Fernseh-Übertragungen schon bald ohne Ü-Wagen?
VDI nachrichten, Berlin, 16.7.04 – Mobilität und Nähe zum Geschehen wird für die Fernsehanstalten immer mehr zum Unterscheidungsmerkmal. Dabei hilft die Technik. Nach Kameraverkabelung und analogen störanfälligen Verfahren etabliert sich nun die digitale Funktechnik für TV-Kameras. Die flexible Funkkamera gehört bei Nachrichten- und Sportsendungen oder Live-Shows schon zum Fernsehalltag. Jetzt liegen größere Entfernungen und das hochauflösende Fernsehen im Trend des mobilen TV-Bildes.
Die neuen Funksysteme stützen sich auf die vom digitalen Antennenfernsehen DVB-T bekannten Parameter. Durch die Signalverteilung auf eine Vielzahl von Subträgerfrequenzen, MPEG-Kompression und Fehlerkorrektur wird die benötigte hohe Stabilität und Qualität erreicht. Gesendet wird jedoch, im Gegensatz zur öffentlichen Programmverbreitung in den VHF- und UHF-Bändern, im WLAN-Frequenzbereich um 2,4 GHz.
Ursprünglich waren digitale Funksender, die an die Kamera angedockt werden, für den Einsatz innerhalb von Fernsehstudios oder Kurzstrecken bei Außenübertragungen entwickelt worden. Eingespart wurde so immerhin der zweite Mann, der die von der Kamera abgesetzte analoge Funkanlage betreute. Nun können die Kameraleute unabhängig vom „Funk-Assi“, noch näher am Geschehen arbeiten und selbst aus der Bewegung heraus attraktive Live-Bilder für die Berichterstattung liefern.
Jetzt werden die Grenzen der Studios und Sportstadien überschritten. So berichtet Reinhard Kühn, Geschäftsführer des Systementwicklers Tandberg AVS, von Live-Übertragungen über bis zu 180 km Entfernung aus Hubschraubern und bis zu 400 km aus Flugzeugen.
Auf der Empfangsseite werden mehrere Antennen und Tuner an hervorgehobenen Standorten, beispielsweise auf Fernsehtürmen, platziert. Die entscheidende Rolle spielt das Diversity-Verfahren Maximum Ratio Combining (MRC-Diversity). Es gleicht Leistungsverluste aus, die durch die schnelle Bewegung des Senders und die Entfernung entstehen: Noch bevor das digitale Bild dekodiert wird, werden die besten Signalanteile der verschiedenen Quellen miteinander kombiniert. So kann selbst bei minderer Qualität ein optimales Signal gewonnen werden.
Die Einsatzmöglichkeiten der neuen Funktechnik sind vielfältig. Eines der Highlights war beispielsweise die Aufführung des „Helicopter-Streichquartetts“ bei den Salzburger Festspielen vor einem Jahr. Bei dem halbstündigen Stockhausen-Stück fliegen die Musiker in Helikoptern mit. Die während verschiedener Flugmanöver auftretenden unterschiedlichen Motorengeräusche sind, wie die Live-Übertragung von Bild und Ton auf vier Monitorwände, Teil des Gesamtkunstwerks. Während der Veranstaltung arbeiteten, berichtet Kühn, ein Dutzend mobiler Sender im Parallelbetrieb mit einer Antennenanlage und störungsfrei.
Als weiteres Beispiel nennt er Live-Interviews aus dem fahrenden Teambus von Benfica Lissabon, in dem seit etwa einem Jahr ein Sender installiert ist. Ähnliche Anlagen sind nach seinen Angaben in Berlin, Köln, München und anderen deutschen Städten im Einsatz oder waren im Test.
Man könne so ganz „easy eine Stadt wie Berlin abdecken“, kommentiert Reinhard Kühn und denkt weiter: Wird ein Sender an die Kamera angedockt, könnten die Tage der teuren SNG-Fahrzeuge gezählt sein, die bei Live-Sendungen Bild und Ton via Satellit in die Sendezentralen transportieren. Denkbar wäre diese Personal und Zeit sparende Lösung zumindest für Brennpunkte der Berichterstattung.
Inzwischen haben die Anbieter von Broadcast-Technik ein weiteres Aktionsfeld betreten. In Europa ist das hochauflösende Fernsehen (HDTV) bisher nur mit dem belgischen Satellitenprogramm Euro1080 präsent. Vor allem in den USA und Japan steigt jedoch der Anteil von HDTV-Sendungen rapide.
Großereignisse wie die Fußball-WM 2006 werden komplett in HDTV produziert (siehe auch Seite 8). Digitale Funkkameras bieten sich auch dort an, um die Kicker den Zuschauern vor den Bildschirmen in aller Welt ganz nahe zu bringen.
Auch wenn die Masse der Zuschauer die Bilder solcher Mega-Events „nur“ im normalen PAL- oder DVB-Format (720 mal 576 statt 1920 mal 1080 Bildpunkte) ins Haus bekommen werden, muss ohne Medienbruch produziert werden. Dafür ist eine auf HDTV angepasste Funktechnik notwendig. Unternehmen wie Tandberg AVS und der Kamerahersteller Ikegami wollen diesen Markt abdecken.
Ikegami stellte auf der Broadcast-Fachmesse NAB einen ersten Sender vor. Um die erforderliche Bandbreite zu erreichen, wurde das 7-GHz-Band gewählt. Noch sind solche Systeme aufgrund der Rechenzeit von mehr als einer halben Sekunde für die MPEG-Codierung nicht für Live-Bilder im Verbund mit kabelgebundenen Kameras geeignet. Sie können jedoch zeitversetzt auszustrahlende Einspielbilder liefern oder im Stand-alone-Betrieb eingesetzt werden.PETER DEHN
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