Software 28.05.1999, 17:21 Uhr

Schimanski & Co. arbeiten jetzt im Service-Center

Der Strukturwandel an der Ruhr zwingt die Bergleute, neue Arbeit zu suchen – ob in den Unnaer Verkehrsbetrieben oder im Techno-Zentrum. Dortmund ist der Vorreiter im Pott auf dem Weg zur Softwareregion.

Ende nächsten Jahres ist in Dortmund „der Ofen aus“: Die letzten Hochöfen der Thyssen Krupp Stahl AG erlöschen, das Stahlwerk schließt, die Warmbreitbandstraße wird stillgelegt. Auf dem Gelände der Westfalenhütte steuert zudem Europas modernste Kokerei „Kaiserstuhl“ ins Aus. Die Mon-tanära der Ruhrgebietsstadt endet. Und trotzdem: „Der Bezirk der Industrie- und Handelskammer Dortmund ist konjunktureller Schrittmacher für die Entwicklung des gesamten Ruhrgebietes“, erklärt Winfried Materna, IHK-Präsident und Chef eines erfolgreichen Software-Hauses in der Revierstadt. Eine „Come-Back-Region“ sei das östliche Ruhrgebiet, assistiert ihm Kammer-Geschäftsführer Klaus Günzel. Ist das Zweckoptimismus in einer sterbenden Montanregion oder das Aufbruchsignal in eine bessere Zukunft?
Bernd Schimanski könnte als Verkörperung des „Kumpel aus dem Revier“ gelten: Da ist sein Name, den ein Duisburger Fernsehkommissar bundesweit bekanntge-macht hat. Er ist ein zupackender Typ, direkt, offen, war jahrelang als Elektriker „auf“e Zeche“ beschäftigt, wo schon sein Vater malocht hat. Der ist seit Anfang Mai in der Anpassung, wie die Frührente der Bergleute heißt. Und auch der Sohn hat sich aus der Tradition des Bergbaus verabschiedet.
„Keine Perspektive“ – so begründet der 26jährige Schimanski, warum er umgeschult hat. Bei seiner Zeche „Westfalen“ in Ahlen „fällt am 30. Juni 2000 der Deckel“, sie läuft aus. Auf welche Schachtanlage der Junggeselle dann verlegt worden wäre, ist offen: „Auf meinem Lohnzettel stand DSK – Deutsche Steinkohle“, meint Schimanski, „und die DSK hat auch Zechen am Niederrhein, in Ibbenbüren und dem Saarland.“ Nach Ahlen fuhr der Bergkamener bereits 100 km am Tag – die Wege hätten noch weiter werden können.
Schimanski ist jetzt Servicefachkraft in der Service-Zentrale „fahrtwind“ der Verkehrsbetriebe Kreis Unna (VKU). Ein halbes Jahr hat der Elektriker umgeschult, seit November 1998 ist er in Kamen nahe Dortmund fest angestellt. Mit ihm fand auch Bernd Philipp (32) bei den VKU einen neuen Job. Zwölf Jahre war Philipp unter Tage, hat die Schließung seiner Zeche „Monopol“ in Bergkamen erlebt. Auch seine neue Schachtanlage „Haus Aden“ steht vor dem Aus. Sie geht mit der Zeche „Heinrich Robert“ in Hamm im „Verbundbergwerk Ost“ auf. Heinrich-Roberts Kokskohle ist derzeit schwer verkäuflich, es gibt Kurzarbeit. „Ich habe zwei Kinder und ein Haus, ich mußte mich kümmern“, sagt Philipp. Zwar ist bislang kein Kumpel ins „bergfreie“ gefallen, also arbeitslos geworden. Aber darauf verließ sich Philipp nicht. Er hat sich extern beworben und die Stellenangebote beim Arbeitsamt regelmäßig durchgeblättert.
Wie rund 8599 Kumpel – so der Stand Ende März 1999 – haben die beiden über die zur Ruhrkohle gehörenden Qualifizierungs- und Fortbildungsgesellschaften umgeschult. Neben dem Fahrkartenverkauf bietet das Service-Zenter der VKU umfassende Auskünfte über Bus- und Bahnverbindungen in ganz Deutschland sowie die Vermittlung von Taxibus-Anfragen. Dabei melden sich Fahrgäste bei der Zentrale und fordern gezielt Fahrzeuge an, die zwar im Linienverkehr, dort aber nur nach Bedarf fahren. Je nach Zahl der Fahrgäste setzen Schimanski und Philipp dann kleinere oder größere Busse auf den Strecken ein.
Szenenwechsel in ein hochmodernes Bürogebäude in Dortmund nahe der Bundesstraße B1, der Verkehrsschlagader des Ruhrgebiets. Ein Cola-Automat wirft die Dose aus, nachdem der Auftrag zuvor per Handy erteilt wurde – mit dieser medienwirksamen Anwendung sorgte das Team der „Mehrwertdienste Mobilfunk“ des Dortmunder Software-Hauses Dr. Materna bei der diesjährigen CeBIT für Aufsehen. Was beim Cola-Automaten den Betrachter schmunzeln läßt, birgt nach Ansicht der Spezialisten von Dr. Materna große Chancen: Bestell- und Verkaufsvorgänge per Mobiltelefon.
Seit 1992 beschäftigt sich das Software-Haus mit zukunftsträchtigen Zusatzanwendungen des Mobiltelefons. „Ich werde bald mein Parkticket und meine Fahrkarte mit dem Handy bestellen, und bezahlt wird über die Mobilfunkrechnung“, beschreibt Thomas Wolf (33), Produktmarketing-Leiter „Mehrwertdienste“, zukünftige Einsatzmöglichkeiten. Projektteams mit Roland Hübner (32) und Peter Tembaak (27) entwickeln Software-Anwendungen dafür – und der Markt boomt im „telecom valley“ – so der Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) – zu dem auch die Region im östlichen Ruhrgebiet gehört. 20 bis 30 qualifizierte Fachkräfte könnten in dem Materna-Bereich Mobile Solutions sofort eine Anstellung finden. Insgesamt sucht die Materna-Gruppe 100 Mitarbeiter – das sind soviel, wie bei einer Zeche in nur einem Streb unter Tage arbeiten.

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Die IHK Dortmund beschwört die Hanse und den „Hellweg“

Die Umschüler der Ruhrkohle und die Software-Spezialisten von Dr. Materna: Beide verkörpern den rasanten Umbau, der im östlichen Ruhrgebiet greift. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit dort hartnäckig bei rund 16 %. Die nächsten industriellen Brüche im Montanbereich sind bereits abzusehen: Das Ende der Stahlproduktion in Dortmund kostet direkt 2000 Stellen. Hinzu addieren sich weitere mehrere hundert im stahlnahen Bereich: Der Dortmunder Eisenbahn – einer Privatbahn – fehlen die Aufträge, einem Schlacke-Aufbereiter das Vormaterial aus dem Hochofen. Der Koks der Kokerei Kaiserstuhl ist dem Ruhrkohle-Aktionär Thyssen-Krupp zu teuer – eher baut er eine neue Kokerei in Duisburg. Die Kokerei, die für 1,2 Mrd. DM gebaut wurde, steht vor dem Aus und mit ihr 800 Stellen. Und ein neues Werk für Platinentechnik von Thyssen-Krupp-Stahl, bei dem verschieden starke Bleche für die Automobilindustrie aneinandergefügt werden, entsteht nicht wie geplant in Dortmund, sondern wird in Wolfsburg gebaut. „Keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz haben die Montankonzerne geschaffen“, wetterte der alte Dortmunder IHK-Präsident Fritz Jaeger.
Die neue Kammerspitze sieht nach vorn, betont Chancen statt Gefahren. Das Montankapitel ist weitgehend abgeschlossen in Dortmund und Umgebung, jetzt muß die Zukunft geplant werden – mit Rückbesinnung auf Bewährtes. Die Handelsfunktionen der alten Hansestadt Dortmund an der Salzstraße, dem „Hellweg“, wird beschworen. Noch immer liegen die Großhandelsumsätze im Kammerbezirk mit 24 Mrd. DM über den üppigen Einzelhandelsumsätzen. Zudem soll der Dortmunder Hauptbahnhof mit einem Ufo, einer riesigen Schüssel, überbaut werden: 240 m im Durchmesser, 55 m hoch soll die 1,2 Mrd. DM teure Flunder Platz für 3000 Stellen bieten und Kaufkraft nach Dortmund locken.

Der Wandel wird durchlitten – Protestler laufen ins Leere

In den 30er Jahren war in Hamm Europas größter Verschiebebahnhof. Jetzt entstehen riesige Lager auf den weiten Flächen im Ostrevier: Der Karstadt-Hertie-Konzern versorgt bereits seine Warenhäuser von dort. Viele Speditionen nutzen die Gunst der geographischen Lage im Zentrum Deutschlands und Europas – die „internationale Logistik-Drehscheibe“, wie sie die Kammer nennt. Begünstigt wird die Entwicklung von der traditionell hohen Leidensfähigkeit der Bevölkerung. So werden derzeit in Dortmund zwei vierspurige Autobahnen zusätzlich durchs Stadt- und durch viele Wohngebiete geschlagen, ohne auf größere Bürgerproteste zu stoßen. Diese sind beim Ausbau des Flughafens zur Drehscheibe für innereuropäische Flüge zwar zu hören, bleiben aber wirkungslos. Der „Dortmunder Konsens“ läßt sie gegen Gummiwände laufen. Schließlich gibt es an der Dormunder Universität den bundesweit einzigen Logistik-Studiengang.
Die Universität – gut 30 Jahre alt – wurde zum Glücksfall für die Revierstadt. Früh ist die Umsetzung der Lehre in praktisches Geschäft gelungen. Rund um den Campus entstand das bundesweit größte zusammenhängende Techno-Zentrum (TZ) mit inzwischen rund 6000 Stellen. Und jetzt werden Flächen knapp, wie TZ-Geschäftsführer Guido Baranowski klagt, das Techno-Zentrum platzt aus allen Nähten. Dort ist beispielsweise mit der Ruhrkohle-Tochter Mikroparts ein Spezialist angesiedelt, der Dortmund bei der Mikrotechnologie zu einem „weltweiten Kompetenzzentrum“ macht, wie IHK-Präsident Materna meint.
Aushängeschild für den Strukturwandel, bei der die Uni und die Fachhochschule die Rolle eines wichtigen Katalysators übernehmen, sind jedoch Software-Firmen. 900 dieser Unternehmen zählt NRW, 450 arbeiten davon allein in der Region Dortmund. Die Studiengänge Informatik sowie Elektrotechnik mit den entsprechenden DV-Ausrichtungen haben die Software-Häuser zum Blühen gebracht – aber auch die Initiative von Einzelunternehmern wie Winfried Materna, der ursprünglich Mitarbeiter der Uni Dortmund war.
Peter Tembaak vom Software-Haus Materna hat an der Fachhochschule im sauerländischen Meschede gelernt. Im Studiengang Elektrotechnik belegte er die Fachrichtung Informationsverarbeitung. Einer der wohl größten Erfolge, den Tembaak und seine Kollegen bei den Mehrwertdiensten Mobilfunk aufzuweisen haben, ist der SMS-Dienst, der Short Message Service: Dabei können per Handy Kurzmeldungen empfangen oder auch selbst versandt werden. Die Software-Lösungen für Mehrwertdienste auf der Basis von SMS stammen aus Dortmund, wo Materna auch die technische Umsetzung erledigt. 2,5 Mio. SMS-Meldungen verschickt Materna täglich, alle drei Monate verdoppelt sich ihre Zahl. Fünf Redakteure wurden eingestellt, um Welt- und Wirtschaftsnachrichten prägnant zu formulieren. Und als nächster Service soll sich das Handy melden, wenn vorgewählte Aktien im Handel zuvor bestimmte Preise über- oder unterschreiten. Das Kauf- oder Verkaufs-Signal individuell aus dem mobilen Telefon – das sind Zukunftsaussichten, die den gebürtigen Frankfurter Thomas Wolf beispielsweise bewogen haben, nach Dortmund zu kommen.
Ein Durchschnittsalter von 33 Jahren zählt die Mannschaft von Dr. Materna, 80 % sind Akademiker, die Firma sucht händeringend Nachwuchs. 33 Jahre sind im Schnitt auch die Zechenbelegschaften der Ruhrkohle alt, die meisten sind Facharbeiter, von 65 000 Kumpel bundesweit müssen bis 2003 rund 30 000 gehen. Ob sie in der „Parklandschaft“ aus Techno- und Industrie-Parks im Ostrevier neue Stellen bekommen, ist zweifelhaft. Bernd Schimanski und Bernd Philipp haben es zumindest geschafft – und an jedem Tag, wenn sie zur Arbeit gehen, kommen sie an einem alten Förderturm vorbei, der als letztes Zeichen der Kohlezeit im Revier im Techno-Park Kamen stehengeblieben ist.
MARTIN ROTHENBERG
Platzt aus allen Nähten: 6000 Menschen arbeiten im Dortmunder Technologie-Zentrum
Kumpel steigen um: Bernd Schimanski und Bernd Philipp beraten Fahrgäste.
Vermarkten Software: Peter Tembaak, Roland Hübner und Thomas Rolf von Dr. Materna.
Ufo in Lünen: Der Förderturm mit Colani-Kuppel steht im Technologiezentrum Lüntec.
Gebäude mit Zukunft: Der Hammerkopfturm in Dortmund beherbergt ein Kongreßzentrum.

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