„Manchmal einfach den Stecker ziehen“
VDI nachrichten, Düsseldorf, 16. 1. 04 – In Düsseldorf testet Vodafone gemeinsam mit Herstellern und Diensteanbietern UMTS. Zurzeit herrscht Hochbetrieb in den Laboren, schließlich steht die neue Mobilfunkgeneration kurz vor ihrem offiziellen Start. Bis dahin wird hier alles getan, um Netz, Handys und Services auf den realen Betrieb vorzubereiten. Dazu zählt auch, die Technik aus der Reserve zu locken.
Eine Reise in die Zukunft sieht anders aus. Grau-beige Büroflure reihen sich aneinander, immer wieder unterbrochen durch Glastüren mit Chipkarten- schlössern. „Verbot für Personen mit Herzschrittmachern“, steht auf einigen Türen, an andere sind flüchtig undefinierbare Codes geschrieben. Einzige Farbtupfer: Ein paar Plakate, auf denen uns eine jugendliche Clique oder Straßenmusiker entgegenstrahlen und in knalligem Rot fragen: „How are you?“.
Der weltgrößte Mobilfunk-Netzbetreiber Vodafone hat hier drei Stockwerke von Siemens gemietet. In reichlich unspektakulären Räumen befinden sich die deutschen UMTS-Labore des Konzerns, in denen alles rund um die kommende Mobilfunkgeneration getestet wird.
Gedämpfte Schritte lassen erahnen, dass sich unter dem Fußboden mehr verbirgt. „Hier sind hunderte von Kilometern Kupfer- und Hochfrequenz-Glasfaserkabel verlegt“, erklärt Christian Tralle, Leiter des Düsseldorfer Testzentrums. „Sie sorgen für die störungsfreie Funkversorgung in den einzelnen Räumen.“
Wieder öffnet Tralle mit seiner Karte eine Glastür. „Sicherheitsstufe B“, kommentiert er und sein Kollege Wassilos Papadakis ergänzt: „So kann bei uns jeder Hersteller in einem abgesonderten Bereich testen. Schließlich sollen sich Konkurrenten nicht über den Weg laufen.“
Was die stillen Flure nicht erzählen: Der Ansturm ist riesig. Zurzeit laufen rund 50 Tests parallel ab, arbeiten hier Tag für Tag 150 bis 170 Techniker und Ingenieure – nur die Hälfte von ihnen stammt von Vodafone. Bei Papadakis, der die Wünsche aller Testwilligen koordiniert, gehen täglich neue Anrufe von Antennenbauern ebenso wie von Handyherstellern und Spieleanbietern aus aller Welt ein. Wer hier was genau tut? Alles topsecret.
Vor einigen Monaten kam ein PC-Kartenhersteller mit seinem Prototypen auf einer Platine vorbei. Mittlerweile wird das Produkt, die Mobile Connect Card, in Notebooks von weit mehr als 1000 Businesskunden ausprobiert. Surfen mit 384 kbit/s – an vielen Stellen funktioniert das schon.
Kein Zweifel, die Tester sind in der heißen Phase – wenige Wochen, wenige Monate vor Beginn der UMTS-Ära. Die Frage nach dem offiziellen Start bringt die beiden Experten nicht aus der Ruhe. „Kein Kommentar“, heißt es einstimmig.
Es rauscht im 3G-Core-Raum, dem eigentlichen Herz des UMTS-Netzes. Geräusche von Kühlmotoren dominieren dort, wo sich ein grauer Kasten an den anderen reiht. „Waschmaschinen-Raum“, so nennen einige Vodafone-Mitarbeiter diesen Raum flapsig und er hat genau diesen Charme.
Hier stehen die großen Vermittlungsstellen, die U-MSCs (Mobile Switching Center), von Siemens und Ericsson, den beiden Ausstattern des Kernnetzes, dicht nebeneinander auf einem Stockwerk. Im realen Netz draußen werden die grauen Kästen der beiden Ausstatter nur selten in einem Gebäude zu finden sein. Sie haben sich Deutschland aufgeteilt. Wie genau, das soll zumindest vorerst ein Geheimnis bleiben. „Zum Start sind überall im Bundesgebiet U-MSCs aufgebaut“, weiß Tralle. Zunächst werden über 100 Städte und damit mehr als 25 % der Bevölkerung versorgt.
Das Handover – von herkömmlicher GSM (2G) zu kommender UMTS-Technik (3G) und vor allem umgekehrt – eines der wichtigsten Simulationsstücke, die hier exerziert werden. Manchmal erwacht auch in Zentrumsleiter Tralle wieder der Spieltrieb des E-Technikers. „Dann ziehen wir einfach einen Stecker und schauen, was passiert.“
Immer mehr Menschen lächeln uns von How-are-you-Plakaten an, bevor wir auf Götz Kursave vor seinem Notebook treffen. „Ich teste den Upgrade von MM3“, erklärt er. Anders ausgedrückt: Er untersucht, ob die Kommunikation vom Multimedia Switchcenter mit Gateways zu Messaging-Systemen, Streaming und anderem funktioniert. Schließlich verspricht uns die neue UMTS-Welt vor allem eins: Live-Bilder auf dem Handy.
Samsungs UMTS-Handys beherrschen das schon. Gesprächspartner anwählen, der muss den Videotalk bestätigen, Kamera in Aufnahmeposition halten und los gehts mit der Bewegtbildkommunikation.
Ein Hauch von Zukunft weht durch den Raum. Noch ruckelt es ein wenig, noch stören ein paar Pixel bei schneller Bewegung, doch der Gesprächspartner und seine Umgebung sind auch im gelblichen Bürolicht deutlich zu erkennen. Ob Großmütter sich über solche Gespräche mit ihren Enkeln freuen würden? Aber nein, hier wie bei vielen kommenden UMTS-Diensten sollen Businessleute die erste Zielgruppe sein. „Sie müssen die Kamera im Gelenk ein wenig drehen“, erklärt mir Kursawe und fuchtelt ein wenig zu stark mit der Hand herum, so dass die Pixel sich auf dem Display wie Bakterien in einer Petri-Schale vermehren. Doch genauso schnell verschwinden sie wieder.
Die zwei Kanadier im gleichen Test-raum für UMTS-Dienste stört unsere kleine Videokonferenz wenig. Gebannt verfolgen sie eine Vielfalt von Chiffren – Buchstaben und Zahlen – auf dem Bildschirm eines Notebooks. Geheimnisse der UMTS-Dienstewelt, die nur von Spezialisten interpretierbar sind. Da, plötzlich saust ein Finger auf den Schirm. Eine kritische Stelle? Ein Fehler in der Programmierung? Eher nein, ihr Blick und ihre Haltung wirken zufrieden. Und ein spontanes Bye-bye im Duett verrät, dass sie nicht weiter über ihre Entwicklung reden wollen. Wahrscheinlich auch hier ein Topsecret wie so vieles im Vodafone-Testcenter.
Draußen auf den Gängen werden derweil die Fußballer von Manchester United „How are you?“ gefragt. „We“re winning“, antworten Beckham & Co.
Davon sind auch Tralle und seine Mitarbeiter überzeugt. „Das Netz läuft – jetzt konzentrieren wir uns auf Handys und Dienste.“
Einige Türen und Sicherheitsstufen weiter begrüßt uns Thomas Ziolkowsky. „Ziolkowsky wie der Vater der russischen Raumfahrt“, sagt er freundlich und sein Oberlippenbart lacht mit. Vor seinen beiden Computern liegt das, was Verbraucher künftig von UMTS sehen werden: Handys eben.
Gerade hat sich Ziolkowsky ein paar Frischlinge aus dem Hause Nokia vorgenommen. Von der kommenden bunten UMTS-Welt verraten sie nur wenig. Das Nokia 6650 sieht aus wie ein ganz normales Mobiltelefon. Das Modell 7600 ist in seiner rautenartigen Form und seitlich angeordneten Tasten etwas gewagter. „Ein Highspeed-Handy im extravaganten Design“, so werben schon heute die Finnen.
Doch Ziolkowsky holt uns sofort wieder auf den Boden der Testerwelt zurück: „Hier geht es nicht um Schönheit oder Bedienkomfort, sondern nur um die Funktionen.“
Laufen die Handys mit den Basisstationen, wie sieht das Zusammenspiel mit anderen Geräten und in verschiedenen Netzgenerationen aus? Wie laufen die unterschiedlichen Applikationen – Streaming, MMS, E-Mail? Fragen über Fragen, die Ziolkowsky mit Hilfe verschiedener Testtools untersucht.
Die ersten Checks werden meist mit den Herstellern gemeinsam gemacht. Dann müsse man ihnen „beibringen“, was an dem Gerät noch nicht funktioniert. Die Tester rund um Tralle wissen: Es gibt „kooperative“ und einige „störrische“ Hersteller. Manche sind noch nicht einmal bereit den Vodafone-Testern alle notwendigen Tools zur Verfügung zu stellen. Die Vielfalt in der Mobilfunkwelt kann hier zum nervenaufreibenden Miteinander werden.
Entscheidend im jetzigen Stadium: Alles wird getan, um die Handys aus der Reserve zu locken. „Es gibt z. B. das Phänomen Um-die-Ecke-gehen“, erklärt Ziolkowsky. „Ein Handynutzer verschwindet dabei z. B. hinter einem Hochhaus und entfernt sich aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet einer Mobilfunkzelle – wie reagiert das Gerät auf eine derartige Störung, die wir hier natürlich bewusst initiieren?“
Ziolkowsky weiß, dass all seine Phantasie nicht ausreicht, um Simulationen für alle Situationen im realen Betrieb zu entwickeln. „Es gibt Dinge, auf die wir hier im Labor gar nicht kommen.“ Doch, ergänzt er verschmitzt: „Wir sind bemüht uns alle erdenklichen Dummheiten einfallen zu lassen.“
Und wenn das Labor nicht ausreicht? Dann werden alle Handys ins Auto eingepackt und müssen den so genannten Drivetest auf einer Teststrecke bei Camp-Lintfort bestehen.
Auf dem Gang fragt uns lächelnd eine Frau im Businesskostüm „How are you?“. Bei ihr wirkt der Werbeslogan von Vodafone irgendwie überzeugend. So wie Tralle, Papadakis, Ziolkowsky und all die anderen, wenn sie vom Spaß an ihrer Arbeit erzählen: „Hier wird es nie langweilig“, so Tralle und fügt leise hinzu. „Wir begeben uns jeden Tag auf eine neue Suche.“ REGINE BÖNSCH
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