Wer immer mit gespitztem Bleistift an Projekte herangeht tut sich schwer
VDI nachrichten, Düsseldorf, 30. 11. 07, ps – Mit Multimedia-Software hat sich die Magix AG einen Namen gemacht. 2006 ging das Berliner Unternehmen an die Börse. Doch im gerade abgeschlossenen Geschäftsjahr musste das Softwarehaus einen Rückschlag hinnehmen. Fragen an Vorstandschef Jürgen Jaron.
Jaron: Nein, keineswegs. Die Schwierigkeiten, mit denen wir im abgelaufenen Geschäftsjahr zu kämpfen hatten, betrafen den ganzen Markt. Vor der Markteinführung des neuen Microsoft-Betriebssystems Vista haben die Kunden lieber abgewartet.
Hinzu kamen wesentliche Veränderungen auf den angelsächsischen Märkten. Trotzdem haben wir uns teilweise besser geschlagen als die Konkurrenz. Die Kunden sind weiterhin von unseren Produkten überzeugt. Das zeigen auch die zweistelligen Wachstumsraten in unserem Internetgeschäft.
Zur Sorge besteht also überhaupt kein Anlass. Trotz der rückläufigen Umsätze haben wir erheblich in zukunftsfähige Produkte investieren können und ein positives Ergebnis erzielt.
VDI nachrichten: Die Anleger haben Sie mit Ihren Erklärungen bisher nicht überzeugt. Der Aktienkurs ist auf Talfahrt und liegt nur noch bei gut 3 €. Vor anderthalb Jahren war die Magix-Aktie noch 14 € wert. Wie wollen Sie das Vertrauen der Börse zurückgewinnen?
Jaron: Die Entwicklungen im abgelaufenen Geschäftsjahr waren in dieser Kombination einmalig und daher für uns sehr schwer einzuschätzen. Das hatte zur Folge, dass wir die Erwartungen nicht erfüllen konnten.
Wir wissen, dass sich das Vertrauen der Anleger nur wieder gewinnen lässt, wenn wir positive Ergebnisse liefern. Daran arbeiten wir jeden Tag. Deshalb erschließen wir neue Handelskanäle und investieren weiter in die Zukunft des Unternehmens. Das abgelaufene vierte Quartal hat bereits gezeigt, dass es wieder aufwärts geht. Für das aktuelle Geschäftsjahr erwarten wir ein ordentliches Umsatzwachstum.
VDI nachrichten: Magix hat sich Multimedia für jedermann auf die Fahne geschrieben. Sie wollen die Medien aus den Händen der professionellen Medienmacher befreien. Was bedeutet das konkret?
Jaron: Wir machen Multimedia alltagstauglich. Bisher sind 90 % der Menschen nur Medienkonsumenten. Wir sorgen dafür, dass sie aktiv teilnehmen können – per CD, per DVD, per Internet. Da ist unser Geschäftsfeld. Das Zauberwort heißt „user generated content“. Wir möchten, überspitzt gesagt, die Menschen aus ihrer medialen Hilflosigkeit erlösen.
VDI nachrichten: Können Sie Beispiele nennen?
Jaron: Wir haben 1993 angefangen, einen Musiksampler zu bauen. Das Ziel: Auch Nichtmusiker können sich Sounds zusammenstellen, und wer das geschickt macht landet vielleicht einen Hit.
Oder nehmen Sie unser neuestes Produkt „Mein Leben & meine Lieben“. Damit lassen sich auf einfache Weise Videoszenen, Töne, Bilder und Internet-Inhalte mit vorgefertigten Schablonen kombinieren. So können schnell Hochzeits- und Jubiläumsvideos realisiert werden.
VDI nachrichten: Wie sieht der nächste Schritt aus?
Jaron: In einigen Jahren werden wir kaum mehr Mediensoftware zu Hause auf dem Rechner haben – das Web entwickelt sich zu einer Plattform, auf der Applikationen laufen und die die Menschen miteinander vernetzt – sei es privat oder beruflich. Mit Mygoya haben wir schon eine technologisch fortschrittliche Plattform dafür, die zurzeit als Betaversion läuft. Sie liefert nicht nur viele Werkzeuge zur Medienbearbeitung sondern auch die Mittel zur direkten Kollaboration.
VDI nachrichten: Kollaboration – wie soll das aussehen?
Jaron: Zur Erklärung: Unsere Plattform mygoya.de ist ein Desktop, eine PC-Oberfläche, zum Mitnehmen. Sie ermöglicht von jedem Internet-Zugang aus alle wichtigen Tätigkeiten am Rechner unter einer Oberfläche: Kontakt-, Automations-, Medien-Management und Daten-Teilen. Wenn wir mit der Online-Plattform in den nächsten Monaten offiziell starten, dann mit einer klaren Zielgruppenausrichtung – nämlich auf Lehrstühle, studentische Arbeitsgruppen. Die sollen direkt über die Plattform miteinander kommunizieren, eine lebende Einheit bilden.
VDI nachrichten: Und wie verdienen Sie mit mygoya.de Geld? Für die Nutzer soll der Dienst ja kostenlos sein…
Jaron: Das Business-Modell steckt in den Upgrades, den Zusatztools, aber auch im Abonnement dieses Services. Und schließlich werden wir auch Werbung zulassen.
VDI nachrichten: Sie glauben, dass Sie eine solche Plattform mit Werbung refinanzieren können?
Jaron: Wir haben bereits jetzt 7 Mio. registrierte Nutzer auf unseren Plattformen und für unsere Produkte. Denen können wir mit Mygoya ein sehr attraktives Angebot machen – und wer eine große, interessante Plattform bietet, wird auch von den zunehmenden Ausgaben für Online-Werbung profitieren.
Nur, wir werden unsere Kunden nicht in ein Portal zwingen. Da unterscheiden wir uns etwas von Microsoft, wo es mit jedem neuen Betriebssystem heißt, friss Vogel oder stirb.
VDI nachrichten: Andere Softwarehäuser bündeln ihre Programme gerne mit passender Hardware, also etwa das Bildbearbeitungsprogramm zur Digitalkamera. Magix verkauft seine Programme überwiegend über die eigene Webseite und über den Einzelhandel. Warum?
Jaron: Ja, und das ist eine gute Entscheidung. Die Lizenzgebühren, die der Hardwarehersteller für Softwarelizenzen zahlen muss, sind bei dem Kostendruck für die Hersteller häufig nicht mehr rechenbar. Wir gehen mit den Hardware-Herstellern strategische Partnerschaften ein, z.B. mit Medion, unter Einbindung derer Portale. Die Leute erhalten Basisversionen gratis – und kaufen das Upgrade, wenn ihnen die Software gefällt.
VDI nachrichten: Mediensoftware aus Deutschland hat es schwer auf dem Markt. Der Wettbewerb vor allem aus den USA ist scharf. Wie wollen Sie sich auf Dauer behaupten?
Jaron: Ja, wir stehen in einem sehr schnelllebigen Wettbewerb. Unser Vorteil ist aber eine komplett selbstentwickelte, homogene Entwicklungsplattform, auf der alle Produkte wie Module aufsetzen. Dieser integrative Ansatz ermöglicht es, schnell auf Marktentwicklungen zu reagieren. Beispielsweise diffundiert die Entwicklung unserer Onlineplattform nun Stück für Stück in die Einzelprodukte…
VDI nachrichten: Was meinen Sie damit?
Jaron: Lassen Sie es mich an einem Beispiel erklären. Der Benutzer unseres Video-Schnittprogrammes ist online. So sieht er während der Arbeit, welcher andere Nutzer gerade mit dem Programm beschäftigt ist. Er kann anderen Nutzern eine Frage stellen oder noch besser, er läßt sich von anderen eine Problemlösung zeigen – direkt bei sich im Programm. Ein Konkurrent, der nicht so modular arbeitet wie wir, braucht zwei Jahre Entwicklungszeit für dieses Feature.
VDI nachrichten: Sie haben also keine Angst vor den Amerikanern, die sich so prächtig von der New-Economy-Pleite erholt haben?
Jaron: Nein, Youtube und Myspace sind keine technologischen Wunderwerke. Aber der Vorteil der Amerikaner liegt in der Finanzkraft und der Bereitschaft, neue Ideen zu unterstützen. Nur durch einen Hype können Sie die Dynamik auslösen. Wer immer mit dem gespitzten Bleistift an die Projekte herangeht, der tut sich schwer.
Das Potenzial unserer neuen Onlinedienste, wie Mufin, ein Musik-Erkennungs- und Empfehlungs-Service, oder das schon erwähnte Mygoya, wird leider im Moment nicht wirklich gesehen. Man schaut nicht auf die Vision, die wir haben, auf die Chancen, sondern stellt den operativen Gewinn in den Vordergund. Immerhin erzielen wir Gewinne, was die amerikanischen Ikonen erstmal nicht tun.
VDI nachrichten: Herr Jaron, Sie sind 1999 zu fünft nach Berlin gezogen – jetzt hat Magix 300 Mitarbeiter, 80 davon in Dresden. Was sind die Vorteile einer Entwicklungsabteilung im deutschen Osten?
Jaron: Die Menschen in Ostdeutschland sind sehr gut ausgebildet. Sie sind sehr kreativ, da sie einen sehr pragmatischen Umgang mit Problemen haben. Dieses Klima ist noch spürbar, und für uns ist diese Mentalität sehr befruchtend gewesen. Denn wann werden Sie kreativ? Wenn Sie wie Microsoft die besten Ressourcen haben, dann bleibt vielleicht die Kreativität auf der Strecke. Youtube kommt nicht von Microsoft oder Google.
VDI nachrichten: Wie suchen Sie die Mitarbeiter aus? Nach Herkunftsort?
Jaron: Das ist eigentlich ein ganz normaler an Fähigkeiten und Kenntnissen orientierter Auswahlprozess. Ich schätze, wir holen genau so viele Leute aus dem Westen wie aus dem Osten. Berlin und Umgebung sind halt noch nicht so satt wie etwa München – und im Bereich Medien dennoch sehr aktiv. Von unseren Leuten haben doch sehr viele Wurzeln im kreativen Medienumgang.
Vielleicht kann man solche beständigen, funktionellen Produkte wie die unsrigen auch nur hier entwickeln und nicht irgendwo in China.
Medienprodukte haben mit den Leuten zu tun, die die Medien nutzen. Wenn wir aber Produkte für Indien entwickeln, werden wir auch dort vor Ort sein. Wir brauchen die medienkulturelle Einbettung.
VDI nachrichten: Sie sind als Firma sehr schnell gewachsen. Wie halten Sie die Mitarbeiter zusammen?
Jaron: Das beste Argument gewinnt – egal wer es ausspricht. Daran sieht man schon, dass die Hierarchien flach sind, sich jeder einbringen soll und darf. Mir ist es wichtig, dass die einzelnen Leute ihr Projekt zu ihrem Baby machen. Da kommt die Eigenmotivation her, mit der man den harten Alltag in der Softwarebranche meistert. Allzu komplexe Verästelungen in den Projektstrukturen versuchen wir immer wieder aufzulösen.
Was ich bedaure ist, dass ich heute nicht mehr mit jedem sprechen kann. Gelegenheit zur Kommunikation bieten die monatlichen Parties und die Feste, die wir mit unseren Mitarbeitern feiern. Das schafft Nähe.
MARTIN BIEBEL/ps
Jürgen Jaron
gründete 1984 nach Schulausbildung und Zivildienst gemeinsam mit Dieter Rein eine Firma, die sich in erster Linie mit dem Vertrieb von Zubehör für Computer befasste. Später stiegen die beiden Unternehmer auch in die Softwareentwicklung ein, die das Kerngeschäft der heutigen Magix AG bildet.ƒnps
Das Unternehmen
Seit 1993 entwickelt Magix Software zur Gestaltung, Bearbeitung und Archivierung digitaler Fotos, Videos oder Musik. Neben eigenen Online-Diensten – etwa MuFin oder MyGoya – bietet das Unternehmen auch Geschäftspartnern maßgeschneiderte Multimedia-Lösungen an.
Beim Vertrieb von Foto-, Video- und Musiksoftware über den Einzelhandel zählt Magix in Deutschland, verschiedenen europäischen Ländern und den USA zu den führenden Anbietern.
Im abgelaufenen Geschäftsjahr (30.9.) setzte das Unternehmen 32,6 Mio. € um – gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 8,9 %. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) sank von 8,2 Mio. € auf 3 Mio. €.
Magix beschäftigt rund 300 Mitarbeiter weltweit – die allermeisten an den drei deutschen Standorten Berlin (Hauptsitz), Dresden (Entwicklung & Research) und Lübeck (Logistik).
Jürgen Jarons Partner an der Unternehmenspitze ist Dieter Rein. Mit Anteilen von jeweils 23,3 % sind die beiden Vorstände zugleich die größten Aktionäre der Gesellschaft. Komplettiert wird der Vorstand von Tilmann Herberger, der für Produktentwicklung und Forschung zuständig ist. ps
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