Das Gefühl für Spaß ist Pflicht
Spätestens mit dem kostenlosen Pausenkiller Moorhuhn hat sich die Bochumer Spieleschmiede Phenomedia einen Namen gemacht. Rund 140 Beschäftigte arbeiten zur Zeit am weiteren Wachstum des börsennotierten Unternehmens – die Perspektiven sind gut.
Das Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen lief ganz gut für Christoph Naszko (27), nach acht Semestern war das Diplom nicht mehr weit. „Doch dann habe ich meine große Leidenschaft für Computerspiele entdeckt, und es gab kein Halten mehr. Durch das Zocken habe ich mein Studium immer mehr vernachlässigt,“ berichtet Naszko. Wer jetzt denkt, dies sei ein klarer Fall für die Suchttherapie beim Psychologen, irrt. Der vermeintlich fehlgeleitete Maschinenbauer machte seine Leidenschaft zur Profession und wurde nach einjähriger Ausbildung an der „it-akademie ostwestfalen“ in Gütersloh Game-Designer bei der Phenomedia AG.
Diesen neuen Ausbildungsgang konzipierten die Erfinder des Werbespiels „Moorhuhnjagd“ aus (Bochum-) Wattenscheid zusammen mit den zuständigen IHK, weil es in der gesamten Branche an geeignetem Personal fehlt. Die Bewerber sollten eine Affinität für Spiele zeigen, womit letztendlich auch mehr oder weniger professionelles Vorwissen über Computerspiele gemeint war, erklärt Development Director Lutz Hebel, selbst studierter Mathematiker mit Schwerpunkt Informatik. „Die meisten unserer Mitarbeiter verfügen bereits in jungen Jahren über Berufserfahrung, da sie als Autodidakten früh angefangen haben – unsere Akademikerquote ist allerdings relativ gering“, berichtet er. Das für den Job notwendige Gefühl für Spaß könne man aber eben nicht lernen, das sei eine besondere Begabung. „Unsere Entwickler spielen alle. Sie werden abends immer eine Gruppe finden, die zusammensitzt und spielt. Und das machen die, wenn es sein muss, das ganze Wochenende durch“, ergänzt Hebel.
Spaß muss also sein bei der Phenomedia, die ihren Firmensitz in einem Neubau auf einem dieser Zechenbrachen des Ruhrgebietes unweit des Lohrheidestadions der SG Wattenscheid 09 hat. Deren Clubpräsident Klaus Steilmann sitzt übrigens im Aufsichtsrat des seit Ende 1999 börsennotierten Unternehmens, das für 2001 einen Umsatz von 18,7 Mio. ` und seinen Aktionären ein Geschäftsergebnis vor Zinsen und Steuern von 6,9 Mio. ` in Aussicht stellte. Doch das Geld soll im Unternehmen bleiben und weiteres internationales Wachstum garantieren.
Die Phenomedia entwickelt Produkte und Dienstleistungen im Markt für Unterhaltungs-Software und konzentriert sich dabei auf digitale Spiele, (interaktive) TV-Unterhaltung sowie Musikvermarktung. Töchterunternehmen kümmern sich um die grundlegende Technologieentwicklung, damit die AG insgesamt in der Entwicklung von PC-Spielen und Online-Software auch künftig die Poleposition behält, und Serviceleistungen wie Lokalisation, die Anpassung von ausländischen Computerspielen an deutsche Spielergewohnheiten.
Als am Neuen Markt in Frankfurt/Main geführtes Unternehmen will das Management Kontinuität und Seriosität vorleben, um nicht in den negativen Sog der Berichterstattung über die New Economy zu geraten. „Wir sind schon Teil dieser Medienkultur geworden, aber der arbeitende Teil, nicht diese Schaumkrone, die sich der Selbstdarstellung anheim geben kann“, stellt Firmensprecher Ulf Hausmanns klar. Als Start-up sieht man sich überhaupt nicht, denn das Vorläuferunternehmen, die Department Werbeagentur GmbH, legte bereits Anfang der 90er Jahre mit dem Moorhuhnspiel den Grundstein für den heutigen Erfolg.
Heute sind rund 140 Menschen in Wattenscheid damit beschäftigt, weitere Werbespiele wie „Piggio“, „Nanuk“ oder „Stock-Blaster“ sowie Mid-/Low-Price- und Vollpreisspiele wie Gothic oder die Planer Serie zu entwickeln. „Wir sind zum einen Dienstleister – wir tun das, was andere Leute uns sagen und beraten sie dabei – und auf der anderen Seite sind wir ein bisschen in der Situation, dass wir uns unsere eigene Welt malen können. Schließlich hat Phenomedia Dinge gemacht, die wirklich die Branche verändert haben. Innerhalb von acht Monaten mit dem Moorhuhn aus dem Internet in den Duden zu kommen: Das ist schon was“, berichtet Hausmanns stolz. Das in diesen Tagen zum Download bereitgestellte neue Spiel „Sven Bømwøllen“soll an diesen Erfolg anknüpfen.
Fast von Anfang an dabei ist Lutz Hebel, der bereits an eine wechselvolle Geschichte des Unternehmens zurückdenken kann. Sehr früh kam die Erkenntnis, nicht einfach stehen bleiben zu können, sondern aus der Kernkompetenz heraus neue Geschäftsfelder erschließen zu müssen und dabei gleich den europäischen und den Weltmarkt im Auge zu behalten, weil der deutsche Markt schnell zu eng wird. „Für mich war das Ganze ein sehr dynamischer, fließender Prozess. Auch wenn wir mal in eine Sackgasse liefen, zeichnete uns bis heute immer aus, schnell zu reagieren und Entscheidungen, falls nötig, wieder zu revidieren. Die Dynamik hier ist sehr viel höher als in klassischen Unternehmen, die seit langer Zeit ihre festen Hierarchien haben“, glaubt Hebel.
Strukturen werden sich also bei Phenomedia noch entwickeln, nicht zuletzt angesichts der sehr jungen Belegschaft – darunter ein Drittel Frauen, was immer noch sehr ungewöhnlich ist für ein Softwareunternehmen, auch wenn Ulf Hausmanns diese Tatsache nicht überbewerten will: „Die Frauen haben das Klima sicher verändert, aber weder besonders positiv noch negativ, es ist einfach anders geworden“, stellt er lakonisch fest. Auch die viel beschworene Teamarbeit ergibt sich bei den notwendigen Arbeitsabläufen und dem dazugehörigen Zeitdruck ganz von allein. Selbst Frank Ziemlinski, der sein Moorhuhn-Spiel während einer unfreiwilligen Reiseunterbrechung einsam im Hamburger Hauptbahnhof kreierte, hat inzwischen natürlich Mitarbeiter, die seine Ideen möglichst kongenial umsetzen.
„Für mich gibt es zwei Mentalitäten bei Phenomedia, die eine Brücke bilden von den Anfängen zur heutigen Situation und hoffentlich auch in die Zukunft: das ist zum einen eine sehr große Nüchternheit und zum anderen ein sehr großer Enthusiasmus bei allen Beteiligten“, erläutert Ulf Hausmanns.
Ein Beitrag von: