Ganze Flugzeuge könnten künftig genäht werden
Ein neues Nähverfahren eröffnet technischen Textilien als Verstärkung bei Verbundmaterialien völlig neue Perspektiven. Selbst Verstärkungstextilien mit großen Abmessungen und räumlicher Geometrie lassen sich ohne zu falten vernähen.
Zur Herstellung komplexer Faserformlinge, wie sie als Kernmaterial für gewichtseinsparende Faserverbundwerkstoffe (FVW) beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt zur Anwendung kommen, hat das Institut für Textiltechnik (ITA) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen eine neue Nähtechnologie entwickelt. Deren großer Vorteil ist die nur einseitig erforderliche Zugänglichkeit des Nähgutes. Im Gegensatz dazu müssen beim konventionellen Nähen, das bis heute auf Industrienähmaschinen basiert, Unter- und Oberfaden von zwei Seiten über lange Arme zugeführt werden.
Die innovative Nähmaschine, die während der 25. Aachener Textiltagung am 25. und 26. November erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, läßt sich dadurch räumlich und flexibel über das Nähgut führen. „Die Verwendung eines Portals und die freie Bewegbarkeit der Nähmaschine erlauben es, den Raumbedarf bei der Fertigung komplexer Textilstrukturen zu minimieren.
Herkömmliche Nähverfahren benötigen dagegen einen Raum, der mindestens die vierfache Größe des Nähgutes hat“, erläuterte Dipl.-Ing. Klaus-Uwe Moll gegenüber den VDI nachrichten den entscheidenden Vorteil der Neuentwicklung. Dadurch sei es möglich, leistungsfähige Fügezonen in FVW-Bauteilen herzustellen, Einzelkomponenten leichter zu dimensionieren und die Fertigung auf kleinstem Raum zu rationalisieren, fügte der ITA-Mitarbeiter und Konstrukteur der neuen Maschine hinzu.
„Mit Hilfe dieser Technik können künftig ganze Flugzeuge genäht und anschließend mit einem Matrixmaterial getränkt werden“, beschrieb Prof. Dr.-Ing. Burkhard Wulfhorst seine Vision, die aus der Neuentwicklung resultiert. Jetzt sei es nach Ansicht des ITA-Direktors endlich möglich, auch Verstärkungstextilien mit großen Abmessungen und räumlicher Geometrie zu vernähen, ohne das Textil dabei zu knicken oder zu falten.
Mögliche Faserbrüche, welche die Belastbarkeit des Faserverbund-Bauteils deutlich reduzieren, würden dadurch vermieden. Gleichzeitig lasse sich auch das Kleben, das bisher bei komplexen Strukturen als textiles Fügeverfahren angewandt wird, durch das wesentlich geeignetere Nähen ersetzen. Denn nach wie vor besitzen die verwendeten Klebstoffe laut Prof. Wulfhorst deutlich niedrigere mechanische Eigenschaften als die zu fügenden Bauteile, so daß in der Fügezone ein Steifigkeitssprung auftritt. Um dies auszugleichen würden die einzelnen Faserverbund-Strukturen größer dimensioniert, als dies aufgrund der Bauteilegeometrie erforderlich wäre.
Die neue Nähtechnik basiert, ebenso wie das etablierte Verfahren, auf der Bildung des Stiches mit zwei Nähfäden beziehungsweise Nähnadeln. Jedoch sind bei der Neuentwicklung zwei auf einer Ebene liegende Nähgetriebe so zueinander geneigt, daß eine Nadel mit dem durch sie geführten Nähfaden den zweiten Nähfaden mit einer ausgeklügelten kinematischen Bewegung abbindet.
ROLF. MÜLLER