Hitzige Debatte 06.09.2025, 14:00 Uhr

Videoüberwachung mit KI: Sicherheit oder Eingriff ins Grundrecht?

Die Videoüberwachung mit KI sorgt für kontroverse Debatten: Ist sie ein Weg zu mehr Sicherheit an Bahnhöfen und Plätzen – oder verletzt sie Grundrechte? Die Meinungen gehen dabei auseinander, wie aktuelle Beispiele aus Mannheim und Tübingen zeigen.

Videoüberwachung

KI-Videoüberwachung löst heftige Debatten aus. Wir schauen uns die rechtlichen Grundlagen sowie Pro und Contra an.

Foto: Smarterpix / KostyaKlimenko

Die dpa berichtete jüngst über Videoüberwachung an Bahnhöfen und Plätzen. Konkret geht es um zwei Beispiele in Mannheim und Tübingen, die für Diskussionen sorgen. In Mannheim gibt es eine Videoüberwachung zwischen Hauptbahnhof und Marktplatz. Diese Gegend gilt als Brennpunkt, weil Kriminelle die Straßenzüge für illegale Geschäfte nutzen. Damit soll nun Schluss sein. Die Stadt Tübingen will nach diesem Vorbild den Busbahnhof in der Stadt unter Videoüberwachung stellen. In diesem Fall soll sogar ein KI-gestütztes System eingesetzt werden. Doch was genau ist in Deutschland erlaubt? Und warum wird das Thema Videoüberwachung heiß diskutiert?

Datenschutz und Grundrechte beim Einsatz von KI in der Videoüberwachung

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) schaffen den rechtlichen Rahmen für Videoüberwachung mit KI an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Nach Paragraf 4 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume nur zulässig, wenn sie erforderlich ist und keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiegen.

Besonders geschützt werden Leben, Gesundheit und Freiheit. Die Erhebung, Speicherung und Weiterverarbeitung von Daten ist grundsätzlich an konkrete Zwecke und Informationspflichten gebunden.

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Das sagt Artikel 6 der DSGVO

Besonders zentral ist dabei der Artikel 6 der DSGVO. Er besagt: Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch KI ist nur erlaubt, wenn eine Einwilligung vorliegt, die Daten zum Schutz lebenswichtiger Interessen verarbeitet werden oder für Aufgaben im öffentlichen Interesse benötigt werden. In Deutschland regeln Landespolizeigesetze wie das Polizeigesetz Baden-Württemberg die Voraussetzungen gesondert – etwa, dass ein nachweisbarer Kriminalitätsschwerpunkt vorhanden sein muss.

Im Fall Tübingen stellte der Datenschutzbeauftragte, Tobias Keber, eindeutig fest, dass die dortigen Voraussetzungen für eine Überwachung nicht gegeben sind und warnte deshalb ausdrücklich vor einer Maßnahme, die nach seiner Meinung rechtswidrig ist. Starten soll das Projekt dennoch.

Greift Videoüberwachung mit KI in Grundrechte ein?

Diese Frage bestimmt die aktuelle Diskussion: Während Befürworterinnen und Befürworter der Ansicht sind, dass Videoüberwachung mit KI ein geeigneter Weg sei, die Sicherheit zu erhöhen und Gewalt zu verhindern, warnen Kritikerinnen und Kritiker vor der Einschränkung von Grundrechten.

Für Tobias Keber ist eine Videoüberwachung ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, der nur unter ganz klar definierten Voraussetzungen und mit rechtsgültiger Grundlage zulässig ist. Die KI kann zwar datensparsam agieren – etwa nur Muster erkennen und Alarm schlagen –, trotzdem bedeute die ständige Beobachtung eine Einschränkung der Privatsphäre.

Wo kommt Videoüberwachung mit KI zum Einsatz?

Videoüberwachung im öffentlichen Raum gibt es in Deutschland zwar bereits in zahlreichen Städten, aber im Vergleich zu anderen Ländern wird sie wenig eingesetzt. In Berlin kommen beispielsweise vier Kameras auf etwa 1.000 Einwohner, in London sind es 106. Mit dem Einsatz von KI soll die Sicherheit noch weiter erhöht werden. Die eingesetzten Systeme analysieren rund um die Uhr videobasierte Bewegungsmuster.

Wird ein bestimmtes Muster – etwa das Heben von Waffen, das Schlagen oder ein Überqueren von Absperrungen – erkannt, sendet das System einen Alarm an Polizeibeamte, die die Szene bewerten und gegebenenfalls direkt reagieren können. Entwickelt wird die Technik teilweise von Forschenden und ist darauf ausgelegt, nicht alles, sondern das Wesentliche zu beobachten – also verdächtige und bedrohliche Situationen. Eine ständige Überwachung aller passierenden Personen ist hingegen nicht vorgesehen.

Niemand schaut sich die Bilder an

Tatsächlich schaut sich in der Regel niemand die Bilder an. Denn eine Echtzeit-Videoüberwachung ist in Deutschland eher selten. In den meisten Fällen, so Kriminologin Rita Haverkamp von der Universität Tübingen, zeichnen die Kameras nur auf.

Das Material wird dann über einen bestimmten Zeitraum aufbewahrt und kann im Falle von Straftaten gezielt ausgewertet werden, um Täterinnen oder Täter zu identifizieren und so die Strafverfolgung zu unterstützen. Nach dem festgelegten Zeitrahmen wird es wieder gelöscht.

Subjektives Sicherheitsgefühl oder mehr Sicherheit durch Technik?

 Insgesamt scheinen Kameras an öffentlichen Orten, das Sicherheitsgefühl der Menschen zu fördern. Das belegt auch eine Umfrage des Innenministeriums aus Mannheim: Über 80 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner befürworten die Überwachungskameras, 58 Prozent fühlen sich subjektiv sicherer. Für viele sind Kameras eine Beruhigungspille, die das Sicherheitsgefühl verbessern kann, bestätigt die Kriminologin Haverkamp.

Auf der anderen Seite gibt es die Sorge, dass die ständige Präsenz von Überwachung auf potenzielle Gefahren hinweist und das Gefühl der Bedrohung verstärkt. Diese ambivalente Wirkung ist tatsächlich aus Studien in Großbritannien bekannt. Dort habe man allerdings auch einen Gewöhnungseffekt durch die hohe Anzahl an Überwachungskameras festgestellt, wodurch ab einem gewissen Zeitpunkt keinerlei Einfluss mehr auf das Sicherheitsempfinden stattfinde.

Blick nach Europa: Wie Nachbarn die Videoüberwachung mit KI handhaben

 Auch in anderen europäischen Ländern wird über Videoüberwachung mit KI diskutiert und experimentiert. Die neue europäische KI-Verordnung, der sogenannte AI Act, setzt seit 2025 Maßstäbe: Systeme mit „unannehmbarem Risiko“ – etwa die systematische Bewertung des sozialen Verhaltens – sind verboten. Für öffentliche Gesichtserkennung und Videoüberwachung gelten strenge Einschränkungen.

Lediglich Polizei und Sicherheitsbehörden dürfen unter bestimmten Voraussetzungen solche Systeme bei der Aufklärung schwerer Straftaten nutzen. Eine Grundvoraussetzung ist dabei stets die Nachweisbarkeit des öffentlichen Interesses und die Gefahrenabwehr.

Großbritannien und Frankreich weiter

Während Deutschland sich beim Einsatz von KI bei der Videoüberwachung noch in Pilotphasen und Modellprojekten übt, sind Länder wie Großbritannien oder Frankreich bereits weiter. Dort wird KI-gestützte Videoüberwachung etwa in Bahnhöfen oder bei Großveranstaltungen stärker genutzt – jedoch stets unter strenger Aufsicht von Datenschutzbehörden und nach gesetzlichen Vorgaben. Die Praxis zeigt, dass technische Möglichkeiten oft auf öffentlichen Widerstand stoßen, was häufig juristische Prüfungen zur Folge hat.

Baden-Württemberg will mehr Kameras mit KI-Unterstützung einsetzen

Das deutsche Modellprojekt in Mannheim befindet sich seit 2018 in der Pilotphase. Insgesamt 68 Kameras wurden installiert, zehn davon mit KI-Unterstützung. Auch hier soll die KI die Polizei durch das Erkennen auffälliger Bewegungen unterstützen. Tritt dieser Fall ein, erfolgt automatisch eine Alarmierung der Mannheimer Polizei.

Ziel des Projekts sei es, schneller eingreifen und so die Sicherheit der Menschen erhöhen zu können. Geht es nach Innenminister Thomas Strobl (CDU) soll das Pilotprojekt bis Ende 2026 verlängert werden und bis dahin jedes Jahr drei bis fünf weitere der Überwachungskameras mit KI-Technik ausgestattet werden. Er spricht sich ausdrücklich für eine umfangreiche Nutzung der Technik aus.

Das sagen die Befürworter

Unterstützerinnen und Unterstützer der KI-gestützten Videoüberwachung wie der baden-württembergische CDU-Politiker Hagel führen unter anderem folgende Argumente ins Feld: Die KI sei rund um die Uhr im Einsatz, lerne ständig dazu. Darüber hinaus sei es ein großer Vorteil, wenn durch solche Systeme Polizeikräfte gezielter eingesetzt und so Ressourcen geschont werden könnten.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sieht in den Kameras an Orten wie dem Busbahnhof zudem die Möglichkeit, Vandalismus und subjektiv als gefährlich wahrgenommene Situationen besser zu überwachen, beziehungsweise Taten vorzubeugen.

Standpunkte zu KI-gestützter Videoüberwachung im Überblick

Pro:

  • Mehr Sicherheit durch frühzeitige Erkennung bedrohlicher Situationen
  • Unterstützung der Polizei, effizientere Nutzung von Ressourcen
  • Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls vieler Bürgerinnen und Bürger

Contra:

  • Einschränkung des Grundrechts auf informelle Selbstbestimmung
  • Risiko von Fehlalarmen, Missbrauch und Diskriminierung
  • Gefahr, dass Überwachungsmaßnahmen Normalität werden und Gewöhnungseffekte entstehen, die präventive Wirkung also abnimmt und womöglich die Grenzen des Datenschutzes ausgeweitet werden

Fazit: Technik allein ist keine Lösung

Videoüberwachung mit KI kann ein Baustein für mehr Sicherheit sein. Die Akzeptanz in der Bevölkerung hängt stark davon ab, wie transparent und rechtskonform die Maßnahmen umgesetzt werden und ob die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ausreichend berücksichtigt werden. Auch hier zeigt sich das typische Spannungsfeld zwischen technischen Innovationen einerseits und Freiheit und Grundrechten andererseits. Neue Technologien werfen häufig die Frage auf, wie deren Einsatz im Verhältnis zu Sicherheit und Freiheit stehen. Beides sinnvoll miteinander zu verbinden ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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