„Ohne Bilder geht nichts mehr“
Schöne Bilder machen können wir auf jeden Fall“, sagte der Neurolinguist David Pöppel von der Universität Maryland, „aber wie sollen wir sie interpretieren?“ Er zeigte Gehirnschnittbilder aus dem Positronen-Emissions-Tomographen (PET). Darin flackerten die aktivierten Hirnregionen, die „Knubbel im Kopf“. Aber immer, wenn die Forscher die Ausgangsbedingungen ändern, sitzen die Knubbel an anderer Stelle. Die Gehirnregionen, in denen sich Sprache und Sprachgebrauch abbilden, lassen sich so nicht lokalisieren, vielleicht sogar prinzipiell nicht. Die schön leuchtenden Knubbel im Kopf zeigen nur Korrelationen, liefern aber keine Erklärungen.
„Das Bild in der Wissenschaft“ war der Titel einer zweitägigen Konferenz Mitte Dezember in Berlin, zu der die Volkswagenstiftung Naturwissenschaftler und Kunsthistoriker eingeladen hatte. Die Naturwissenschaften sind seit etwa zwanzig Jahren zu bedeutenden Bildproduzenten geworden. Ihre visuellen Artefakte zieren nicht nur Wissenschaftsblätter, sondern auch Zeitschriften und Magazine.
Einer staunenden Öffentlichkeit künden die Bilder von immer neuen Entdeckungen, den Geldgebern sollen sie so einleuchten, dass Etats bewilligt werden und den Forschern dienen sie oft auch als Erkenntnisinstrumente. Die Datenflut ist häufig so groß, dass ohne Visualisierung eine Arbeit damit gar nicht möglich wäre. „Ohne Bilder geht nichts“ formulierte der Biochemiker Christian Griesinger aus Göttingen.
Den Anstoß für die Konferenz hatten die Kunsthistoriker gegeben. Ihnen schwimmen in gewisser Weise die Felle davon. Obwohl sie doch Begriffe und Methoden zur Analyse von Bildern zur Verfügung haben, stehen sie erschrocken und eher hilflos vor dieser visuellen Welt aus dem Mikro- und Makrokosmos. Wie herangehen an Bilder, bei denen sich nicht mehr abgrenzen lässt zwischen Modell und Abbild, zwischen Schema und Visualisierung?
In Berlin kam die deutlichste und schärfste Bildkritik denn auch nicht von den Geisteswissenschaftlern, sondern aus den Reihen der Naturwissenschaftler. Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, warnte vor „problematischen Veranschaulichungen“, die zu „falschen Intuitionen“ führen können. Der Züricher Wissenschaftshistoriker Peter Keimer wies an Beispielen nach, dass es im Visuellen oft gar nicht um die Generierung von Wissen gehe, sondern um schöne Bilder – um Design. Innerhalb der Naturwissenschaft sind solche Stimmen aber noch in der Minderheit.
Tatsächlich hängen viele Forscher noch einem naiven Bilderglauben an und haben den „iconic turn“ in ihrer Disziplin noch nicht verarbeitet. So forderte Wolf Singer denn auch, Studenten schon in der Ausbildung im Umgang mit den Bildwelten zu schulen, sie mit der Ambivalenz und unterschiedlichen Funktionalität der Bilder vertraut zu machen – was von den Kunsthistorikern zu lernen wäre. „Bilder sind offen gegenüber ihrer Rezeption“, analysierte der Wissenschaftshistoriker Jochen Hennig. Wissen werde immer mit Hilfe von Bildern geformt und gefestigt, „aber Bilder sind immer mit Offenheit und Unsicherheit verbunden“.
Das wird besonders deutlich in einer der spektakulärsten Disziplinen der wissenschaftlichen Bilderproduktion – in der Nanowelt. Überall sehen wir phantastische und farbige Abbildungen – obwohl es in der Welt der Atome überhaupt keine definierten Oberflächen gibt, keine Farben und keinen Schattenwurf. Bilder aus Tunnelrastermikroskopen sind keine Abbilder, sondern nur die visuelle Umsetzung von abgetasteten Daten.
Sie sehen oft aus wie Landschaften mit Tälern und Bergen, aber das hat mit der Vorstellung der Graphiker zu tun, nicht mit der Nanowirklichkeit. Der Schweizer Physiker Otmar Marti zeigte, wie Kunststoffmoleküle im Rastertunnelmikroskop abgetastet werden, übersetzte die Daten in ein fiktives Gelände, fügte Schattierungen hinzu, kolorierte die Hügel grün, setzte einen Polarisationsfilter ein – und nannte das entstandene Bild mit ironischem Unterton „Zen-Garten der Polymer-Physik“.
Naturwissenschaftliche Bilder sind oft auch Teil wissenschaftlicher Experimente – und wirken dort auf die Wissenschaft selbst zurück. Solche Rückwirkungen können auch fatal ausfallen. Als einprägsames Beispiel analysierte der Mikrobiologe Klaus Schwamborn vom Pariser Institut Pasteur die Geschichte der Grünen Meduse. In den sechziger Jahren wurde entdeckt, dass die Qualle Aequorea victoria dank einem Protein leuchtet. Dieses Eiweiß namens GFP (Green Fluoreszenz Protein) wurde isoliert, konnte auf andere Organismen übertragen werden und dient als eine Art biologische Sonde, als „Marker“, als „Protein-Lampe“. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden in den Zeitschriften vorgestellt – und in „Genetics“ erstmals mit einer grün eingefärbten Meduse illustriert. Mit jeder neuen Veröffentlichung wurde die Meduse immer grüner – obwohl sie überhaupt nicht grün ist. Auch 90 % der Biologen stellen sie sich aber inzwischen als „grün“ vor.
Nicht das reale Bild ist also wichtig, sondern seine Funktion. GFP wurde zu einem Modellprotein und die grüne Meduse „eine Ikone der Zellbiologie“. Sie erfüllt die wichtigste Aufgabe eines Bildes, nämlich einzuleuchten. Die jüngst verstorbene Schriftstellerin Susan Sontag hat Katastrophen-Bilder analysiert, ihre Aussage ist aber verallgemeinerbar: „Wenn es darum geht, etwas zu begreifen, helfen sie kaum weiter. Erzählungen können uns etwas verständlich machen. Fotos tun etwas anderes: Sie suchen uns heim und lassen uns nicht mehr los“. Oder wie David Pöppel sagte: Bilder liefern keine Erklärungen. FRITZ WOLF
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