Anlagenbau treibt digitales Engineering voran
Durch digitales Engineering und bessere Integration der Lieferanten kann die Industrie Zeitaufwand und Kosten für die Anlagenplanung deutlich reduzieren. Auf einer Tagung in Magdeburg wurden dazu Methoden vorgestellt.
Die aktuelle Stärke der deutschen Anlagenbauer besteht aus Sicht des Fraunhofer Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in der besonderen Beherrschung von Komplexität und Individualität. Produktion und Engineering seien in Deutschland allerdings künftig nur zu halten, wenn der Anlagenbau seine Technologieführerschaft und die Fähigkeit zur Entwicklung kundenspezifischer Gesamtlösungen ausbauen könne. Methoden und Werkzeuge dafür seien verfügbar, sie würden aber nicht ausreichend eingesetzt und die Lieferanten seien nur punktuell integriert, hieß es dazu kürzlich auf der Tagung „Anlagenbau der Zukunft“ in Magdeburg.
Dort wurden vor allem drei Aspekte für die größere Effizienz im Anlagenlebenszyklus hervorgehoben: Die konsequente Integration des Digital Engineering in der gesamten Prozesskette die engere Kooperation der Hersteller mit den meist mittelständischen Lieferanten und die bessere Ausbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter für die Anwendung neuer Methoden und Werkzeuge.
„Wir wollen das Microsoft der Produktionstechnik werden“, hatte Manfred Wittenstein, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) als Perspektive für den deutschen Anlagenbau ausgegeben. Die mittelständisch geprägte Branche mit durchschnittlich 156 beschäftigten Mitarbeitern sei der Grund für die hohe Flexibilität und gleichzeitig eine große Herausforderung, weil die Zukunftsfähigkeit jetzt Investitionen in neue digitale Technologien und die Ausbildung der Mitarbeiter erfordere.
„Das Engineering und die Verbesserung der Prozesse sind auch künftig die größten Hebel für Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit“, brachte es Ralf Sick-Sonntag, Leiter Engineering bei Bayer Technology Services, auf den Punkt. Durch den Einsatz des Digital Engineering, zunehmender Prozessintensivierung und neuer Modulkonzepte könnten Planungsleistungen nach Mitteleuropa zurückgeholt werden.
Den Ausbau der Technologieführerschaft nannte auch Michael Schenk, Institutsleiter des Fraunhofer IFF, als Voraussetzung, um Know-how, Produktion und Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Hier gebe es allerdings großen Handlungsbedarf. Die Zukunft liege in der Einführung realitätsnaher digitaler Modelle für Produkt, Produktion und Betriebsmittel und der Anwendung neuer Methoden zur virtuellen Nutzung digitaler Abbilder. Zwar brauche auch die durchgehende Einführung digitaler Anlagen Zeit, doch es müsse jetzt gehandelt werden. Lieferanten seien nur punktuell integriert, die Nutzung von Technologien der Virtuellen Realität noch am Anfang und das Monitoring und Controlling über den gesamten Lebenszyklus noch lückenhaft. Als Lösungsansätze nannte er unter anderem eine gemeinsame Initiative zum Aufbau eines Kunden-Lieferantennetzwerks des verfahrenstechnischen Anlagenbaus.
Wie die konsequente Anwendung der neuen digitalen Technologien aussehen kann, zeigte Georg Großmann, Director Group Engineering bei BASF SE in Ludwigshafen. Seit 2008 werde im Anlagenbau der BASF die 3-D-Software mit 3-D-Visualisierung eingesetzt. Die Vorteile seien sehr konkret. Das zeige sich in der höheren Akzeptanz, da die Projektbeteiligten das Planungsergebnis im Maßstab 1:1 erleben könnten und komplexe Zusammenhänge so leichter zu erkennen seien. Großmann: „Ich sehe, was ich bekomme.“ Das Verfahren werde auch für die Vorbereitung von Inbetriebnahmen oder bei der verfahrenstechnischen Simulation genutzt. „Im Life Cycle Cost erreichen wir messbare Vorteile“, so Großmann.
Wie die Lieferanten bei der Entwicklung der Anlagen besser integriert werden können, verdeutlichte Ralf Sick-Sonntag von Bayer Technology Services. Noch zeigten sich zahlreiche Probleme wie eine heterogene IT-Landschaft, eine fehlende Durchgängigkeit und Medienbrüche bei der Lieferantenintegration. Schließlich seien die Hersteller und Zulieferer im digitalen Prozess unterschiedlich weit fortgeschritten.
Die Erfahrung von Bayer zeige, dass es sich lohne, kleine flexible und kreative Unternehmen zu pflegen. Gemeinsam mit Lieferanten seien Erfolge bei der Bewältigung des hohen Kostendrucks erreicht worden. Dabei habe man sich bei Anlagenkomponenten bewusst von vermeintlich sehr günstigen Angeboten aus Asien verabschiedet, da es bei der Inbetriebnahme immer wieder zu Problemen, Qualitätsmängeln und Zeitverzögerungen gekommen sei. Durch die intensive Beschäftigung mit der Konstruktion der Komponenten, dem Materialaufwand und den Kostenstrukturen der Hersteller sei es gemeinsam gelungen, die Handhabung zu verbessern, Material einzusparen und neue Produkte zu entwickeln.
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Die zunehmende Digitalisierung bringt laut Referenteneinschätzung noch weitere Vorteile. Sie schaffe die Informationsbasis, um Instandhaltungsmaßnahmen künftig in Abhängigkeit von der Betriebsweise besser zu planen und durchzuführen. MARTIN ORTGIES