Mediziner nehmen Moleküle an die lange Leine
Auch die Medizin stößt vor in die Welt des Allerkleinsten. Denn die Nanotechnik erlaubt den Zugriff auf einzelne Moleküle – was die Hoffnung auf Therapien nährt, die weit gezielter und effektiver sind als die von heute.
Die „nächste technische Revolution“ sieht im Trinkglas aus wie pechschwarze Tinte, wie feiner schwarzer Russ, aufgelöst in Wasser. Ihr Geheimnis gibt die dunkle Brühe unter dem Rasterkraftmikroskop preis: Die Partikel sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, deren Durchmesser kleiner ist als die Wellenlänge des Lichts, nämlich nur 1 Nanometer (Nm).
Im vergangenen Jahr gelang es Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart erstmals, diese Nanoröhrchen zu einer Faser zu verspinnen und elektrische Spannung anzulegen. Wie eine Muskelfaser wippen die Röhrchen dann auf und ab. „Schon in drei bis fünf Jahren könnte mit diesem künstlichen Muskel der Kopf einer neuen, viel kleineren Generation von Endoskopen bewegt werden“, glaubt Marco Burkhardt, Werkstoffwissenschaftler vom Stuttgarter Institut. Sehr viel später sollen Pumpen folgen und winzige Greifarme – Tentakel eines Nanoroboters, der so klein ist, dass er durch die Blutbahnen des Menschen passt.
Erfindungen wie die am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart schaffen die Grundlagen für eine neue Art von Medizin. Viele Heilmethoden gleichen heute in ihrer Grobheit dem Versuch, mit dem Vorschlaghammer eine kaputte Uhr zu reparieren. Künftig sollen einige Werkzeuge des Arztes auf ein molekulares Format zusammenschrumpfen. Deutsche Forschungsinstitute liegen an der Spitze des Nanofortschritts. Mit bis zu 100 Mio. DM fördert der Bund in den kommenden sechs Jahren Projekte der Nanobiotechnik und der Medizinforschung.
Die phantasievollsten Visionen indes haben amerikanische Nanospezialisten. „Hundertfünfzig-spurige Schnell-straßen könnten noch durch unsere feinsten Blutgefäße gebaut werden“, schrieb der US-Forscher und Nano-Visionär Eric Drexler 1986 in dem Buch „Engines of Creation“. Er spielt damit auf ein neues Medikamenten-Verteilsystem an, das eines voraussetzt: funktionierende Nanotransporter. Viele Nanoforscher beschäftigen sich mit Transportmitteln, die Medikamente in den Körper einschleusen und verteilen sollen.
Einer davon ist Prof. Martin Schmidt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Boston. Er ist Leiter des Labors für Technologie der Mikrosysteme am MIT, wo so genannte Micro Electro-Mechanical Systems (MEMS) entwickelt werden – winzige Implantate, aus deren nanometerfeinen Spalten künftig beispielsweise Insulin in den Körper gelangen könnte. Durch ihre programmierbare Mikroelektronik lässt sich einstellen, wann sich die Spalten öffnen und die Medizin freisetzen.
Doch bis zur Praxis ist der Weg in der Nanotechnik oft weit. Mit den Spalten im Nanomaßstab wollten die Forscher verhindern, dass Antikörper in der Größe mehrerer hundert Nanometer in das Gerät eindringen. Doch sie stellten verblüfft fest, dass sich die Antikörper durch die Nadelöhr-Löcher „quetschen“ wie Luftballons durch einen Flaschenhals. So verkleben die Immunzellen häufig das Gerät und machen es unbrauchbar.
Um die Immunabwehr des Körpers zu überlisten, versuchen deutsche Forscher, die Natur nachzuahmen: Viren gelingt es oft, den Immunzellen des Körpers zu entkommen. Sie schleusen sich trickreich in Zellen hinein und nutzen deren Apparatur zur Synthese eigener Bausteine, um daraus viele Kopien von sich herzustellen. Die meisten Viren messen zwischen 20 und 200 nm und bestehen nur aus einigen hundert Molekülen.
Nach dem Muster der Viren experimentieren Wissenschaftler der Universität Saarbrücken mit Nanofähren. Ziel ist es, pharmazeutische Wirkstoffe oder Genomteile über die Zellmembran direkt in den Zellkern zu schmuggeln. Grundbausteine der Fähren sind Siliziumdioxid-Partikel mit einer Größe von etwa 25 nm. Diese Kügelchen werden mit einer positiven Ladung versehen, so dass sich negativ geladene DNA oder Wirkstoffe ganz von selbst an das Nanoteilchen schmiegen. Moleküle dieser Größe werden von vielen Körperzellen geschluckt – man nennt das Endozytose.
Um die Immunabwehr auszutricksen, legen die Forscher eine Schicht aus bioaktiven Lektin-Proteinen um die Fähren. Sie signalisiert der Zelle: Hier kommt kein Fremdling, sondern ein Nährstoff. Auf diese Weise können auch nanoformatige Eisensplitter in die Zelle geschmuggelt werden. Damit beschäftigt sich Krebsforscher Andreas Jordan von der Charité in Berlin. Er spritzt die Nanospäne ins Tumorgewebe, lässt sie in die Zellen eindringen und legt dann ein starkes Hochfrequenz-Magnetfeld an. „Dadurch geraten die Teilchen in Schwingung, produzieren Wärme und zerstören die Krebszelle.“ Das Verfahren wird bereits im Tierversuch erprobt. Ende des Jahres sollen klinische Tests bei Patienten mit Gehirntumor folgen.
Andere Nanoforscher suchen nach neuen, feineren Diagnosesystemen. So können Metallionen im Blutplasma je nach Dosis Krankheiten hervorrufen. Freie Radikale von Eisen und Zink können Hautprobleme erzeugen, Kupferoxid ist für Arterienschwäche verantwortlich, Kobaltoxid gilt als Verursacher von Anämie. Ihre kritischen Konzentrationen unterscheiden sich oft um viele Zehnerpotenzen. Um einzelne Metallionen auszumachen und deren Konzentration zu messen, nutzen Forscher vom MIT-Department of Chemistry so genannte peptid-basierte Chemosensoren. Um die Ionen voneinander zu unterscheiden, entwickeln die Forscher fluoreszierende Peptidverbindungen mit unterschiedlichen Seitengruppen, die die gesuchten Ionen herausfischen. Unter einer Fluoreszenz-Lampe signalisieren leuchtende Peptide dann, dass die gesuchten Ionen vorhanden sind.
P. KNURHAHN/E. BODDERAS
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