. Auch bei dem für die Blutwäsche bei Nierenkranken genutzten Dialysator kann die Qualitätskontrolle mit Kernspintomographie durchgeführt werden. Der Dialysator enthält mehrere tausend millimeterdünne semipermeable Hohlfasern, durch die das Blut gepumpt wird. Mit der Kernspintomographie kann die Fließgeschwindigkeit des Blutes und der außerhalb der Hohlfasern entlanggeführten Waschflüssigkeit gemessen und damit die korrekte Einstellung des Dialysators kontrolliert werden.
Eine mobile NMR-Sonde, die die Einsatzmöglichkeiten noch vergrößert, wurde an der RWTH Aachen entwickelt. „Das Teuerste an einem konventionellen NMR-Gerät sind die riesigen supraleitenden Magnete, die ein möglichst homogenes Magnetfeld gewährleisten müssen. Für die Bildgebung jedoch brauchen wir gar kein homogenes, sondern ein inhomogenes Feld“, erläuterte Professor Bernhard Blümich vom Aachener Institut für Makromolekulare Chemie kürzlich auf einer Veranstaltung der Gesellschaft Deutscher Chemiker in Frankfurt. Dies brachte Blümich und seinen Mitarbeiter Peter Blümler auf die Idee, eine Sonde aus zwei parallel angeordneten, gegensinnig gepolten Permanentmagneten zu bauen, zwischen denen eine Oberflächenspule das benötigte Hochfrequenzfeld erzeugt. „Das besondere daran ist, daß der Meßbereich nicht mehr in der Apparatur ist, sondern davor“, so Blümich. Dadurch kann die NMR-MOUSE (MObile Universal SurfacE scanner) auf Objekte beliebiger Größe aufgelegt werden und eignet sich zur Untersuchung oberflächennaher Bereiche bis zu ca. 5 mm. Die Aachener Forscher hoffen, durch Änderungen der Magnetform und -anordnung innerhalb eines Jahres die Eindringtiefe auf rund 10 mm zu erhöhen.
Ein transportables NMR-Gerät mit der an der RWTH Aachen entwickelten MOUSE wird seit wenigen Wochen von der Karlsruher Firma Bruker Analytical Instruments vertrieben. Mit rund 70 000 DM ist es wesentlich billiger als die stationären NMR-Geräte, für die etwa 1,6 Mio. DM investiert werden müssen. Eingesetzt wird die NMR-MOUSE bereits bei der Prüfung von Autoreifen. Nicht nur Motorsport-Fans wissen, daß Material und Verarbeitung der Reifen auf das Fahrverhalten einen entscheidenden Einfluß haben. „Ein Reifen sieht zwar simpel aus, ist aber aus vielen verschiedenen Schichten zusammengesetzt, in der jede einzelne Gummi-, Stahl- oder Nylonschicht aufeinander abgestimmt sein müssen“, betonte Blümich. Dicke und Homogenität der einzelnen Schichten sind durch Hell-dunkel-Schattierungen im NMR-Bild der MOUSE erkennbar. Bereits jetzt wird das Gerät von verschiedenen Reifenherstellern bei ihren Testserien auf dem Nürburgring angewendet, während früher die Reifen zerschnitten werden mußten, um im Labor untersucht werden zu können. Einen Einsatz der mobilen NMR-Sonde kann sich Blümich auch in der Sportmedizin bei der Untersuchung von Muskeln und Sehnen vorstellen.
KARIN SCHMITZ