Handys erleichtern das Schummeln bei Tests
Wenn nach den Feiertagen der Unterricht an den Schulen und der Lehrbetrieb an den Universitäten wieder aufgenommen werden, müssen sich Lehrer und Professoren auf ein verstärktes Klingelkonzert von Handys einstellen.
Hunderttausende von Handys lagen unter dem Weihnachtsbaum. Die Zahl der Jugendlichen unter den 23 Mio. Mobilfunkern in Deutschland wächst unaufhaltsam. Grund genug für Schulleitungen, Hochschulrektoraten und Kultusministerien, sich über die schöne neue Kommunikationswelt Gedanken zu machen, denn sie könnte auch für den Unterrichts- und Prüfungsbetrieb Folgen haben.
Als erstes reagierte Bayerns Justizminister Manfred Weiß schon vor Weihnachten auf den Handy-Boom und warnte die angehenden Juristen davor, bei Examensprüfungen über Handy heimlich Rat von außen in die Prüfungsarbeiten einfließen zu lassen. „Die Benutzung unerlaubter Hilfsmittel und die Kontaktaufnahme mit anderen Prüfungsteilnehmern oder dritten Personen sind streng verboten“, so der Justizminister. Und weil man es bei diesem Appell nicht belassen wollte, wurden die Aufsichtspersonen mit Handy-Aufspürgeräten ausgerüstet, die angeblich Mobiltelefonate im näheren Umkreis des Prüfungsraumes zuverlässig anzeigen sollen.
Doch die Industrie ist dabei, Prüfungskandidaten mit immer ausgefeilteren elektronischen Helfern auszurüsten. Das noch mit Risiken verbundene lautstarke Telefonieren auf der Toilette dürfte bald der Vergangenheit angehören, wenn die neuen WAP-Handys auf den Markt kommen, mit denen man nicht nur telefonieren, sondern E-Mails einfacher versenden und empfangen, mit denen aber auch im Internet gesurft werden kann. Siemens und der japanische Computerhersteller Casio wollen einen gemeinsam entwickelten PC im Westentaschen-Format auf der CeBIT 2000 in Hannover vorstellen, der sich bereits auf neueste Funktechniken versteht.
An der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität glaubt man, mit den neuen technischen Herausforderungen im Prüfungsgeschäft vorerst noch fertig werden zu können. „Die Leute, die aufpassen, sind ja auch nicht ganz doof“, meint Uni-Sprecher Dietmar Schmidt. Sollte die technische Aufrüstung der Studenten Ausmaße erreichen, denen Prüfer und Aufseher nicht mehr gewachsen sind, denkt man freilich auch an technische Gegenmaßnahmen. Dazu gehört für die Uni sogar die Installation von Störsendern.
Im normalen Unterrichts- und Lehrbetrieb sorgen die immer winziger werdenden elektronischen Begleiter schon heute für Probleme. Auf einer germanistischen Fachtagung im vergangenen Jahr wurde laut „Spiegel“ über Studenten geklagt, die während der Vorlesungen per Handy miteinander telefonierten. Die Kommunikationswut ist offenbar von Fachbereich zu Fachbereich unterschiedlich ausgeprägt. In München klagen beispielsweise besonders Betriebswirtschaftler über ständiges Handy-Geklingel in den Vorlesungen.
Auch die Schulen hat die Handy-Welle längst erreicht. Der Besitz eines Handys beginne bereits, bei Grundschülern zum Status-Symbol zu werden, beobachtet der nordrhein-westfälische Landesverband Bildung und Erziehung (VBE). Mit taschengeldfreundlichen Preisen von 400 DM für „Kid-Phones“ oder anderen Einsteigermodellen sind Industrie und Handel längst dabei, auch diese junge Zielgruppe zu erschließen. Zunehmend seien Handys der Anlass für Auseinandersetzungen zwischen Lehrern und Schülern, so der VBE. Am Cusanus-Gymnasium im nordrhein-westfälischen Erkelenz verhängte Direktor Michael Bierbach bereits ein Handy-Verbot. Grund: Ein „aufmüpfiger Mittelstufenschüler“ habe auf ständige Erreichbarkeit während des Unterrichts beharrt.
Auch in Bayern will man den Umgang mit der neuen Kommunikationswelt erst einmal den Schulleitungen überlassen. Eine spezielle Regelung zum Gebrauch von Mobiltelefonen sei nicht nötig, weil die Schüler nach den geltenden Gesetzen ohnehin schon alles zu unterlassen haben, was den Schulbetrieb stören könnte, so Brigitte Waltenberger vom bayerischen Kultusministerium. Fälle, in denen sich Schüler für die Pause eine Pizza bestellten, hebelten das Schulsystem nicht aus. In der Landeshauptstadt sieht man die Entwicklung weniger gelassen. Bis zur nächsten Abitur-Prüfung müsse es eine Regelung geben, sonst könne „massiv geschummelt“ werden, so Jürgen Lachner vom Münchener Schulreferat. RALF MÜLLER
Was Handy-Hersteller und Netzbetreiber freut, sorgt in Schulen und Universitäten für immer mehr Aufregung: telefonierende Kinder, Jugendliche und Studenten.
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