Sondieren, was die Adern halten
Die Kardiologen haben die minimalinvasive Chirurgie entdeckt. Miniwerkzeuge und Mikronähte ebnen den Weg zur sanften Herz-Op. Neue Verfahren erleichtern die Diagnose.
Der klassische Infarktpatient ist männlich, über 40 Jahre alt, dick, Raucher, gestresst und obendrein ein Sportmuffel. Mancher Manager passt perfekt zu dieser Beschreibung, trotzdem trifft die Bezeichnung Managerkrankheit längst nicht mehr auf die Managerkrankeit zu.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in den Industrieländern der Killer Nummer eins. Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 77 000 Menschen an einem Herzinfarkt, und zwar nicht mehr nur alte Menschen und Männer in den besten Jahren. Weil der Lebensstil immer ungesünder wird, trifft der Blitztod auch zunehmend 30- bis 40-Jährige sowie Frauen. Und dass immer mehr an Übergewicht und Bewegungsmangel leiden, lässt für die Zukunft wenig Gutes erwarten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass im Jahr 2020 jeder zweite Todesfall durch Arteriosklerose verursacht wird.
Doch die moderne Hochleistungsmedizin sorgt dafür, dass immer weniger Betroffene an ihrem ersten Infarkt sterben. Seit kurzem zeichnet sich bei der Behandlung der koronaren Herzkrankheit ein Strategiewechsel ab: Die Kardiologen haben den Reiz des Kleinen entdeckt. Statt das Brustbein aufzusägen, die Rippen auseinander zu klappen und die Lungenflügel beiseite zu räumen, versuchen sie, minimalinvasiv zu operieren. Durch drei kleine Löcher stecken die Chirurgen ein Endoskop – eine beleuchtete Minikamera –, Operationsinstrumente und Greifer. Eine Technik, die sich bei Gelenken, in der Bauchhöhle und auch bei Zahnoperationen bewährt hat.
Doch viele Probleme der minimalinvasiven Herzchirurgie sind noch nicht gelöst. „Es ist sehr schwierig, am schlagenden Herzen eine Mikronaht zu machen“, erklärt Prof. Olaf Dössel, Leiter des Institutes für Biomedizinische Technik der Universität Karlsruhe. In der klassischen Herzchirurgie wird das Herz stillgelegt – die Blutversorgung von Gehirn und Körper übernimmt eine Herz-Lungen-Maschine. Die Folge: „Der Patient braucht Wochen, um sich von so einem Eingriff zu erholen“, sagt Dössel. „Wenn man das Herz nicht anhalten müsste, wäre das ein riesiger Gewinn.“
Einige Wissenschaftler versuchen, das Herz mit Saugern am Zucken zu hindern, andere passen die Bewegungen des Werkzeugs dem Herzschlag an, aber über die ideale Lösung sind sich die Experten noch nicht einig. Dennoch wird schon mit Mikrowerkzeugen operiert. DaVinci ist ein Roboter, der durch einen kleinen Schnitt im Brustkorb bis zu den Herzkranzgefäßen geschleust wird. Dort setzt er Bypässe ein.
Noch nicht in den Operationssälen angekommen ist eine andere minimalinvasive Technik. In ersten Tierexperimenten versuchen Wissenschaftler, Herzklappendefekte quasi durch das Schlüsselloch zu operieren. Stand der Technik ist ein Eingriff, bei dem eine künstliche Klappe eingenäht wird. Bei der neuen Methode schieben die Ärzte die Klappe mit Kathetern durch ein großes Blutgefäß bis ins Herz. Sie ist ein Metallnetz, das dann im Herz aufgespannt wird. Die alte, defekte Klappe schneiden sie ab und saugen sie durch den Kanal im Blutgefäß heraus.
Moderne Herzklappen bestehen aus Metall, Keramik oder Gewebe von Schweinen. Doch nicht immer akzeptiert der Körper das Fremdmaterial problemlos. So lange die Mediziner kein menschliches Gewebe nachzüchten können, versuchen sie es mit der so genannten Angiogenese als Alternative: Dabei programmieren die Herzspezialisten Zellen um. Mit Enzymen oder Stückchen aus Erbgut, die sie in das Herzgewebe schleusen, versuchen sie, Zellen dazu zu bringen, eine neue Funktion zu übernehmen – zum Beispiel die einer Herzklappenzelle.
Doch vor der Operation steht – so klein der Eingriff in Zukunft auch sein mag – die Diagnose. Um einen Blick auf das kranke Organ zu werfen, waren Kardiologen bisher auf die klassische Koranarangiographie angewiesen. Dabei spritzen sie dem Patienten ein Kontrastmittel in die Gefäße und beobachten auf Röntgenbildern, wie es sich in den Herzkranzgefäßen verteilt, was wiederum den Gesundheitszustand des Herzens offenbart.
Das Kontrastmittel birgt aber Risiken: Es kann einen Kreislaufkollaps auslösen. „Etwa einer von tausend Patienten stirbt bei einer Koronarangiographie“, sagt Dössel. So werden neue bildgebende Verfahren vermutlich schon bald bei der Vorsorge eine größere Rolle spielen. In der klinischen Erprobung sind inzwischen so genannte Mehrzeilen-Computertomographen. Sie sind leistungsfähig genug, um Bilder vom bewegten Herz aufzunehmen, und das ohne Kontrastmittel.
Besonders schonend für den Patienten ist ein Projekt, das etwa in fünf Jahren zum Einsatz kommen wird: das virtuelle Herz. Momentan vermessen die Karlsruher die Herzen von Patienten und schaffen davon ein exaktes Modell am Computer: Geometrie, elektrische Eigenschaften, Herzschlag – genau wie beim menschlichen Vorbild. „Dann können alle Therapiemaßnahmen am Computer durchgespielt werden“, ist Dössel überzeugt.
Besonders die Dosierung von Medikamenten basiert immer noch häufig auf der Versuch-und-Irrtum-Methode. Mit einer virtuellen Therapie müsste der Arzt nicht lange warten, bis sich der menschliche Organismus auf den Wirkstoff eingestellt hat, und der Chirurg kann am Monitor testen, ob seine Operationsstrategie aufgeht. Aber noch sind die Rechner zu langsam. „Es gibt Dinge, da kommen wir schon sehr gut an die Realität heran“, betont Dössel. „Allerdings taugt die Simulation momentan nur für die Grundlagenforschung. Als Werkzeug für den Herzchirurgen können wir das Programm noch nicht ansehen.“ JO SCHILLING
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