Medien 10.03.2000, 17:24 Uhr

Ein Ingenieur geht auf Sendung

Fernsehen im Internet. Auch Ingenieur Johann Soukup und Geschäftspartner Michael Westphal zieht es mit ihrem TV-Projekt ins Netz.

DFB-Pokalfinale, die Tagesschau oder der Alltag im Big Brother-Haus: Auf der Suche nach aktuellen Fernsehbildern lohnt sich für Zuschauer immer häufiger die Suche im Internet. Schon lange verkünden Medien- und Telekommunikationsunternehmen, dass das Internet mit dem Fernsehen verschmilzt. Jetzt scheint die lang geschürte Vision im Netz Realität zu werden.
Bei der Umsetzung der Idee von Fernsehen über das Internet gehen die Konzepte und Ideen weit auseinander. Während die großen privaten Fernsehsender ihre Dachmarke weiter stärken wollen, probieren es die kleineren Newcomer eher mit kundenorientierten Spartenkanälen. Eines haben alle Beteiligten jedoch gemeinsam: Sie wollen ganz vorn mit dabei sein, wenn es losgeht – wenn es im Netz mit Werbung und Rechtevermarktungen endlich Geld zu verdienen gibt. Bis jetzt hält sich die Werbebranche noch in Lauerstellung. Sie akzeptiert das neue Medium erst langsam als vollwertige Alternative zu Print-Produkten und anderen elektronischen Medien. Doch die Medienmacher sind optimistisch und investieren weiter in die Web-Auftritte. Jüngstes Beispiel: Der Kölner Privatsender RTL (siehe Mediensplitter).
Der Erste macht das Rennen – das haben sich auch die Gründer des Münchener Internet-Senders „TV1. DE“ auf die Fahnen geschrieben. Fernsehen im Internet heißt das Konzept, und ganz bewusst warben Dipl. Ing. Johann Soukup und sein Geschäftspartner Michael Westphal auf der Computermesse CeBIT mit ihren Pionierleistungen: 16 Tage Dauersendung vom Münchener Oktoberfest, erste Live-Übertragung einer Bundestagssitzung, der erste Live-Chat mit Bundespräsident Johannes Rau.
„Da wir technisch nicht zeitgleich übertragen, sind wir kein Sender im medienrechtlichen Sinn“, erklärt Westphal. „Wir sind ein Mediendienst.“ Damit sind die Münchener zunächst nicht auf die Sendeerlaubnis und Frequenzzuteilung durch eine Landesmedienanstalt angewiesen. Doch ob Mediendienst oder Sender, die Live-Übertragungen spülen noch keine Reichtümer in die Kassen. Und nicht hinter jedem Sender steht auch ein Medienkonzern wie Springer oder Bertelsmann. Die Gründer von TV1. DE setzen deshalb noch auf ihre erste Einkommensquelle: Streaming-Lösungen für Intranets. Und sie liefern im Auftrag von Unternehmen Bilder von Pressekonferenzen und Veranstaltungen, produzieren darüber hinaus Business Radio rund um die Uhr. Mit diesem Konzept beschäftigen Westphal und Soukup inzwischen ein 30-köpfiges Team. „Wir haben das sogenannte Intelligent Video-on-Demand entwickelt“, sagt Soukup, der für die technische Umsetzung und die Software-Entwicklung verantwortlich ist. „Damit können Nutzer gezielt auf einzelne Sequenzen zugreifen“.
Das Problem: Für die störungsfreie Sendung von Videofilmen in Haushalte oder Betriebe sind breitbandige Übertragungswege nötig. Diese breitbandigen Wege sind in der Masse jedoch noch nicht vorhanden. „Uns reicht momentan die fünffache Geschwindigkeit von ISDN, also 300 kbit/s“, so Westphal. Verschiedene Daten-Kompressionsverfahren und das Verlinken von Seiten sollen schon jetzt eine flüssige Übertragung der Bilder sicherstellen. Auf einen Durchbruch hoffen die Gründer aber mit dem weiteren Ausbau der Kabelnetze auf 1,5 Mbit/s, wie z. B. in Berlin geplant.
Bis weitere Kapazitäten zur Verfügung stehen will sich TV1. DE weiter von möglichen Konkurrenten absetzen. Und die Vision bekommt Kontur. Am 29. März wird das erste eigene Fernsehstudio am Münchener Flughafen eröffnet, dann soll es auch die ersten Web-Nachrichten via TV1. DE geben. Zwar denken die Jung-Unternehmer auch über den Einsatz von sogenannten Avataren, also elektronisch animierten Moderatoren, nach. Im gläsernen Studio werden jedoch zunächst noch allzu menschliche Ansager vor dem Mikrofon sitzen. Und auch die Gründer stehen weiterhin selbst hinter der Kamera und bearbeiten die Aufnahmen im hauseigenen Übertragungswagen.
Das Beispiel der Münchener könnte Schule machen. Schon jetzt gäbe es Gespräche mit Medien- und Unterhaltungskonzernen, die ihre Inhalte über die technische Plattform des Senders verbreiten wollen, so Westphal. Außerdem sollen Sparten- und Nischenkanäle aufgebaut werden, die das Interesse des Werbemarktes wecken könnten, denn Banner und Spots würden auf diesem Weg gleich die gewünschte Zielgruppe ansprechen. Erfolge melden hier z. B. schon der amerikanische Web-Sender „pseudo.com“ oder das französische Pendant „canalweb.com“, die gezielt Werbekunden angelockt haben. Mit diesen Zukunftsaussichten im Gepäck will TV.1 DE Ende des Jahres an die Börse ziehen – und die Anleger vom Produkt Web-TV überzeugen. Ob bis dahin auch die Mehrzahl der Internet-Nutzer über einen breitbandigen Zugang zum Empfang der Videofilme verfügt, ist jedoch fraglich. SIMONE ZELL
Gründer Michael Westphal: TV1. DE will nicht mehr nur Veranstaltungen übertragen, sondern bald auch Nachrichten senden.
Studio im Truck: Im technisch aufgerüsteten Übertragungswagen bearbeitet Johann Soukup (re.) mit dem TV1-Team die Filmaufnahmen.

Ein Beitrag von:

  • Simone Fasse

    Freie Journalistin und der Kopf hinter der Kommunikationsagentur Verbia in München. Simone Fasse besuchte die Georg-von-Holtzbrinck-Schule und arbeitete als Volontärin und Redakteurin bei VDI Nachrichten, bevor sie als in die Unternehmenskommunikation des Pay-TV-Senders Premiere (heute Sky Deutschland) wechselte. Seit 2007 schreibt sie freiberuflich mit den inhaltlichen Schwerpunkten Digitalisierung, Neue Technologien, New Work, Diversity/Women in Tech. Sie wurde mit dem „Medienpreis Technik“ ausgezeichnet und moderiert Events und Paneldiskussionen.

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