„Große Systeme lassen sich bald nicht mehr betreiben“
Das 2005 gegründete Thüringer Medizintechnik-Unternehmen Advanced Shockwave Technology Jena GmbH (AST) will mit flexibler und damit preisgünstiger Stoßwellentechnik den etwas schwerfälligen Markt für Nierensteinzertrümmerer aufrollen. Werner Schwarze, Gründer und Firmenchef, ist ein alter Fuchs im Metier. Er will, wie er im folgenden Gespräch verdeutlicht, eine Reihe eigener Patente in die Neuentwicklungen einbringen. VDI Nachrichten, Düsseldorf, 27. 2. 09, elb
Schwarze: Die Stoßwellengerättechnik durchlief in den letzten Jahrzehnten mehrere Generationen. Die ersten Systeme füllten Räume und kosteten um 2,5 Mio. €. Das war noch echter Maschinenbau. Langsam gingen die Preise nach unten, doch die Wirkweise nahm ab. Die Zertrümmerungsergebnisse wurden immer schlechter. So war es einerseits unser Ziel, einen flexiblen Stoßwellenkopf zu entwickeln, der sich mit den bereits vorhandenen Tischen, Röntgen-C-Bögen und Ultraschallgeräten, wie man sie zur Ortung braucht, preisgünstig adaptieren lässt. Und andererseits hatten wir die verrückte Idee, die Stoßwellenenergie nicht noch weiter zu fokussieren, sondern sie zu „verschmieren“.
Wie ist das zu verstehen?
Eine Stoßwelle, wie wir sie produzieren, ist ein singulärer Druckpuls, der sich nach einer elektromagnetischen Zündung unter Wasser im Therapievolumen in 10 bis 20 Nanosekunden in der Stoßfront bis auf 40 Megapascal aufsteilt. Das entspricht dem Druck von 100 Lkw-Reifen oder den Verhältnissen in 4000 m Wassertiefe. Mit 1500 m pro Sekunde breitet sich die Stoßfront auf gerade 1,5 mm Pulsbreite im Körper aus. Das ist enorm, garantiert aber nicht zwingend eine hohe Trefferquote. Denn der Patient atmet ja, bewegt sich ein wenig – und ein Harnstein ist klein. So dachten wir – wie man auf Fasanen besser mit Schrot als mit Kugeln schießt – sei es besser, ein größeres Areal zu bestreichen statt mit extrem hohen Drücken zu therapieren. Das reduziert auch die Gefahr von Nebenwirkungen am Gewebe.
Der günstigere Preis, den Sie avisieren, rührt aber nicht daraus?
Nein. Bisher war der Stoßwellenkopf mehr oder minder fest arretiert. Aber Sie kennen ja aus dem Witz die zwei Möglichkeiten, eine Kuh zu melken: Entweder zieht man am Euter oder man hebt die Kuh hoch und runter, und einer hält nur das Euter fest. Und bisher wurde im Prinzip die Kuh bewegt: Man fuhr den Tisch mit dem Patienten so lange herum, bis der Stein vor dem Stoßwellenkopf saß.
Unsere Technologie kennt keine starre Ankopplung zwischen Tisch, Stoßwellengerät und Röntgenortung. Wir entwickelten ein kleines, handliches System auf Rädern – und mit einer quasi kardanischen Kugelkopfführung -, das über Ultraschallsensoren ständig mit den anderen Komponenten kommuniziert. Damit lässt es sich frei im Raum bewegen. In der Geodäsie nennt man das Verfahren Triangulation. Der Arzt bekommt das Therapievolumen permanent in das Röntgen- oder Ultraschallbild eingeblendet. So kann er wahlweise den Tisch oder den Therapiekopf bewegen. Anschließend rückt er das Stoßwellenteil an die Wand und hat ein freies Zimmer, in dem er mit seinem C-Bogen und dem Tisch Endourologie machen kann.
Der Effekt entsteht also maßgeblich durch eine ökonomischere Raumnutzung?
Ja, genau. Denn wir haben heute in den Kliniken nicht mehr 1000 Behandlungen pro Jahr, meist sind es noch 150 bis 250. Es gibt wesentlich mehr Nierensteinzertrümmerer, der Patient muss nicht mehr zum Gerät reisen. Die Behandlung dauert gut eine halbe Stunde, man macht vielleicht eine am Tag – den Rest der Zeit steht die Technik da. Man muss den Tisch also auch für andere Eingriffe nutzen können.
Außerdem wird es für den Betreiber schwer, ein Gerät von einer halben Million Euro zu amortisieren, wenn er nur noch 200 Behandlungen hat, für die er im Schnitt 800 € erhält.
Sie avisieren damit gewissermaßen einen Massenmarkt, wie es ihn so noch nicht gibt?
Wir hoffen schon, auf größere Stückzahlen zu kommen als sie die Branche derzeit erreicht. Bisher fertigen die Hersteller von Nierensteinzertrümmerern 50 bis 70 im Jahr. Bei einem Lebenszyklus von fünf bis acht Jahren entstehen damit rund 300 Geräte pro Typus. Dem stehen Entwicklungskosten von einigen Millionen entgegen. Auch wir haben fast drei Jahre entwickelt. Aber wir denken, wenn der Abnehmer in Japan oder den USA unseren „LithoSpace“ auch mit seinem lokal gefertigten C-Bogen oder Tisch kombinieren kann, erhöht das spürbar Akzeptanz und Nachfrage.
In welchen Dimensionen denken Sie hierbei?
Wir betreiben Losfertigung mit Kleinserien ab zehn Systemen. Andernfalls käme es zu teuer. Unser Ziel sind anfangs 50, dann um die 100 Stück im Jahr. Die ersten Kleinserien sind fertig und weitgehend auch installiert, so in Deutschland und Österreich. Hier laufen sie klinisch sehr gut. Auch in den USA werden bereits Patienten mit unserem Gerät behandelt, in Russland sind wir gleichfalls registriert.
Wie groß ist denn das Marktpotenzial?
Wir schätzen, dass in der entwickelten Welt – Europa, Nordamerika, Russland, Australien, Japan und weitere Teile Asiens – 3000 bis 4000 Nierensteinzertrümmerer installiert sind. Ihre Lebensdauer beträgt gut zehn Jahre. Der Replacement-Markt beträgt also 300 bis 500 Systeme pro Jahr. Als neue Kunden hinzu kommen derzeit Länder des Nahen Ostens, auch Nordafrika sowie die GUS-Staaten. Außerdem besitzen Indien und China eine lokale Produktion, die indes nicht unseren Zulassungskriterien entspricht. Allein in China vermuten wir um die 5000 Geräte, die nach und nach zu erneuern sind. Da tut sich also viel Markt auf, zumal die Zahl der Erkrankungen wächst.
In welchem Umfang?
Global gesehen um etwa 15 Fälle pro 1000 Einwohner. In China sind es etwas mehr, in Deutschland etwas weniger. Das hat auch mit der Qualität des Trinkwassers und dem bei uns höheren Bierkonsum zu tun. Nimmt man also – China eingerechnet – rund 3 Mrd. Menschen, denen die Technologie zur Verfügung stehen könnte, sind das 4,5 Mio. Neuerkrankungen im Jahr. Und im Schnitt therapiert ein Gerät etwa 500 Patienten. Damit benötigt man weltweit 9000 Stoßwellenköpfe. Wir haben auch schon einmal genauer gerechnet und sind auf 13 500 Systeme gekommen.
Wir meinen, nicht zu ehrgeizig zu sein, wenn wir denken, in den nächsten gut zehn Jahren an die 1000 Geräte verkaufen zu können. Wir bieten halt die fortschrittlichste Generation. Unser Gerät ist Teil der Peripherie eines endourologischen Arbeitsplatzes, von denen eine Klinik heute zwei bis drei hat, und an denen jährlich 1000 bis 2000 endoskopische Eingriffe stattfinden. Hier liegt eine wesentliche Zukunftslinie der Medizintechnik. Große Systeme sind bald nicht mehr betreibbar.
Wo sehen Sie wachsende Märkte?
Riesig ist das Interesse in Osteuropa, etwa Rumänien, Bulgarien, Litauen. Vorerst konzentrieren wir uns aber auf den deutschsprachigen Raum. Denn jeder Neukunde fragt zuerst: Wo steht das System in Deutschland? Man muss in unserem Metier erst in Heimspielen punkten, um auswärts erfolgreich sein zu können. Entsprechend sind in Deutschland und Österreich die Referenzstellen heikelst umkämpft. Hier konkurrieren wir mit dem „Who is Who?“ der deutschen Medizintechnik.
Wie wollen Sie wachsen?
Perspektivisch streben wir 10 Mio. € bis 20 Mio. € Jahresumsatz an. Das ist abhängig davon, ob wir zu unseren Geräten noch tangierende Komponenten zukaufen und installieren. Nach dem Produktionsstart letztes Jahr rechne ich für 2009 mit gut 3 Mio. €. Das wäre der Break-even. In der Medizintechnik gilt eine Faustregel: Man muss pro Mitarbeiter 200 000 € Umsatz im Jahr machen. Wir sind Ende 2009 wohl bei 13 Leuten.
Bauen Sie die Stoßwellengeräte komplett selbst?
Ja. Wir fertigen sie aus zugelieferten Komponenten – etwa Stoßkreise, Ladegeräte und Speichermedien – selbst, also nach unserem Design, unserem Bauplan. Da gibt es nichts von der Stange.
Bleibt der Nierensteinzertrümmerer Ihre einzige Stoßwellenanwendung im klinischen Bereich? Es gibt ja mittlerweile weitere Felder.
Ja, etwa in der Orthopädie bei nicht heilenden Knochenbrüchen, bei Verkalkungen an Sehnen oder Einlagerungen in Gelenken. Wir arbeiten bereits an dieser Thematik. Ich denke, im Laufe der nächsten zwei Jahre stellen wir auch hier kleine innovative Tischgeräte vor.
Haben Sie Niederlassungen im Ausland?
Ja, in Phönix/Arizona. Weitere werden folgen. Hierbei setzen wir in der Regel auf spezialisierte Händler vor Ort, die in der Lage sind, die Produkte zu verkaufen, die klinische Applikation zu bewerkstelligen und sich auch um den After Sales Support zu kümmern. Das hat sich bewährt. HARALD LACHMANN
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