Gabelstapler werden zu Datenboten
Auf der Straße ist E-Mobilität Zukunftsmusik. In Lager- und Produktionshallen ist sie längst Realität: Elektrofahrzeuge und dieselelektrische Antriebssysteme sind Standard. Für frischen Wind sorgen hier neue Energiespeicher. Ein Gabelstapler der Hamburger Still GmbH nutzt beispielsweise Ultracaps, um Bremsenergie wieder nutzbar zu machen. Noch mehr Energie soll gespart werden, indem die Transportwege optimiert werden. Ermöglicht wird das durch ein Zusammenwachsen von Material- und Datenflüssen. VDI nachrichten, Hamburg, 28. 8. 09, sta
Die Fabrikfassade aus mattem Glas und Stahl nimmt kein Ende. Erst nach ein paar hundert Metern Fußmarsch tut sich der Eingang zum Hauptwerk der Still GmbH auf. Hinter der grauen Fassade im trostlosen Hamburger Vorort Billstedt wird an Konzepten für die grüne Produktionswelt von morgen gefeilt.
„Um Fertigungsabläufe effizienter zu machen, muss vor allem die Intralogistik optimiert werden“, meint Still-Marketingchef Christian Baerwolff. „Dazu ist es nötig, dass Material- und Datenfluss zusammenwachsen.“ Gefragt seien in Zukunft Gabelstapler, Schlepper oder Hubwagen, die neben Paletten und Gitterboxen auch Informationen für das Warenwirtschaftssystem oder die Produktionssteuerung transportieren.
Doch die Bordcomputer können mehr. Sie sammeln Betriebsdaten, die für das Flottenmanagement und zugleich zur Optimierung der Transportwege genutzt werden können. Fertigungsplaner behalten dadurch den Überblick über anstehende Inspektionen, den Ladezustand der Batterien ihrer Staplerflotte oder über die Verbrauchsdaten der Stapler. Zudem können sie am Fabrikmodell aus der Vogelperspektive nachvollziehen, ob die Stapler unnötige Wege zurücklegen.
„Der nächste Schritt ist Automation. Dank moderner Sensorik navigieren erste Stapler schon vollautomatisch“, so Frerichs. Er sieht darin Vorboten einer dualen Arbeitswelt: tags mit Menschen, nachts automatisiert. In einer solchen Welt schieben die Regalsysteme Paletten nach, wenn vorn eine entnommen wird. Unbemannte Schlepper verbinden sich auf den Hauptrouten des werksinternen Verteilerverkehrs zu energiesparenden Zügen. Gesteuert und dokumentiert wird das Ganze mit RFID-Systemen. „Das Alles mündet in eine fortlaufende Inventur.“
Eine weitere Idee zum Energiesparen hat Still bereits in Serie gebracht. Ein Computer schaltet Nebenverbraucher wie Licht oder Heizung ab, sobald sie nicht gebraucht werden. Zusätzlich greift er gezielt in die Motorsteuerung ein. „Dank flacherer Beschleunigungskurven sinkt der Verbrauch um bis zu 20 %, ohne dass sich die Taktzeiten der Produktion merklich verlängern“, so Frerichs. Bevormunden wolle man die Fahrer aber nicht. Auf Knopfdruck können sie den Sparmodus verlassen.
Natürlich kommt es bei solchen Systemen auf die Akzeptanz der Staplerfahrer an. Baerwolff schweben Wettbewerbe vor, in denen Arbeitgeber auf Basis der gesammelten Betriebsdaten die sparsamsten Fahrer küren. Auch finanzielle Anreize seien denkbar, weil die Fahrer aktiv zu niedrigeren Energiekosten beitragen.
Wie viel Energie unter dem Strich einzusparen ist, hängt vor allem vom Antrieb ab. Und da haben Intralogistiker wie Still, Linde und Jungheinrich Hightech zu bieten. Lange bevor Autohersteller anfingen, über eine Kombination von Verbrennungs- und Elektromotoren nachzudenken, wurden solche Systeme bei Staplern in Serie produziert. Auch reine Elektro- oder treibgaselektrische Antriebe sind in der Branche üblich.
Baerwolff und Frerichs führen nun die Halle vor, in der gewaltige Antriebseinheiten im 20-Minutentakt mit den Gabelstaplerchassis verheiratet werden. Bei näherer Betrachtung dieser Rohbauten werden Aufbau und Funktion der dieselelektrischen Antriebe klarer. Als Kraftquelle dient ein Turbodieselmotor mit Logo eines norddeutschen Autokonzerns. Seine Kurbelwelle ist mit einem baumdicken Drehstromgenerator verbunden, an dem seitlich die kleine Hydraulikpumpe der Hubeinheit sitzt. Hebt der Stapler Lasten, wird die Kraft der Kurbelwelle direkt auf diese Pumpe durchgeleitet. Im Fahrbetrieb treibt der Diesel den Generator an. Den erzeugten Drehstrom richtet eine Leistungselektronik um und leitet sie direkt an den elektrischen Asynchronmotor, der samt Differential und Kühlung in die Vorderachse integriert ist. „Angesichts der Bandbreite an Lastsituationen im Staplerbetrieb ist die Abstimmung zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor äußerst komplex“, erklärt Frerichs. Gerade bei erfahrenen Staplerfahrern flössen Hubbewegung und Anfahren ebenso ineinander wie Ablassen und Abbremsen. Um die Steuerung dafür auszulegen, sei volle Systemkompetenz unabdingbar. Entsprechend produziert Still die Elektromotoren, Steuerungen und Umrichter in Eigenregie.
Im neuen Hybridstapler RX 70 gehen die Intralogistiker noch einen Schritt weiter. „Bislang haben wir Bremsenergie mangels geeigneter Stromspeicher weggekühlt“, räumt Frerichs ein. Der Hybridstapler speichere sie stattdessen in Doppelschicht-Kondensatoren (Ultracaps) und speise sie beim nächsten Hub- oder Beschleunigungsvorgang wieder ins System ein. Weil Stapler oft bremsen, sind die dynamischen Ultracaps gegenüber Lithium-Ionen-Batterien im Vorteil. Zumal bei hoher Traglast bis zu 20 Wh pro Bremsung fließen. Die gesammelte Energie entlastet den Antrieb um bis zu 30 %. Der Erfolg: mit einem Verbrauch von 2,5 l Diesel pro Stunde (gemessen im Zyklus der VDI Richtlinie 2198 mit 2,5 t Traglast und 60 Arbeitsspielen) ist der RX 70 der mit Abstand sparsamste Stapler seiner Klasse.
Allerdings stößt das Technologiepaket nicht auf ungeteilte Zustimmung im Markt. Noch sei der Aufpreis im Betrieb kaum reinzuholen, bemängeln Kritiker. Frerichs ist dennoch sicher, dass Hybridstapler bald Branchenstandard werden. „Es hängt vom Dieselpreis und unseren Fortschritten beim Senken der Systemkosten ab, wie schnell das geht“, sagt er.
PETER TRECHOW
Ein Beitrag von: