Endstation Dotcomtod
Neue Webseite bietet Mitarbeitern strauchelnder Internet-Unternehmen Erste-Hilfe-Informationen und ein Ventil zum Frust ablassen.
Jeden Morgen das gleiche Bild: In krisengeschüttelten Multimedia-Unternehmen loggt sich die halbe Belegschaft mit Decknamen ein und schreibt sich den Frust von der Seele. Dauerpraktikanten klagen über „höllische 16-Stundenjobs“ und nicht eingehaltene Versprechungen mobbender Chefs, während die Vorstände noch öffentlich von Auslandsexpansionen und Marktführerschaft träumen.
„Wir hinterfragen die Seifenblasen der Internetbranche kritisch und geben den betroffenen Mitarbeitern ein Ventil“, sagt Dotcomtod-Mitgründer Joman. Entwickelt hat die Idee eine bodenständige Berliner Hausfrau mit Künstlernamen Lanu. Als ihr Mann eines Tages mit halbiertem Gehalt und fast wertlosen Optionsscheinen nach Hause kam, beschloss sie zu handeln. Ihre beiden Mitstreiter fand sie auf einschlägigen Parties. Neben Joman, Ex-Vertriebschef einer Softwareschmiede, ist noch Informatiker Boo im Boot. Nur ihre Spitznamen geben sie preis, schließlich müssen sie auch künftig in der Branche ihre Brötchen verdienen.
Ihre Seite soll keine „Spielwiese der Frustrierten“ sein, sondern mit schwarzem Humor die Auswüchse der New-Economy hinterfragen und Informationen für die Betroffenen bieten. Schließlich fänden in manchen Firmen sogar noch Vorstellungsgespräche statt, wenn gerade der halben Belegschaft gekündigt wurde, weiß Joman.
Die Informanten, von den Dotcomtod-Gründern „Sentinels“ genannt, füllen eifrig die Todeslisten aus. Für Negativmeldungen wird an die Firma ein „Boo“ vergeben – im Gedenken an eine untergegangene Mode-Website. Beim Exitus wird ein „Final Boo“ fällig. Je mehr Neuigkeiten ein Mitspieler beiträgt, desto höher klettert er im Ranking. Bei unqualifizierten Hinweisen meldet sich Lanu zu Wort, zensiert wird aber nicht. Kurz nach dem Online-Start wurde die Gründerin von einer Flut empörter E-Mails und Klagedrohungen bombardiert, weshalb sie ihre Identität geheim hält. Ein Büro haben die Gründer nicht, Organisatorisches wird in einem Café im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg geregelt. Finanzieren wollen sich die Idealisten künftig durch den Verkauf von Sentinel-Shirts und Devotionalien untergegangener Dot.coms. SUSANNE ZIEGERT
Ein Beitrag von: