Freiluftlabore: Mobilfunker erkunden Digitale Dividende
E-Plus und Vodafone testen gemeinsam mit Landesmedienanstalten, wie sie dünn besiedelte Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg mit schnellem Internet versorgen können. Bei den Pilotversuchen geht es um die viel beschworene „Digitale Dividende“. Hier wird Mobilfunk in einem Frequenzspektrum übertragen, das bislang für Rundfunk reserviert war. VDI nachrichten, Grabowhöfe, 30. 4. 09, rb
Im Wintergarten ihres Hauses hält Elke Schult, ehrenamtliche Bürgermeisterin von Grabowhöfe, dienstagnachmittags ihre Sprechstunde ab. Die Gemeinde mit fünf Ortsteilen hat 1060 Bürgerinnen und Bürger und ist rund 10 km von Waren an der Müritz entfernt. Neuerdings ist die 53-jährige Mathematik- und Physiklehrerin eine von 50 Internettestern via Mobilfunk.
Hier im Wintergarten surft sie täglich: „Abends von 17.30 Uhr bis manchmal 23 Uhr.“ Dann checkt Schult ihren Stundenplan für den nächsten Tag, recherchiert für ihre Unterrichtsstunden und beantwortet Anfragen für ihre Ferienwohnung samt Fotos und Anfahrtsweg.
Ein kleiner Stick des chinesischen Herstellers Huawei mit integrierter SIM-Karte macht dies möglich. Er empfängt die Signale einer neu ausgerüsteten Basisstation in rund 1 km Entfernung. Bisher musste sich Schult mit ISDN-Geschwindigkeit und damit 64 kbit/s begnügen. Jetzt kann sie mit durchschnittlich 2 Mbit/s bis 3 Mbit/s surfen und mit bis zu 1,4 Mbit/s Fotos hochladen.
Auch Landwirt Marc Holländer schätzt die neue Möglichkeit, um Tiergeburtsmeldungen per E-Mail nach Bayern an das zentrale Register zu schicken. Doch damit sind sie Einzelfälle – nicht nur in Grabowhöfe. Mecklenburg-Vorpommern zählt zu den Bundesländern mit den meisten unterversorgten Gemeinden, im Fachjargon „weiße Flecken“ genannt. „Unsere Bedarfsanalyse umfasst momentan 14 000 Anfragen, davon sind 20 % Gewerbe“, beschreibt Bernd Holter, Leiter der Koordinierungsstelle Breitband beim Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern, die momentane Situation.
Viele weiße Flecken in Mecklenburg-Vorpommern
Die kleinen Datensticks für die 50 Nutzer in Grabowhöfe sind Massenware. Ericsson setzt die Ausrüstung seit 2008 in Australien ein. Dort hat der schwedische Netzwerkausrüster das HSPA-Netz (Highspeed Packet Access) für das Mobilfunkunternehmen Telstra aufgebaut.
„Mecklenburg-Vorpommern ist aber nicht Australien“, kommentiert Marc Heynen den Pilottest. Während im flachen Australien mit einer Basisstation Reichweiten von 60 km und mehr erzielt werden können, seien es hier rund 20 km. „Da reichen allein schon Gebäude und Wälder, die dem Signal in die Quere kommen“, sagt der Ericsson-Produktmanager für Basisstationen. Michael Krämer, technischer Projektleiter bei E-Plus: „Auf einem Hof, 18 km von der Basisstation entfernt, müssen wir das Signal schon suchen.“ Ein WLAN-Router im Dachgeschoss, lautet eine Lösung.
Dennoch sind die beiden Techniker mit dem bisherigen Verlauf zufrieden. Nur wenige Tage dauerte der Netzaufbau. Ein geeigneter 65 m hoher E-Plus-Sendemast wurde mit drei Antennen bestückt, die jeweils 7,2 Mbit/s liefern. Die Basisstation ist per Richtfunk an das E-Plus-Netz angebunden. „Wir könnten übermorgen weitere Gemeinden versorgen“, sagt Krämer mit Blick auf die Entscheidung des Bundesrates Mitte Mai. Dann wird abgestimmt, ob „rund 20 % der digitalen Dividende für die mobile Breitbandversorgung im ländlichen Raum zur Verfügung stehen wird“.
Bis dahin sind die praktischen Tests nicht abgeschlossen. Noch ist unklar, wie die neue Breitbandlösung über den Äther „DVB-T, Kabelfernsehen und Mikrofonanlagen von Veranstaltern stört und wie geeignete Filtertechnologien für Basisstationen aussehen“, so Uwe Hornauer, Direktor der Landesrundfunkzentrale Mecklenburg-Vorpommern.
Hornauer favorisiert die UMTS-Nachfolgetechnologie LTE (Long Term Evolution). Sie verspricht weit höhere Datenraten als das jetzt getestete HSPA. „Wir reden mit T-Mobile über einen LTE-Test und stehen kurz vor dem Abschluss“, sagt Hornauer.
Auch in Baden-Württemberg startet ein einjähriger Test mit HSPA über die Rundfunkfrequenzen. Bis Ende Mai will Vodafone nach Vereinbarung mit der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) 100 Nutzer in den Gemeinden Bopfingen und Unterschneidheim versorgen. „Wir bringen derzeit unsere Antenne auf dem Schloss Baldern auf schnelles UMTS-Niveau“, sagt Andreas Weller, technischer Leiter des Pilottests bei Vodafone. Eine einzige Antenne soll rund 40 km² versorgen.
Mitte Mai tagt der Bundesrat zur Digitalen Dividende
Später liefern die Düsseldorfer den Kunden spezielle WLAN-Router, die ebenfalls in Australien eingesetzt werden und beim Hochladen ein Spektrum von 870 MHz bis 875 MHz und beim Herunterladen von 825 MHz bis 830 MHz verwenden. „Nutzer können dann mit max. 7,2 Mbit/s surfen und ihre Fotos mit 1,4 Mbit/s hochladen, wobei sie sich die Bandbreite teilen müssen“, sagt Weller. Der Techniker rechnet mit einer guten Versorgung, doch das hügelige Gebiet mit Höhenunterschieden bis zu 150 m könne in Randbereichen zudem Außenantennen erfordern.
Dass Bopfingen und Unterschneidheim keine Einzelfälle bleiben, davon ist Weller überzeugt. „Weitere Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Brandenburg sind aktiv und stehen mit uns in den Startlöchern.“ NIKOLA WOHLLAIB
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