Spannend wie die Formel 1
VDI nachrichten, Harsewinkel, 10. 6. 05 – Agraringenieure leiden unter dem Image, es handele sich bei ihnen um Landwirte mit einem Faible fürs Technische. Der Tätigkeitsbereich aber ist hoch komplex, wie ein Blick hinter die Fassade des Weltmarktführers Claas Landmaschinen beweist. Ohne technische und fachübergreifende Weiterbildung ist in dieser Hightech-Branche kein Spitzenplatz zu halten.
Sie arbeiten auf höchstem technischen Niveau, auf internationalen Bühnen und dürfen sich ohne rot zu werden Weltmarktführer nennen. Und dennoch verfolgt die Mitarbeiter bei Claas das Stigma, in einer Branche mit geringer Anziehungskraft zu arbeiten. „Dabei ist die Tätigkeit bei einem Unternehmen der Agrartechnik weitaus interessanter und komplexer als beispielsweise in der Automobilindustrie“, meint Dr. Hajo Reicherts, Leiter Obere Führungskräfte und Personalentwicklung bei dem Harsewinkeler Hersteller von Agrarmaschinen. „Die Herausforderungen von der Gießerei- bis zur Getriebetechnik sind in kaum einer anderen Branche so facettenreich wie bei uns.“ Reicherts scheut auch den Vergleich mit Maßstäbe setzendem Hightech nicht. „Die Technik unserer Maschinen, seien es Feldhäcksler oder Mähdrescher, ist durchaus auf eine Stufe mit der Formel 1-Technologie zu setzen.“ Die neue Technik etwa ermöglicht es dem Landwirt, das Fahren der Maschine zu überlassen, um sich ganz auf die satellitengestützte Verarbeitung von Daten zu konzentrieren. So erhält er Angaben, die ihm bei der weiteren Bodenbearbeitung wichtige Aussagen liefern, vom Pflügen übers Säen und Eggen bis hin zum Düngen. Da sind nicht nur reine Agrar- und Maschinenbauingenieure gefragt, sondern auch Experten wie Kommunikationselektroniker und Software-Entwickler. „Die fachlichen Fähigkeiten und Wissensgebiete können aber eines nicht ersetzen: Eine gewisse Affinität zur Landwirtschaft sollte schon vorhanden sein“, ergänzt Horst Biere, bei Claas für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Die Marktführerschaft ist nur mit dem ständigen Blick nach vorne zu halten. Das gilt nicht allein für die Aktualisierung des technischen Know-hows, dem sich die Claas-Ingenieure im täglichen Miteinander oder in der firmeneigenen Academy zu stellen haben, sondern insbesondere auch für Kompetenzen in Betriebswirtschaft, Fremdsprachen und Softskills. „Die akademische Ingenieurausbildung geht leider noch viel zu wenig auf Inhalte ein, die sich mit Managementaufgaben beschäftigen“, findet Reicherts. „Viele Absolventen haben Nachholbedarf, weil sie sich selbst nicht gut zu präsentieren verstehen oder es ihnen an Kommunikations- und Sozialkompetenzen für die Gruppen- und Projektarbeit mangelt.“ Die Wirtschaft sei gefordert, hier nachzulegen und aufzuarbeiten. Und Claas tut dies in umfangreichem Maße.
Der Berufseinstieg geschieht in der Regel über ein Assessment-Center, bei dem sich potenzieller Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschnüffeln. Wer hier erfolgreich abschneidet, hat bereits einen Fuß in der Unternehmenstür. „Im anschließenden Traineeprogramm trennen sich nur in wenigen Fällen die Wege“, erläutert Hajo Reicherts.
In den Genuss der 18 Monate währenden Traineeprogramme kommen alle studierten Claas-Einsteiger an allen nationalen und internationalen Standorten. Zusätzliche Weiterbildungsangebote sind Themen wie die Grundlagen zwischenmenschlicher Kommunikation, Verhandlungstechniken, Moderation, Präsentation und – wenn nötig – das Feilen an einer Fremdsprache. Die Ausbildung lässt sich Claas mehr als 100 000 € pro Trainee und Jahr kosten.
Vor dem Ein- oder Umstieg in ein neues Aufgabenfeld kommt es zum Zielvereinbarungs-, Beratungs- und Fördergespräch, in dem der Vorgesetzte gemeinsam mit dem jeweiligen Kandidaten eine Potenzialeinschätzung vornimmt. Reicherts: “ Es wird die Frage gestellt: Wurden die vor einem Jahr vereinbarten Ziele erreicht? Dabei geht es keineswegs um die Klärung einer Schuldfrage, sondern darum, wie und was beide Seiten aus dem Prozess lernen können. Vielleicht empfiehlt sich für den Mitarbeiter ja ein anderer Arbeitsbereich. Diese Fragestellungen werden so lange verfolgt, bis alle Beteiligten der Meinung sind, dass der Mitarbeiter an diesem oder jenem Ort optimal aufgehoben ist.“ Besonders Lernwillige werden bei dieser Suche nicht allein gelassen – auch wenn sie höhere Firmenetagen erreicht haben. Auf Top-Management-Level durchlaufen alle in Betracht kommenden Mitarbeiter ein modular aufbereitetes Führungskräfte-Programm mit einem Schwerpunkt in Unternehmensstrategie. Externe Trainer führen die Weiterbildungen in enger Absprache mit der Firmenleitung durch. Reicherts: „Das Unternehmen bestimmt weitestgehend Vorgehensweise und Inhalte. Die Programme sollen möglichst große Claas-Praxisnähe haben.“
Neben der agrartechnologischen Rundumversorgung widmet sich Claas auch der Fertigungstechnik für den Automobilbau und die Luftfahrtindustrie.
„Die Vorgabe, unsere Mitarbeiter auf dem neuesten technischen Stand zu halten, erreichen wir durch engen Kontakt zwischen Wissenschaft und Unternehmen“, berichtet Reicherts. „So sind uns rund 90 % der Berufseinsteiger bereits durch Diplom- oder Promotionsarbeiten, Praktika oder die Helmut-Claas-Stiftung bekannt.“ Für Helmut Claas, den Sohn des Firmengründers August und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden, ist und war die Nachwuchsförderung nicht allein wegen der engen Verbundenheit zum westfälischen Stammsitz ein wichtiges Anliegen. Mit der Stiftung, die besonders talentierte Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler fördert, hat Claas ein stetig waches Auge auf die Wissenschaftselite.
Und diese Strategie hat sich bislang als äußerst fruchtbar erwiesen. Die Innovationsbereitschaft schlägt sich schließlich in den Statistiken nieder: Heute kommt jeder dritte Mähdrescher, der in der EU verkauft wird, aus dem Hause Claas bei den Feldhäckslern ist es sogar jeder zweite weltweit. WOLFGANG SCHMITZ
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