Kölscher Netzwerk-Rekord
VDI nachrichten, Düsseldorf, 11. 4. 08, rb – Bis 2011 entsteht in Köln ein flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetzwerk, das Internet, Telefon und mehrere hundert Fernsehprogramme per Glasfaser ins Haus bringt. Schon heute beansprucht die Domstadt den Netzwerk-Spitzenplatz vor allen anderen europäischen Großstädten.
Nein, Düsseldorf ist kein Stichwort auf der Pressekonferenz von Netcologne. Denn wenn es um Hochgeschwindigkeitsnetzwerke geht, misst sich die Millionenstadt Köln nicht mit der kleinen Landeshauptstadt und ihren 582 000 Einwohnern. Köln konkurriert mit Metropolen wie Paris, Amsterdam, Wien, Mailand, München, Stockholm und Zürich.
„Wir sind eine der wenigen europäischen Städte, die ein flächendeckendes Glasfasernetz aufbauen“, referiert Netcologne-Geschäftsführer Werner Hanf ohne die marktschreierische Attitüde, die sonst oft mit solchen Botschaften verbunden ist. „Und wir liegen vorn.“ FTTB – Fiber to the Building, Glasfaser bis ins Gebäude – heißt der Terminus technicus, CityNetcologne das Projekt.
Damit die gelbe Glasfaser ins Haus kommt, muss gebuddelt werden. „Hier entsteht eines der modernsten Datennetze Europas!“, setzt ein Schild das Ausrufezeichen an einem schmalen, mit Absperrungen versehenen Graben, der nach feuchter Erde riecht.
Meist müssen nur Gehwegplatten zur Seite gelegt und knapp hüfthoch Erde und Sand ausgehoben werden. Dann wird der Stich gemacht, eine Bohrung durch die Hauswand in den Keller. Etwa 80 cm breit sind die Gräben, in denen die dicken orangefarbenen Kunststoffröhren vergraben werden. „Die Farbe muss leuchten, damit uns später keiner die Röhren beschädigt“, erklärt Horst Schmitz, Bereichsleiter Technik von Netcologne.
Ein Kleinbagger kippt Sand darauf. „Verdichten, Platten drauf, Absperrung weg und weiter“, skizziert ein Bauarbeiter die Arbeit. „Das geht meist schnell“, sagt Schmitz, „auch wenn die Wirte und Kölschtrinker im Belgischen Viertel nicht begeistert waren, als wir den Gehweg aufreißen mussten.“ Im Idealfall ist die Arbeit nach einem Tag getan.
Schon 900 km Glasfaser hat Net- cologne in den Häuserschluchten Kölns vergraben. Nicht immer ist das so einfach. Manchmal, wie am Barbarossa-Platz, müssen die Straßen nachts per Spülbohrung untergraben und die Röhren durchgeschoben werden.
Hanf und Schmitz können zufrieden sein. Wenn in diesen Tagen der erste Bauabschnitt des Citynetzes beendet wird, sind bereits 9000 Gebäude per Glasfaser angeschlossen. Zum Vergleich: In München stehen gerade mal ein paar hundert Wohnungen auf dem Anschlussplan. Nur in Amsterdam, wo wie in Köln seit 2006 ein Citynetz geplant wird, zeigt man mit 37 000 Wohnungen annähernd ähnlichen Ehrgeiz.
Die Ausbaupläne von Netcologne stellen aber auch Amsterdam in den Schatten. „Bis 2011 möchten wir in Köln ein Potenzial von 56 000 Gebäuden versorgen“, sagt Hanf. Zunächst nicht Ein- oder Zweifamilienhäuser, sondern Gebäude mit mindestens drei Wohnungen. Denn die Masse macht“s.
Über 370 000 Kunden telefonieren oder surfen schon mit Netcologne im Internet, davon haben über 336 000 einen Internetanschluss – meist über die von der Telekom angemietete „letzte Meile“. „Die kostet uns jährlich über 40 Mio. €, deshalb verlegen wir zuerst dort Glasfaser, wo wir besonders viele Kunden haben“, erklärt Technikexperte Horst Schmitz.
Erschlossen wird Köln generalstabsmäßig. „Wir haben die Stadt in sogenannte Kacheln eingeteilt“, sagt Schmitz. Das Belgische Viertel, in dem die Straßen nach belgischen Städtenamen heißen, ist eine dieser Kacheln. In der Nähe der neoromanischen Kirche St. Michael, am Brüsseler Platz, liegt einer der Technikräume, der die Kachel versorgt.
Graffitiverschmiert reiht sich der Altbau unauffällig in die Straße ein. Hinter der Kellertür aus Stahl verbergen sich sechs Gasflaschen einer Löschanlage. „Eigentlich brauchen wir die nicht, aber sicher ist sicher“, erklärt Technikchef Schmitz. Hinter der nächsten Tür warten gelbe Glasfaserleitungen aufgerollt auf die Installation. Im Keller nebenan lärmt eine Klimaanlage, blaue und gelbe Leitungen sind säuberlich in Kabelschränken aufgereiht.
In einem offenen Gestell tut ein Alcatel-Gerät, so groß wie drei PCs, seinen Dienst. „Das ist der Gigabit Ethernet Aggregation Switch“, erläutert Schmitz. Hier laufen die gläsernen Fäden zusammen: die Ringleitung, die den Haupttechnikraum mit den neun Technikräumen wie diesem Keller im Belgischen Viertel verbindet. Rund 400 Gebäude sind schon an den Knotenrechner angeschlossen. Per Glasfaser erhalten über 3000 Wohnungen im Viertel Telefonanschluss, Internet und Fernsehprogramme. Mit einem Blick auf die leeren grünen Kupplungsstücke sagt Schmitz: „Sie sehen, da ist noch Platz für viele neue Kunden.“
Etwa 90 km Glasfaser, so Schmitz, sind im Belgischen Viertel verlegt. Stabile Kunststoffschläuche, kaum dicker als Gartenschläuche, verschwinden durch die Kellerwand ins Erdreich vor dem Haus und von dort ins ganze Viertel. In den orangefarbenen Schläuchen stecken 5 mm dicke Röhrchen, durch die das gelbe Glasfaserkabel geschossen wird. „Wir benutzen dafür Druckluft und können bis zu 1 km weit schießen, sogar um Ecken herum“, sagt Schmitz. Das funktioniert nur, weil das Kabel, das vier nicht einmal haardünne Glasfasern umhüllt, nicht glatt ist. Die Kunststoffoberfläche ist zerklüftet wie ein Pfeifenputzer und wird vom Luftstrom mitgerissen. „Jede Faser ist so leistungsfähig, dass darüber eine Kleinstadt kommunizieren könnte“, beschreibt Eva Krüger, Leiterin Unternehmenskommunikation bei Net- cologne, die Kapazität.
Zu den Wohnungen müssen keine neuen Leitungen verlegt werden. „Wir gehen an die vorhandenen Kupferkabel und schaffen mindestens 50 Mbit/s, meist aber 100 Mbit/s und mehr“, bemerkt der Bereichsleiter Technik. Beim Kunden kommt das Fernsehprogramm analog aus der TV-Steckdose und braucht nur einen Receiver für den digitalen Empfang von gut 300 Radio- und Fernsehprogrammen. Ein DSL-Kästchen verbindet mit PC und Telefon. Die gigantischen Übertragungskapazitäten und höchste Priorität für die zeitkritischen Datenpakete sorgen für eine glasklare Sprachqualität.
Mit Fiber to the Building spart Netcologne bald den Obolus an die Telekom ein, der ein Zehntel des Umsatzes ausmacht. Doch die treibende Kraft ist der Wunsch, eine universelle Technologie zu installieren, die auf 20 Jahre zukunftssicher erscheint. „Es ist klar, dass die Internettechnologie bald die leitungsvermittelte Telefonie ablösen wird. Fiber to the Building bringt schnelles Internet, Telefon- und Fernsehanschluss über eine einzige Verbindung“, beschreibt Schmitz den Nutzen. 100 Mbit/s sind die Zielmarke für Haushalte und natürlich auch für Mittelständler und die Industrie, die im Haupttechnikraum in Braunsfeld noch viel Platz für Datenbank- und Webserver hätte.
Unauffällig, von blinkenden Kameraaugen bewacht, rauschen die Server in einem durch Stahltüren gesicherten Rechnerraum, der erst halb voll ist. Kaum ein Geräusch ist dagegen aus den Räumen zu vernehmen, in denen Hunderte von schwarzen Batterieblöcken und ein Dieselmotor auf den Notstromeinsatz warten. Ein Netzausfall wäre fatal, schließlich laufen hier die Nerven der Millionenstadt zusammen.
Aus dem schlichten Hinterhof-Gebäude werden Brücken in globale Kommunikationsnetze geschlagen. Es gibt noch viel Platz für Erweiterungen, zeigt Schmitz, während die Alarmanlage wegen der offen gehaltenen Tür losheult. „In der Zentrale in Ossendorf haben die Kollegen uns schon lange gesehen“, schreit Schmitz gegen das Alarmhorn an. Zahlreiche Kameras und Sensoren in Gängen und Räumen bewachen Schritt und Tritt der Besucher.
100 Mbit/s reichen spielend für hochauflösende Fernsehbilder und Fernsehen auf Abruf – Entwicklungen, die erst in einigen Jahren Breitenwirkung entfalten werden. Trotzdem bleibt reichlich Kapazität für Anwendungen, die noch keiner kennt.
Geschäftsführer Hanf ist stolz darauf, dass sein Unternehmen in Köln mit 50 % Anteil schon 2007 Marktführer bei den DSL-Anschlüssen war. Die Telekom bedient nur noch 24 % der Kölner, Arcor 12 %. „Unsere Angebote stoßen auf eine phänomenale Resonanz“, stellt Hanf fest. Das liegt auch am Preis: Ab 29,90 € monatlich können Kunden in Köln telefonieren und surfen. Die superschnellen 100 Mbit/s gibt es derzeit für 10 € mehr aber nur in Köln.
„Mit unserer Infrastruktur stärken wir den Standort Köln“, gibt sich Hanf einmal staatsmännisch. Das könnte klappen. Ende 2011 sollen 56 000 Gebäude in Köln einen Glasfaseranschluss haben. Solche Initiativen gibt es in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, in der seit dem Ende von Isis die kommunikationstechnische Kleinstaaterei herrscht, nicht. Düsseldorfer können wirklich neidisch auf Köln sein.
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