Die Kälte des Siliziums hautnah spüren
Die Geschichte der Informationstechnik begann vor 5000 Jahren, zumindest im angeblich größten Computermuseum der Welt. Und das steht nicht in Sydney oder New York. Das Heinz-Nixdorf- MuseumsForum (HNF) hat sein Domizil im westfälischen Paderborn.
Dass es da zu finden ist, beruht nicht auf einem Zufall: Hierhin hatte Namensgeber und Firmengründer Heinz Nixdorf – gebürtiger Paderborner – Ende der 60er Jahre den Firmensitz der Nixdorf Computer AG aus der Ruhrgebietsstadt Essen verlegt. Das typische 70er-Jahre-Gebäude, in dem jetzt das HNF residiert, diente als Verwaltungszentrale des Unternehmens. Aber das ist Geschichte. 1990 wurde die Nixdorf Computer AG mit dem Bereich Daten- und Informationstechnik der Siemens AG in der Siemens Nixdorf Informationssysteme zusammengefasst. Dem 1986 verstorbenen Computerpionier ist das HNF gewidmet. Schließlich war es auch seine Idee, die Entwicklungsgeschichte des Computers in einem Museum aufzuzeigen. Als Grundstock dienten die bereits von ihm gesammelten 1000 historischen Objekte. Das HNF ist eine Hommage an Heinz Nixdorf – aber zugleich auch ein Ort, an dem die Kulturgeschichte der Informationstechnik in eindrucksvoller und zeitgemäßer Weise inszeniert ist.
Da ist zum Beispiel der 1955 in Betrieb genommene „Eniac“ – beziehungsweise das, was das HNF von dem ersten Röhrenrechner „Eniac“ hat, denn große Teile der Bestände sind in zwei Museen in den USA zu bewundern. Aber die pfiffige Installation – durchsichtige Plexiglaswände, auf denen einige Bauteile abgebildet sind, werden kombiniert mit echten Bauteilen – und geben einen 1:1-Eindruck von dem mehr als 50 m2 großen Rechner. „Eniac“ (Electronic Numerical Integrator and Computer) benötigte 22 Röhren, um eine Stelle einer zehnstelligen Dezimalzahl elektronisch bereitzustellen. 18 000 Röhren mussten für die Dauer einer Rechenaufgabe betriebsfähig gehalten werden. Etwa sieben Mal am Tag schmorte eine dieser Röhren im Schnitt durch. Ein Heer von Frauen war mit nichts anderem beschäftigt, als sämtliche Röhren herauszudrehen und durch Schütteln in Ohrnähe zu hören, welche Röhre defekt ist. Im schlechtesten Fall musste diese Prozedur also 18 000 Mal wiederholt werden! „Eniac selbst konnte nur eines: Flugbahnen für Bomben berechnen. Wie viele technische Errungenschaften, basiert die Computertechnik nicht zuletzt auf militärischer Forschung. Auch das lernt der Besucher hier.
Eine Etage höher streckt ein Junge gerade die Hand aus: „Spürst Du, wie kalt es ist, das ist der Grundstoff für Wafer und somit für Mikrochips“, sagt der Museumsführer. Der Junge berührt gerade ein ziemlich imposantes Exemplar Einkristall-Silizium. Er ist sichtlich beeindruckt. Mikroelektronik zum Anfassen – überhaupt ist die Ausstellung so aufgebaut, dass an vielen Stellen „Be-Greifen“ und vertiefende Informationen an Multimedia-Stationen eine gelungene Aufbereitung ermöglichen. So fesselt man man nicht nur Jugendliche.
„Go west, young man“ – das war einst der Lockruf der echten Goldgräber vor über 150 Jahren in den Vereinigten Staaten – und ist auch das Leitmotto einer kleinen Übersicht über das legendäre Silicon Valley in Kalifornien. Die Aufbruchstimmung der modernen Goldgräber im „Traum-Tal“ spiegelt sich in zahlreichen Anekdoten wider. Und wer weiß schon so genau, dass der Deutsche Andreas von Bechtolsheim 1981 die Idee hatte, eine neue Art Computer zu bauen: Die Workstation. Ein Jahr später gründete er Sun Microsystems Inc. in Mountain View, wenige Jahre später war es bereits ein milliardenschweres Weltunternehmen.
Da blickt mancher sicher ehrfurchtsvoll auf den Schaltplan des ersten Mikroprozessors, Intel 8080, der für die ersten PC verwendet wurde und dem damaligen Schlachtruf „Computer für Alle“ eine neue Dimension verlieh. Das IBM System /360 bzw. /370 war wiederum das Synonym für Datenverarbeitung mit Lochkarten in den 70er Jahren. Der Blick bleibt automatisch auch an nostalgisch anmutenden Geräten wie dem Textcomputer „alphatext 300 P“ haften. Elektronik als Massenware eroberte Anfang der 70er Jahre in Form von Taschenrechnern den Markt. In dem Regal mit den 400 Mini-Rechnern steht ein Stück, dass zwar nicht elektronisch betrieben wird, aber mechanisch ein Meisterwerk ist: der „Friden Wurzelautomat SRW 10“ aus dem Jahr 1952 – die einzige mechanische Rechenmaschine, mit der Wurzelziehen möglich ist. Und im Osten nichts Neues? Doch. Die Inszenierung eines Rechenzentrums dokumentiert 30 Jahre Computergeschichte in Osteuropa. „Eser 1055“ der Dresdner Robotronwerke ist Bestandteil dieser Installation. Es gibt viel zu entdecken und viele mögliche Routen durch das Museum. Ein Rundgang, der die chronologische Entwicklung der Informationstechnologie widerspiegelt, sei aber empfohlen, denn sonst besteht die Gefahr, die vielen wirklichen „Schätzchen“, teils Reproduktionen, teils Originale – die großen Seltenheitswert haben oder einfach faszinierend sind – zu übersehen. In der ersten Etage wird unter der Überschrift „Von der Keilschrift zum Computer“ ein thematischer Orientierungsrahmen geliefert: Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Steuern – Tätigkeiten, die sich wie ein roter Faden durch die Zivilisationsgeschichte der Menschheit ziehen. Wie hat sich Schrift entwickelt, wie sahen die mechanischen Vorläufer unserer Computer aus? Der Rundgang beginnt in der Antike, bei der gibt die Ausstellung einen thematischen Orientierungsrahmen: Rechnen, Schreiben, Zeichnen – diese Kulturtechniken fließen schließlich zusammen in der Entwicklung des Computers.
Das HNF ist aber nicht nur ein Museum. Regelmäßig finden dort Konferenzen und andere Veranstaltungen statt, die sich mit der Informationstechnologie und ihren Auswirkungen auf die Arbeitswelt und den Alltag auseinander setzen. C. HANTROP
Zurück in die Zukunft: Im Computermuseum in Paderborn wandelt der Besucher auf den Spuren einer Entwicklung, die das gesamte Leben verändert hat. Zahlreiche seltene und faszinierende Exponate laden zum Verweilen ein, wie diese nebenstehende Rechenmaschine von Johann Helfrich Müller aus dem Jahr 1784 mit Staffelwalzen als Schaltorgan (Replikat).
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