Digitales Schwarzes Loch schluckt Informationsgesellschaft
VDI nachrichten, Düsseldorf, 4. 8. 06, swe – Museen, Bibliotheken und Archive sollen unsere kulturellen Wissensbewahrer sein. Doch je mehr Kulturgüter wie schriftliche Dokumente digitalisiert werden oder gar nur als Daten vorliegen, desto dringlicher wird es, Methoden zu ihrer sicheren Langzeitarchivierung zu entwickeln. Bisher steht man hier erst ganz am Anfang.
Mehr und mehr unseres kulturellen Schaffens steht als Website digital im Internet. Behörden, deren Daten in die staatlichen Archive wandern, bemühen sich um Digitalisierung ihrer Dokumente und erzeugen neue oft nur noch digital.
Bibliotheken digitalisieren wertvolle Buchbestände, um sie mehr Menschen online zugänglich zu machen und sie vor dem Verfall zu bewahren. „Auch die Museen speichern die Informationen zu ihren Fundstücken immer öfter als File und nicht mehr auf Papier“, sagt Monika Hagedorn-Saupe vom Institut für Museumskunde in Berlin.
Ob unser kulturelles Erbe in Form von Nullen und Einsen wirklich sicher ist, daran gibt es Zweifel. Jonas Palm, Direktor des Stockholmer Rijksmuseums, ist einer der Skeptiker und verantwortet den Konservierungsbereich. Er spricht vom „Digital Black Hole“, in dem die Informationsflut von heute genau so sang- und klanglos verschwinden könne, wie sie entstanden ist.
Palm plädiert deshalb zumindest in Teilbereichen für den bewährten und vergleichsweise billigen Mikrofiche als Archivierungsmedium. Denn an die langfristigen Kosten digitaler Archivierung werde, so Palm, kaum gedacht.
Schließlich reicht es nicht, ein Speichersystem zu beschaffen und es mit Daten zu füllen. Das System muss gewartet und verwaltet werden. Vor allem müssen die Daten regelmäßig auf die neueste Technologie migriert werden, um ihre Lesbarkeit zu sichern. Fehlt irgendwann das Geld zur Pflege, gehen vielleicht auch die Daten verloren.
Leider ist die digitale Speicherung, gemessen an den Ewigkeitsansprüchen musealer Sammlungen und staatlicher Archive, auch heute eher eine Eintagsfliege. Eine Festplatte hält gerade einmal fünf Jahre, ein Band etwas länger, teure optische Platten fünfzig bis siebzig Jahre, von ständig wechselnden Softwaremoden und Datenformaten ganz zu schweigen. Gemessen an dem Anspruch, Daten potenziell für immer vorzuhalten, ist das fast lächerlich.
Techniken und Prozesse, die Unternehmen oder auch die Medizin in der Archivierung einsetzen, eignen sich nur sehr bedingt. Schließlich erlöschen hier Dokumentationspflichten spätestens nach dreißig, meist aber schon nach zehn Jahren oder früher.
Damit das Problem angegangen wird, ehe es zu spät ist, gründete sich vor drei Jahren das Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung, kurz Nestor. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte Nestor in dieser Zeit mit insgesamt 1 Mio. € gefördert – ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man den Umfang der Aufgabe bedenkt.
Das Netzwerk möchte gern weiterarbeiten, aber nur in einem finanziell und organisatorisch gesicherten Rahmen. „Bisher lief vieles ehrenamtlich, aber nun brauchen wir Professionalisierung“, sagte Ute Schwens von der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/Main. Für die nächsten drei Jahre sind 1,5 Mio. € beantragt.
Zum Abschluss der ersten drei Jahre legte der Verband solide Arbeitsergebnisse vor. Das „Memorandum Langzeitarchivierung“ macht Politik und Öffentlichkeit noch einmal die Dringlichkeit des Thema deutlich. Gleichzeitig legt Nestor auch einen flexiblen Kriterienkatalog für vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive vor.
„Jedes digitale Archiv sollte zuerst Zweck und Zielgruppe archivieren. Danach richtet sich dann der nötige Aufwand“, sagte Astrid Schoger von der Bayerischen Staatsbibliothek. Die Fachöffentlichkeit kann das Papier bis Mitte September kommentieren.
Letztendlich möchte Nestor, dass eine Instanz geschaffen wird, bei der Digitalarchive sich anhand der Kriterien zertifizieren lassen können. „Wie die gestaltet und finanziert werden soll, wissen wir aber noch nicht“, sagte Schoger. ARIANE RÜDIGER
Ein Beitrag von: