Internet 22.12.2000, 17:27 Uhr

Der strumpflos glückliche Tausendsassa

Oliver Sinner.

Porsche Cabrio, eigene Yacht, dickes Aktienpaket, Internet-Business? Klarer Fall, es handelt sich um typische Merkmale eines erfolgreichen Jungunternehmers. 38m2-Wohnung, Sozialarbeit, Sonne und Surfen und Segeln? Klarer Fall, es handelt sich… Eben nicht. Es handelt sich um ein und denselben Menschen: Oliver Sinner (32), gemeinsam mit Matthias Schrader Vorstandschef der SinnerSchrader AG und nach seiner Selbsteinschätzung „einer der zufriedensten Unternehmer der Welt“. Und das hat nur bedingt mit Geld zu tun.
Jedenfalls kann der millionenschwere Manager, der für die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Vertrieb, Personal und organisatorische Weiterentwicklung verantwortlich ist, dies im Gespräch glaubhaft vermitteln. „Das Unternehmen“, sagt Sinner, „wird an der Börse zurzeit auf rund 350 Mio. DM taxiert. Aber heute abend, wenn die Leute nach Hause gegangen und die Lichter ausgeknipst sind, dann haben auch die Millionen die Firma verlassen.“
Sinner sagt das nicht einfach so dahin. Er ist fest davon überzeugt, dass das Personal der alles entscheidende Pfeiler ist, auf dem ein Unternehmen ruht. Deshalb ist bei SinnerSchrader vieles anders als in anderen Firmen, offener, lockerer. Das fängt schon bei der Gestaltung des Eingangsbereiches an: Es gibt eine cool gestylte Kaffeebar und eine Sitzecke mit Designer-Sesseln, einen Kickertisch und natürlich auch einen Empfangstresen. Dort wird der Besucher geduzt, doch in dieser Umgebung wirkt das weder ungehobelt noch dreist, sondern normal.
„Ich will, dass meine Leute es nett haben“, sagt Oliver Sinner. Es gibt gesponsortes Muskeltraining in einem benachbarten Fitness-Center, ein Segelboot auf der Alster, diverse Firmen-Sportteams und bei Bedarf Massagen während der Arbeitszeit. Statt der üblichen Weihnachtsfeier mitSchnaps und Stollen charterte der Chef bereits Mitte November eine Boeing 737 und lud sämtliche Mitarbeiter für vier Tage nach Mallorca ein. Es gab guten Grund zu feiern: Das erste Jahr nach dem Börsenstart am 2. November 1999 verlief bestens und die Zeichen stehen weiter auf Expansion. „Wir stellen jede Woche rund 15 neue Leute ein“, berichtet Sinner. Im kommenden Jahr soll die Mitarbeiterzahl auf 500 steigen. Der Umzug in ein größeres Gebäude wird bereits geplant, der Umbau der 7000-m2-Halle ein paar Straßen weiter ist in vollem Gange. Es wird der dritte Ortswechsel des Unternehmens in vier Jahren. Auch privat packt Oliver Sinner demnächst die Umzugskisten. „Schweren Herzens“ gibt er seine 38-m2-Wohnung in Hamburg-Dulsberg auf, einem ganz und gar nicht feinen Stadtteil, in dem er 14 Jahre wohnte. „Mich nervt die Fahrerei durch die Stadt“, begründet er.
Sein neues Domizil, das er gemeinsam mit seiner Freundin beziehen wird, liegt näher bei der Firma. Es ist ein Penthouse auf einem alten Bunker in Eimsbüttel. Natürlich wird die neue Bleibe voll verkabelt, Kühlschrank und Waschmaschine können per Computer gesteuert werden. „Ich lebe das Internet“, sagt Sinner, „ich finde dessen Möglichkeiten total geil“. Wenn er nicht mindestens zwei Mal am Tag seine E-Mails abrufen kann, wird er zappelig.
Sinner sagt, er habe großen Spaß am „business“, es könne ihm oft gar nicht schnell genug gehen und er „habe gerne Probleme“. Klingt das vielleicht ein bisschen zu überdreht? Ein wenig zu sehr nach Dotcom-Klischee? „Nix da“, sagt er und erklärt gleich warum. „Schnelligkeit alleine ist nichts. Es sind vor allem auch Disziplin, Fleiß und Know-how, die den Erfolg ausmachen.“ Die Einstellung, dass nur, wer viel arbeitet, auch viel leistet, hält er für „genau falsch“. Es gebe zwar häufig Arbeitstage von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, doch in der Regel seien ab 20 Uhr die Computer ausgeschaltet. „Und die Wochenenden gönnen wir ohnehin unseren Partnern. Wir sind keine Arbeits-Junkies.“
Einerseits. Andererseits war Oliver Sinners Leben bislang stets davon geprägt, besser und schneller zu sein als die anderen. „Mit 16 wurde mir allmählich klar, dass ich später einmal selbstständig sein wollte.“ Also holte der aus Grömitz an der Ostsee stammende Blondschopf nach dem Haupt- den Realschulabschluss nach, dann das Abitur. Er studierte Jura (kein Abschluss), betreute als Zivildienstleistender und anschließend als Streetworker drogenabhängige Obdachlose, und verdiente sich jahrelang Geld als Lkw-Fahrer in einem Fleischereibetrieb. Weil es bei ihm schneller und reibungsloser lief als bei den Kollegen, übernahm er nach und nach den gesamten Einkauf der Firma. Dann, 1996, traf er auf einer Internetmesse seinen heutigen Partner Matthias Schrader. Der Höhenflug begann – und bescherte Sinner vor wenigen Wochen den Titel „Hamburger Unternehmer des Jahres 2000“.
Die Auszeichnung nahm er ohne Socken entgegen. Seit seinem 14. Lebensjahr pflegt er die Marotte, barfuß im Schuhwerk zu stehen. Die Begründung für den Modegag ist lapidar: „Ich hasse Socken, das ist alles.“ Ein Millionär, der keinen Alkohol trinkt, gerne asiatisch isst und keine Socken trägt? Das gilt zumindest im hanseatisch-konservativen Hamburg als Ereignis. Sein Erfolg und seine positive, zupackende Ausstrahlung haben ihn zu einer Art Economy-Entertainer gemacht. „Es ist interessant, wie ich plötzlich hochstilisiert werde“, sagt Sinner. Sein Terminkalender ist vollgepresst. Vor allem zu Vorträgen wird er immer häufiger gebeten.
Solche Auftritt mag er. Denn die geben ihm die Chance, eine im Grunde schlichte Botschaft zu verbreiten. Oliver Sinners Credo – in Anlehnung an Bill Clintons Wahlkampf-Motto von 1992 („It’s the economy, stupid“ – frei übersetzt – Ihr Dummen, es kommt auf die Wirtschaft an) – lautet so: „It’s the staff, stupid“ – Es kommt auf die Mannschaft an. JÜRGEN PANDER

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