Die Spielbank fürs Wohnzimmer
Sie sind angeblich billiger und besser. Glücksspiele im Web verlangen kaum Einsätze und versprechen hohe Gewinnchancen. Viele Preise sind aber nur vermeintlich wertvoll. Wer etwa Tischtennisschläger gegen Werbefluten tauscht, macht nicht wirklich ein gutes Geschäft.
Eine Million DM – für viele der Inbegriff aller Wünsche. Eine Million DM – davon versprechen sich viele ein Leben ohne Sorgen und Arbeit. Wer Millionär ist, der „hat es geschafft“. Doch wie an die Million herankommen? Mit redlicher Arbeit allein ist das kaum zu schaffen – ohne Fortuna geht gar nichts. Nicht umsonst sind Glücksspiele echte Dauerbrenner. Ob Spielkasino oder „einarmiger Bandit“, ob Preisausschreiben oder Lostrommel – Millionen Deutsche beteiligen sich regelmäßig an jeder Art von Gewinnspiel. Der wohl meist genutzte Weg hin zur Million ist das Lotto-Spielen. Vom Arbeitslosen bis zum Fabrikanten reicht die Palette derer, die sich Samstag für Samstag, Mittwoch für Mittwoch oder auch gleich samstags und mittwochs zum nächsten Zeitschriftenkiosk oder zur Tabakhandlung um die Ecke aufmachen, um einen Zettel mit mehreren Kreuzen zu versehen, Geld für den Tipp zu bezahlen und dann fiebernd der Ziehung via Fernsehübertragung beizuwohnen.
Zehntausende Lottofans aber gehen nicht mehr Woche für Woche zur Annahmestelle. Sie tippen bequem vom heimischen Schreibtisch aus. Das Internet ist auch hier auf dem besten Weg, alte Gewohnheiten umzukehren. Seit Anfang Februar bietet die Hamburger Firma Jamany GmbH das Lottospielen via Internet an. Nach Eingabe der Adresse www.tipp24.de kann am Bildschirm des Computers ein virtuell auf dem Bildschirm abgebildeter Lottoschein ausgefüllt werden. Auch an Spiel 77, Super 6 und der neuen Sportwette Oddset kann so teilgenommen werden. Marc Peters, Geschäftsführer der Firma Jamany, erläutert die Vorzüge des Online-Spielens: „Die Gewinner werden nach der Ziehung automatisch benachrichtigt – entweder über eine E-Mail oder über eine SMS auf dem Display ihres Mobiltelefons.“ Auch eventuelle Gewinne werden automatisch überwiesen – die aus Slapstick-Filmen bekannte verzweifelte Suche nach dem Lottoschein ist also seit Online-Lotto vorbei. Peters betont, dass das Spielen via PC und Internet absolut sicher sei: „Nach dem Abgeben des Tipps erhält jeder Spieler eine Bestätigungsquittung per E-Mail mitsamt einer Quittungsnummer.“ Bezahlt wird der Tipp per Lastschrift, Überweisung oder Kreditkarte. Ein Aufschlag für die Online-Tippabgabe wird dabei nicht erhoben. Der Spieler nimmt am gleichen Lottospiel teil wie der Tipper, der seinen rot-weißen Zettel im Kiosk abgegeben hat – mit gleicher Gewinnchance. Wie begehrt der Zugang zum Lottospiel über die Datenautobahn ist, zeigt ein Rechtsstreit: West-Lotto hat beim Landgericht Köln Ansprüche auf die Marke „Lotto“ angemeldet, denn bisher nutzte Jamany den Domain-Namen http://www.lotto24.de. Um eine Eskalation des Streits zu vermeiden, ist Jamany bis auf weiteres auf „Tipp24“ umgestiegen. Doch die Herausgabe der Domain wurde bisher verweigert, das Gericht wird entscheiden müssen, wer den begehrten Namen verwenden darf. Im ersten Quartal will die Jamany GmbH zur AG werden – Ziel: neuer Markt.
Dort ist seit Februar Web.de aus Karlsruhe gelistet (WKN 529 650), Anbieter eines der begehrtesten Online-Gewinnspiele Deutschlands. „Millionenklick“ heißt das Angebot, bei dem der Name Programm ist. Web.de, die sich bisher als Internet-Portal einen Namen gemacht hat, will damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Pascal Schmidt, Projektleiter für Onlinedienste und verantwortlich für den „Millionenklick“, erläutert: „Wir als Web-Portal wollen viele Bereiche des täglichen Lebens abdecken. Dazu gehört auch das Spielen.“ Um das Spielen um die Million zusätzlich attraktiv zu machen und die Nutzer an das Web.de-Portal zu binden, können die übrigen Dienstleistungen des Unternehmens, etwa ein Gratis-E-Mail-Zugang, mit den gleichen Zugangsdaten genutzt werden wie der „Millionenklick“. Zum anderen, so Pascal Schmidt, dient der „Millionenklick“ schlicht und einfach als Werbung für das Unternehmen. Und diese Rechnung scheint aufzugehen. Stiegen die Zugriffszahlen seit Januar 1999 zunächst zwar kontinuierlich, aber überschaubar, hat sich die Zahl der Internet-Surfer auf „Web.de“ seit Einführung des „Millionenklicks“ nahezu verdoppelt.
Jeden Tag kann hier die berühmte Million gewonnen werden. Die Teilnehmer sehen auf dem Bildschirm eine Art Lottoschein. Nachdem sie sieben aus 50 Zahlen getippt haben, senden sie den Tipp ab. Dabei wird deutlich, wer das Preisgeld auslobt. Der Lottoschein geht nämlich erst dann auf Reisen, wenn der Spieler eines von vier Sponsorenfenstern angeklickt hat, die zur Auswahl eingeblendet werden. Zum Dank bekommt er jede Menge Verbraucherinformationen.
Jeden Tag um 16 Uhr werden die Gewinnzahlen von einer „Glücksfee“ gezogen – der Spieler kann, dank Web-Kameras, live dabei sein. Wenn alle sieben Zahlen eines Spielers mit den gezogenen übereinstimmen, winkt dem Glücklichen der Gewinn von 1 Mio. DM. Bisher musste die Summe noch nicht ausgezahlt werden: Trotz mehrerer 10 000 Spieler am Tag und über 100 000 registrierten Teilnehmern ist die Wahrscheinlichkeit (1:100 Millionen) eben noch kleiner als die für den sprichwörtlichen „Sechser im Lotto“. Anders als beim kostenpflichtigen Vorbild, dem Lotto, lockt hier nur dann ein Gewinn, wenn alle sieben Zahlen richtig getippt wurden – wer „nur“ sechs Richtige hat, geht leer aus.
Eine kleine Zusatzchance gibt es aber doch: Wer zehn Mal innerhalb eines Monats beim „Millionenklick“ mitgemacht hat, nimmt an einer Sonderauslosung teil. Und dabei werden meist 100 000 DM verlost, zum Auftakt war es sogar 1 Mio. DM. Ein Kölner wurde erster deutscher „Internet-Millionär“.
„Alle Gewinne werden durch unsere Sponsoren abgedeckt“, erklärt Pascal Schmidt. Und für den Fall der Fälle, dass trotz aller mathematisch berechenbaren Wahrscheinlichkeit irgendwann einmal Woche für Woche Million für Million ausbezahlt werden muss, deckt eine Versicherung dieses Risiko ab.
Sicherlich ist Web.de ein dicker Fisch im Teich der Gewinnspiel-Anbieter im Netz. Die lockende Million zieht die Internet-Glücksritter an wie ein Topf Honig die Bienen. Wer sich mit einer geringeren Gewinnerwartung zufrieden gibt, der kann stundenlang durchs Netz surfen und Tipps abgeben. Sogar eigene Suchmaschinen weisen mittlerweile den Weg von Gewinnspiel zu Gewinnspiel. Dutzende von Angeboten führt etwa www.gewinnspiel.de auf, eine Datenbank, in die sowohl einmalige Werbespiele wie auch fortwährende Angebote aufgenommen sind. Mal handelt es sich dabei um kurzweiliges Glücksspiel, manchmal trifft man aber auch auf eine weit reichende Umfrage mit Bewertung der aufgerufenen Website. Die Bandbreite der Teilnehmerpreise reicht von 20 Goldbarren im Wert von 20 000 DM herab bis hin zu handsignierten Tischtennisschlägern vermeintlich bekannter Ballartisten.
Auch „schwarze Schafe“ tummeln sich im Gratis-Gewinnspiel-Markt. Wer hier in der Hoffnung auf einen fetten Gewinn seine Adresse samt E-Mail abschickt, wird nur wenige Tage später mit „attraktiven Angeboten“ aller Art traktiert. Die versprochene Auslosung findet nie statt. Wie jede gute Idee, findet eben auch jeder Gauner seine Nachahmer. Und noch gibt es, anders als für den heimischen Briefkasten, für den E-Mail-Eingangskorb keine Aufkleber, die das Einwerfen von Werbung verhindern. JÖRG WINKEL
Immer mehr Glücksritter fiebern ihrer Million vor dem Computer statt vor dem Fernseher entgegen. Mit zitternden Fingern beteiligen sie sich an den zahllosen Lotto-Kopien und Roulette-Spielen im Internet.
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