Die Synthespianer sind im Anmarsch
Mitte Mai kommt in den USA die neue Star-Wars-Episode ins Kino – ein Meilenstein des Computereinsatzes im Film. Doch programmgesteuerte Monster sind passé. Zunehmend wird der Rechner dazu eingesetzt, vermeintlich Wirkliches noch wirklicher erscheinen zu lassen – und künstliche Menschen zu schaffen.
Wie ein dunkler Komet pfeift die Kanonenkugel über den Computer-Bildschirm, bevor sie krachend in ein Strohdach einschlägt. Früher hätten sich Regisseure für diesen Effekt mit Schall und Rauch begnügt. Heute kann das menschliche Auge die Flugbahn des Geschosses verfolgen, das damals kaum mehr als 100 km/h erreichte – Software macht“s möglich. Und die kommt daher, wo in den letzten Jahren viele der Revolutionen der Computerwelt herkamen: Aus dem Silicon Valley
Eine der heißesten Adressen ist derzeit das Unternehmen Pacific Data Images (PDI) in Palo Alto. Die Digitalfilm-Experten können für sich in Anspruch nehmen, den ersten vollständig computeranimierten Film auf die Kinoleinwand gebracht zu haben. Mit Hilfe von 436 Grafik-Rechnern schufen sie für das Ameisen-Epos „Antz“ ein komplettes Krabbeltier-Imperium. Ein einzelner Workstation-Computer hätte an dem Digitalfilm (Umfang: 3,2 Terabyte) rund 55 Jahre zu rechnen gehabt.
Doch stolzer noch sind die 300 PDI-Beschäftigten auf ihre anderen Beiträge zur computerisierten Kinokultur. Hinter denen, wie etwa in der amerikanischen Kino-Romanze „Forces of Nature“ mit Sandra Bullock und Ben Affleck, würde allerdings kaum ein Filmfan aufwendigen Rechnereinsatz vermuten.
„Ein Filmkritiker“, erinnert sich PDI-Managerin Julie Haddon und lacht, „pries den wunderbar gefilmten Hagelschauer. Das waren in Wirklichkeit unsere Special Effects.“
Wie viele Marktbeobachter rechnet auch Haddon damit, daß „digitale Konvergenz zwischen Hollywood und Silicon Valley“ erst am Anfang steht. Software-geborene Superechsen wie Roland Emmerichs „Godzilla“ sind nur der spektakulärste und vordergründigste Ausdruck dieses Trends. Denn inzwischen werden, wie bei den Massenszenen an Deck des Kinokreuzers „Titanic“, sogar Menschenwesen aus der Computerretorte eingesetzt, sogenannte „Synthespians“ (griech. Thespis, Schauspieler).
Zwar dürfen diese digitalen Akteure bisher nur im Hintergrund auftreten. Aber dort agieren sie schon derart lebensecht, daß die geklonte Konkurrenz, wie es ein Sprecher der US-Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild formuliert, inzwischen „sehr interessiert und besorgt“ beäugt wird.
Und schon heute sind das Silicon Valley und das nur einen knappe Flugstunde südlich gelegene Hollywood so weit miteinander verschmolzen, daß die Branchenblätter der Filmindustrie die Silicon-Valley-Region an der Bucht von San Francisco mittlerweile als „Silliwood“ bezeichnen.
Am südlichen Ende von „Silliwood“, in Mountain View, befindet sich auch mit dem Hardware-Herseller Silicon Graphics (SGI) eine Keimzelle des Digitalkinos.
Aus einem SGI-Rechner schlüpfte vor mehr als zehn Jahren das erste programmierte Kino-Monster. In dem Film „The Abyss“ attackierte ein Computer-Nessie ein Unterseeboot der US-Navy.
Andere aber gehen dem „silly“ bewußt aus dem Weg. Nichts weist in dem nördlich von San Francisco gelegenen Industriegebiet San Rafael, darauf hin, was sich wirklich in den schmucklosen Lagerhallen am Fuß der Weinberge befindet. Hier tarnt sich hinter dem Türschild des Vormieters, eines Herstellers von optischen Geräten, eine der innovativsten Brutstätten der Computeranimation im Film: Industrial Light and Magic (ILM), das 1975 von George Lucas gegründete High-Tech-Trickstudio.
Hier wurde zusammen mit den Silicon-Graphics-Spezialisten die „Abyss“-Kreatur zu ihrer schaurigen Perfektion entwickelt.
Lucas“ Illusionsfabrik setzt heute als Marktführer weltweit die Standards bei Spezialeffekten für die Film- und Werbeindustrie. ILM beschäftigt rund 1000 High-Tech-Fachleute am Fuße der nordkalifornischen Weinberge. ILMs Computerfarm, die aus mehr als 220 Spezialrechnern besteht, zählt zu den leistungsstärksten Studio-Netzwerken der Welt.
Doch in diesen Tagen sind die Türen von ILM fest verschlossen, groß ist die Geheimniskrämerei um George Lucas jüngstes Projekt „Star Wars Episode 1: The Phantom Menace“. In zehn Tagen soll der Film in den USA anlaufen wird und dort bereits vor dem Start als das Kinoereignis des Jahres gefeiert wird – und als ein Meilenstein der com- puteranimierten Filme.
Doch mit dem digitalen Nachbau furchteinflößender Urzeit-Viecher begnügen sich die ILM-Magier längst nicht mehr. Sie streben nach dem heiligen Gral der Computeranimation: leinwandfüllende virtuelle Schauspieler, die dem Vergleich mit Filmhelden aus Fleisch und Blut standhalten.
„Menschen“, erklärt ILM-Sprecher Miles Perkins lakonisch die Antriebskräfte seiner Design-Kollegen, „haben einen Gott-Komplex.“
Aber da hat der Herrgott die Latte für die kalifornischen Computer-Wizzards doch ganz schön hoch gelegt: Solange sie sich als Computer-Schöpfer vorzeitlicher Urgetüme betätigten, mußten sich die Digital-Designer vom kritischen Publikum nicht an der Realität messen lassen. Echtere Dinosaurier als diejenigen im Kino hat ohnehin noch niemand gesehen.
Nichts hingegen ist dem Menschen vertrauter als der Mensch aus Haut und Haar. Unstimmigkeiten im digitalen Abbild werden instinktiv als störend empfunden. So suchen die ILM-Spezialisten nach immer neuen Software-Tricks, um das komplexe Wechselspiel von Bewegung, Licht und Schatten zu simulieren, das für menschliches Haar charakteristisch ist.
Und das ist lange nicht alles. Die komplexe Physiognomie des Gesichts läßt sich mittels Computer bisher nur ansatzweise erfassen. So haben kürzlich Neurophysiologen an der Universität von Kalifornien in San Diego begonnen, das menschliche Lächeln zu erforschen. Dabei stellten sie fest, daß bei einem „natürlichen“ Lächeln und einem „gespielten“ Lächeln unterschiedliche Muskeln in Anspruch genommen werden. Solche Feinheiten in der Mimik lassen sich erst jetzt mit modernsten Bilderkennungs-Programmen erkunden.
Als Testfeld dienen vorerst Trickfilme wie „Antz“, den PDI in Zusammenarbeit mit Steven Spielbergs Produktionsgesellschaft Dreamworks herstellte. Da bei den Krabbeltieren aus dem Computer besonderer Wert auf eine lebendige, „menschliche“ Mimik gelegt wurde, skizzierte ein Team aus PDI- und Dreamworks-Spezialisten die Ameisengesichter zunächst auf Papier, modellierten sie anschließend in Ton. Dieser Kunstkopf wurde dann mittels 3D-Abtastgerät in den Computer eingescannt und dort „belebt“. Nach demselben Verfahren werden auch Menschen digitalisiert.
Bewegen läßt sich der virtuelle Schauspieler dann beispielsweise mittels „motion capture“: Wie eine Marionette wird die Software-Figur an einen mit Sensoren bestückten leibhaftigen Animator gekoppelt, der sich gleichsam als Computer-Puppenspieler betätigt.
Marlon Brando, Arnold Schwarzenegger, Danny DeVito und Sylvester Stallone etwa haben sich im kalifornischen Monterey bereits von der Spezialfirma Cyberware einscannen lassen. So behält Stallone auf ewig seine Muckis und die Stars von heute können sogar post mortem ihre Leinwandkarriere fortsetzen.
Allerdings werden sie sich dann womöglich der vollsynthetischen Konkurrenz komplett im Computer erzeugter Schauspieler stellen müssen. So komponiert das Special-Effects-Studio Threshold Digital Research Labs in Los Angeles derzeit eine Digital-Actrice, die in einer Nebenrolle der Horror-Saga „Beowulf“ auftreten soll.
Doch ob solche Darsteller aus der Computer-Konserve auch das Zeug zum echten Star haben? Warum nicht, meint „Beowulf“-Produzent Larry Kasanoff: „Wir sind im Filmgeschäft, ein moralisches Dilemma damit haben wir nicht.“
Damit rückt der Computer immer stärker aus seiner Statistenrolle heraus, wovon frühe Animationsmagier wie George Lucas profitieren. Nach Abschluß seiner Star-Wars-Triologie vor 21 Jahren hatte er sich ausschließlich als Produzent betätigt, weil ihm die technischen Mittel zur Fortsetzung seiner Weltraumsaga nicht ausgereift genug schienen. Nun haben ihn die neuen Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung dazu verlockt, die Story von Luke Skywalker & Co. in „Phantom Menace“ fortzuspinnen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei der Weltraum-Schrotthändler Watto, eine komplett im Computer kreierte Kunstfigur. Doch die Digitaltechnik kommt auch ganz diskret zum Einsatz, zum Beispiel, um an verschiedenen Drehorten aufgenommene Szenen glaubwürdig zusammenzufügen. „Kaum eine Einstellung“ in der neuen Folge, so Chefdesigner Jim Morris von „Lucas Digital“, „die nicht von Digitaleffekten geprägt ist“.
Das spart nicht nur Millionen von Dollars, sondern es läßt die Welt im Film einfach echter aussehen.
RSV
Eine ganze Roboterarmee läßt George Lucas in seinem neuen Streifen „Star Wars – The Phantom Menace“ auftreten. Lucas ist einer der Propheten des digitalen Films. Zelluloid ist für ihn ein Material längst vergangener Zeiten.
Ein freundlicher Zeitgenosse aus Lucas“ neuem Science-Fiction-Spektakel. Sein Entstehen verdankt er Höchstleistungsrechnern und Software-Spezialisten.
Scanner für die digital nur schwer reproduzierbare Gesichtsmimik.
Was so mitleiderregend echt aussah kam an den spannendsten Momenten aus dem Computer. Ein ähnliche Ende wie der Titanic prognostizieren Fachleute auch dem klassischen Film. Ein Bodyscanner, mit dem Körperdaten der synthetischen Helden erstellt werden.
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