Spam-Alarm: Verloren im Werbemüll
VDI nachrichten, München, 12.3.04 – Ungewünschter Werbemüll entwickelt sich zu einer ernsten Gefahr für das Internet. Denn nicht nur abstoßende Botschaften werden mit dem Spam verteilt, auch Viren und Würmer nehmen via E-Mail ihren Lauf. Bill Gates sieht das Problem in 18 Monaten gelöst, doch Experten beurteilen Anti-Spam-Technologien skeptisch.
Müll sortieren gehört für Jörn Fischbach zum Job. „Ich brauche täglich eine halbe Stunde, um die zentrale Schleuse von Spam zu säubern“, sagt der Chief Information Officer (CIO) beim Münchner Pharmahersteller Togal Werke. Eine Aufgabe, die „immer eine Operation am offenen Herzen“ darstellt, so Fischbach. Wird zu radikal entsorgt und der Spam-Filter zu engmaschig eingestellt, landet auch erwünschte oder erwartete Geschäftspost in der elektronischen Mülltonne.
Lieber weniger als zu viel lautet denn auch die Devise von Karl-Dieter Söhnchen, Leiter der IT-Abteilung beim Kfz-Zulieferer Erbslöh AG in Velbert. „Das ist immer eine Gratwanderung, eine Werbe-Mail sicher zu identifizieren ist nicht einfach.“ Von vorneherein abgeschmettert werden von einer Spezialsoftware alle Mails, die beliebte Spam-Begriffe wie Viagra oder Altersvorsorge enthalten oder statt eines Namens in der Absenderleiste nur eine Zahlenkombination haben. Auch Sendungen mit Multimedia-Anhängen wandern prophylaktisch in die Tonne. Rund 80 % der Müll-Mails werden nach mehrstufiger Analyse bei der Erbslöh AG aus dem zentralen elektronischen Posteingang aussortiert, der Rest wird vom Empfänger per Hand entsorgt.
Lästig, störend und teuer ist die täglich wachsende Spam-Flut für Unternehmen. So blockierten allein die MailServer von Microsoft im letzten Jahr täglich 2,4 Mrd. Spam-Mails, 80 % des gesamten Posteingangs. Laut EU-Kommission haben Unternehmen durch Spam europaweit in 2003 einen Produktivitätsverlust von rund 2,5 Mrd. € erlitten – der Vertrauensverlust in das Medium Internet nicht eingerechnet.
Zunehmend problematisch wird die Situation auch für die regelkonform arbeitenden E-Mail-Marketer, da immer öfter auch die mit Einwilligung zugesandten Newsletter oder Werbe-Mails in den Filtern hängen bleiben. Laut Jupiter Research sollen die derart verbrannten Werbebudgets von 230 Mio. $ in 2003 bis 2008 auf 419 Mio. $ anwachsen.
Spammer sind clever – zumindest bislang können sie im Wettrennen um neue Tricks und Techniken locker Schritt halten. Inhaltbasierte Filter werden durch kreative Schreibweisen und Verteilungsmuster der Schlüsselwörter ausgetrickst, existierende Blacklists durch rasant wechselnde Domains und Adressen zum Schnee von gestern gestempelt. Doch der Anti-Spam-Kurs wird härter, vor allem von politischer Seite. So erklärte EU-Kommissar Erkki Liikanen bei der jüngsten OECD-Konferenz im Februar 2004 zum „Jahr der Schlacht“ zwischen Spammern und Anti-Spammern. Liikanen drängte dabei erneut auf die rasche Umsetzung des bereits 2002 beschlossenen europaweiten Spam-Verbots, mit dem acht Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, im Verzug sind. Auch auf internationaler Ebene sind Spam-Gegner enger zusammengerückt. Als großen Erfolg wertet Alexander Felsenberg, Geschäftsführer des Deutschen Multimedia Verbands, die Aufnahme eines Anti-Spam-Passus in der Abschlusserklärung des UN-Gipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS). „Unser Ziel ist eine weltweit einheitliche Lösung. Dazu ist dies ein erster Schritt.“
Zum aktiven Angriff übergehen will die Anti-Spam-Allianz von mittlerweile 22 Netzbetreibern und Unternehmen, die sich Anfang dieses Jahres unter Federführung von OpenWave Systems, eines Anbieters mobiler Kommunikationssoftware, gegründet hat. Als Waffe gegen Spam steht dabei die neue Verifizierungstechnik Sender Permitted From, kurz SPF, hoch im Kurs, die derzeit in großem Stil von AOL getestet wird. Jeder Mail-Nutzer mit eigenem Mail-Server samt Domain publiziert dabei die Adresse dieses Rechners über das bereits vorhandene Domain Name System (DNS). Kommt eine Mail, prüft der Mail-Server des Empfängers, ob die Absenderadresse mit dem Server übereinstimmt, der für diese Adresse eingetragen ist. Damit wird erstmals versucht, den Nutzer für abgesendete Mails in die Pflicht zu nehmen.
Mit unterschiedlichsten „Return to sender“-Methoden wie etwa der „Forced Response“, die eine manuelle Rückbestätigung des Absenders impliziert, experimentiert auch Microsoft. Auch hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass allein mit Aufklärung und Anti-Spam-Days dem Müllproblem kaum Herr zu werden ist. Trotzdem prophezeit Microsoft-Gründer Bill Gates, dass in spätestens 18 Monaten Schluss sei mit dem Web-Terror. Ein Weg dorthin, so Gates, könnte unter anderem eine virtuelle Briefmarke sein, die dem Absender als Porto Rechenleistung abverlange – zum Lösen einer mathematischen Aufgabe.
Gartner-Analystin Arabella Hallawell ist jedoch skeptisch. Sie erwartet, dass neue Anti-Spam-Technolgien frühestens 2006 greifen, weil sich Unternehmen vorher nicht für eine solche Lösung entscheiden. Und auch Microsoft-Sprecher Thomas Baumgärtner räumt ein: „Definitiv tun alle zu wenig. Wer die Spam-Technologien nicht nutzt und seinen Account immer per Hand bereinigt, dem hilft auch die Technik nicht weiter.“
HERTA PAULUS
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