Bei Anruf Kauf
Teleshopping wird in Deutschland immer beliebter. Die exzellente Infrastruktur macht es Verkaufssendern besonders leicht. QVC setzt fest auf den deutschen Markt und baut derzeit bei Aachen eines der modernsten Distributionszentren Europas.
Wohin der Fleck jetzt genau verschwunden ist, wissen wir auch nicht – aber Sie sehen: es funktioniert.“ Ansgar Kessemeier hält ein blütenweißes Handtuch in die Kamera, das vor wenigen Sekunden noch von einem riesigen Tintenfleck verschandelt war. Tausende Fernsehzuschauer greifen zum Telefonhörer: Es gibt es also doch – das Fleck-Weg-Wunder. Während die Leitungen im Callcenter des Verkaufssenders QVC heiß laufen, lässt der ehemalige Journalist Kessemeier noch Rotwein aus dem Teppich und Blut vom Plüschbären verschwinden. „So schnell geht das“ – für lange Erklärungen bleibt eh keine Zeit, denn schon wartet im Hintergrund die Kollegin Verena Bill, um Staubsauger, „supergünstige“ Massageeinlagen zu 52 Euro 50 und das neue Milchaufschäumgerät, das „nur hier zu haben ist“, an den Mann oder die Frau zu bringen. Bezahlt wird per Nachnahme oder Kreditkarte, so einfach ist das.
Schöne heile Warenwelt – will der deutsche Verbraucher das?
Er will. Im vorigen Jahr verzeichneten die Callcenter von QVC in Kassel und Bochum rund 10,5 Millionen Anrufe. Rund 1,75 Millionen Kunden geben 4,75 Millionen Bestellungen auf. Die Steigerungsraten sind derzeit zweistellig: 44,5% mehr Bestellungen und ein Nettoumsatz von 215 Mio. Euro im Jahr 2001 – ein Plus von 45 % gegenüber 2000. Für 2002 peilt der in Düsseldorf lokalisierte Sender laut Francis N. Edwards, Geschäftsführer der QVC Deutschland GmbH, die Marke von 300 Mio. Euro an.
„Tag und Nacht Einkaufen vom Fernsehsessel aus, ohne Ladenschlusszeiten, Drängelei, Stress und Warteschlangen“ ist das Motto, mit dem der amerikanische Geschäftsmann Joseph Segel die Idee des Teleshopping seit 1986 in den USA vermarktet. Dort ist QVC Marktführer und machte 2000 mit 6,5 Millionen Kunden einen Umsatz von 33,4 Mrd. Dollar. Seit gut fünf Jahren lockt der Einkaufssender QVC über Satellit und Kabel auch in Deutschland die Kundschaft vor die Bildschirme. Gesendet wird rund um die Uhr mit einem Live-Anteil von 19 Stunden. So werden täglich bis zu 240 Artikel präsentiert.
Im Studio am Düsseldorfer Hafen leistet jetzt die gelernte Schauspielerin Verena Bill Überzeugungsarbeit. Ihr zur Seite der einst als Löffelverbieger berühmt-berüchtigte Magier Uri Geller. „Hier sehen sie ein besonders schönes Stück aus meiner exklusiven Schmuckkollektion aus Bergkristall“, preist Geller ein schmales Armband an, während auf dem Bildschirm Bestellnummer und Preis eingeblendet werden.
Die Verkaufsshows kommen besonders bei Frauen gut an: Acht von zehn Kunden sind weiblich. Daher lauten die Themen der festen Sendestaffeln „Am Morgen“, „Hausputz“, „Rund ums Haus“, „Schmuckkreationen“, „Schönheitssalon“, „Festliche Mode“ oder „In der Küche“. Mit Programmblöcken wie „Computershop“ und „Heimwerkermarkt“ gehen die Macher des Werbesenders gezielt auf männlichen Kundenfang.
Ein Vorteil der Branche sind die vergleichsweise niedrigen Produktionskosten. Während hier eine Sendeminute um die 40 Euro kostet, muss woanders für einen Ein-Minuten-Spot mit über 10 000 Euro kalkuliert werden. Eine ausgeklügelte Technik ermöglicht außerdem, mit zu verfolgen, welche Waren im Callcenter am meisten geordert werden. Ladenhüter haben keine Chance, sie fliegen sofort aus dem Verkaufsprogramm.
Der Bundesverband des deutschen Versandhandels bestätigt der Teleshopping-Branche einen beachtlichen Erfolg: 2000 setzte sie knapp 435 Mio. Euro um. Euphorisch prognostizieren die Marktforscher von GoldMedia Consulting & Research, Berlin, dem deutschen Markt einen möglichen Umsatz von knapp 1,7 Mrd. Euro bis 2006. Zum Vergleich: Der gesamte deutsche Einzelhandel setzte 2001 380 Mrd. Euro um.
Noch ist der Einkaufskanal QVC hierzulande die Nummer 2 hinter dem Marktführer, der Münchner Home Shopping Europe AG. Der seit fünf Jahren im deutschsprachigen Raum agierende 24-Stunden-Werbesender aus München ist zudem im Internet präsent und setzte 2000 mehr als das Anderthalbfache des Düsseldorfer Einkaufssenders um.
Auch Wirtschaftsforscher sind auf den Teleshopping-Boom aufmerksam geworden. „Effiziente Kundenbetreuung ist der zentrale Erfolgsfaktor, ausreichende Back-office- und Versand-Kapazitäten spielen eine entscheidende Rolle“, formuliert eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Der große Vorteil für den deutschen Markt ist die sehr gute Verkehrsinfrastruktur. Sie garantiert, dass die Waren schnellstmöglich beim Kunden landen,“ sagt Mitautor Hansjörg Haas.
Eine reibungslose Logistik ist für alle Teleshopper der Schlüssel zum Erfolg. „Die schnelle Logistik ist unsere Visitenkarte. Und das bedeutet, dass 18 000 verschiedene Artikel jederzeit greifbar sein müssen“, sagt Wolfgang Appelhans, Leiter der Logistik bei QVC Deutschland. Eine Aufgabe, die die beiden jetzigen Lagerstandorte in Neuss und am Düsseldorfer Flughafen aus allen Nähten platzen lässt. In Hückelhoven-Baal bei Aachen baut das Teleshoppingunternehmen für 92 Mio. Euro eines der modernsten E-Commerce-Logistikzentren Europas.
Dort entsteht auf einer Fläche von insgesamt 67 000 m2 neben dem Verwaltungstrakt ein großes Hochregallager mit insgesamt 33 000 Palettenstellplätzen auf zwei Geschossebenen. Mitte Oktober dieses Jahres soll der Komplex bezugsfertig sein. Damit werden laut QVC rund 1000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
„Rufen Sie jetzt an“, fordert Moderatorin Bill all die Zuschauerinnen auf, die noch kein pailettenbesticktes T-Shirt im Schrank haben, während die beiden Models die wenigen Meter im Studio auf und ab trippeln. „Rund 90 % unserer Produkte werden ständig nachgefragt“, erklärt Appelhans. Im neuen Logistikzentrum wird deshalb ein so genanntes Pick-by-light-System für die Kommissionierung eingesetzt. Elektronisch eintreffende Orders werden über die jeweiligen Bestellnummern identifiziert und via Leuchtanzeige an den zugehörigen Palettenstandort im Lager weitergeleitet. Mitarbeiter vor Ort stellen dann auftragsgemäß die jeweilige Sendung von Hand zusammen. Auf insgesamt 16 km Förderband wandern die Pakete von Packstation zu Station. Über Abzweige gelangen sie ein Stockwerk höher, wo Ersatz- und Zusatzteile lagern und beigepackt werden können. Per Post geht das Warenpaket dann auf den Weg zum Kunden, der es schon am nächsten Tag in Empfang nehmen kann.
„Das halbautomatische System gibt unserem Betriebsablauf die größtmögliche Flexibilität“, so der Logistik-Chef. Die sei nötig, da mit der ausgehenden Ware gleichzeitig auch die eingehenden Retouren bearbeitet werden müssen. Rückgabe, Reklamationen, Umtausch – auch das ist Alltag beim Teleshoppen: Rund 24 % der versandten Produkte schicken die Kunden wieder zurück. SILVIA VON DER WEIDEN/cf
Das Mainzer Modell
Nach dem Motto „Arbeit muss sich auch für Geringverdiener lohnen“ setzt
das Mainzer Modell für Beschäftigung und Familienförderung gezielt im Niedriglohnsektor an und will Arbeitslosen aus der sogenannten „Sozialhilfefalle“ helfen. Das Konzept, das seit September 2000 im Rahmen eines Sonderprogrammes des
Bundesarbeitsministeriums in vier rheinland-pfälzischen und zwei brandenburgischen Arbeitsamtsbezirken erprobt wird, beruht auf zwei Säulen. Wer eine neue Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche annimmt und damit mindestens 325 l pro Monat verdient, hat Anspruch auf einen Zuschuss zu den
Sozialversicherungsbeiträgen und auf einen Zuschlag zum Kindergeld. Beides richtet sich nach dem Bruttoeinkommen und nimmt bei steigendem Verdienst ab.
Die Bezuschussung der Sozialabgaben endet für Alleinstehende bei 810 l, für Ehepaare oder eheähnliche Gemeinschaften bei 1620 l. Wer Kinder hat, erhält einen Zuschuss zum Kindergeld von maximal 77 l pro Kind und Monat. So wird der Zuschuss zum Beispiel bei einem Haushalt mit einem Kind bei 1740 l, bei einem Haushalt mit fünf Kindern bei 2560 l gekappt. Das Mainzer Modell sei von allen in Deutschland durchgeführten Pilotprojekten im Niedriglohnsektor das erfolgreichste, bilanziert der rheinland-pfälzische Sozialminister Florian Gerster. 735 Personen würden in Rheinland-Pfalz mittlerweile gefördert, davon 40 % ehemalige Sozialhilfeempfänger, ein Drittel zuvor Arbeitslose und zwei Drittel Frauen. JW
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