Als Außenseiter erfolgreich
Seit einem Monat ist der 60-Jährige Louis Gerstner „nur” noch Chairman bei IBM. In seinen neun Jahren als CEO des weltweit größten IT-Unternehmens hat er aus dem taumelden Riesen ein Musterunternehmen gemacht.
Heute gilt IBM als Vorbild in der IT-Industrie. Viele Konkurrenten träumen von einem Umsatz von 86 Mrd. Dollar und einem Gewinn von 7,7 Mrd. Dollar. Doch IBM war nicht immer Klassenprimus. Vor zehn Jahren stand das Unternehmen am Rande des Ruins und der von Krisensitzungen geschüttelte Aufsichtsrat entschied sich damals für ein Konzern-Novum: Mit Louis V. Gerstner Jr. holte man sich erstmals einen Manager auf den Chefsessel, der weder Erfahrungen mit IBM noch mit der Computerindustrie hatte. Gerstners vorherige Stationen waren McKinsey, American Express und der amerikanische Lebensmittelkonzern Nabisco.
Gerstner selbst hielt sich gar nicht für so unerfahren. Zwar hatte er noch nie ein IT-Unternehmen gemanagt, aber er wusste, was große IT-Anwender von ihren Lieferanten verlangen und erwarten können – und das war damals viel wichtiger. „Wir werden das Unternehmen aus Sichtweise des Kunden wieder neu aufbauen“, verkündete er in den ersten Tagen und schickte die Mannschaft nach draußen zu den Kunden. Er selbst ging als gutes Beispiel voran und reiste in seinen neun IBM-Jahren rund zwei Millionen Kilometer.
Zu den weiteren Maßnahmen der ersten Stunde gehörte das Opfer eines IBM-Heiligtums: „Das, was wir jetzt am allerwenigsten brauchen, ist eine Vision“, verkündete er den damals noch über 300 000 Mitarbeitern, denn für Jahrzehnte war IBM mit seinem Motto „Think Big“ der Großvisionär gewesen.
Gerstner war mehr für das Handfeste. Als eine seiner wichtigsten Maßnahmen gilt die Beteiligung des Managements am Unternehmen. 1992 gab es bei der IBM nur für die obersten 300 Topmanager Stockoptionen, heute gibt es sie für über 60 000 Mitarbeiter. Diese Maßnahme diente vor allem dem allgemeinen Kostenbewusstsein, denn das war dringend nötig. IBM hatte in den Jahren, als es den Markt beherrschte, den Gewinn nach eigenem Gutdünken festgesetzt. Kosten spielten keine Rolle, doch jetzt wehte ein anderer Wind. Gerstner musste dringend Personal abbauen, und so reduzierte er bis Ende 1993 die Mitarbeiterzahl um 80 000 auf 220 000. Die damit verbundenen Zahlungen bescherten zwar einen einmaligen Rekordverlust von 8,1 Mrd. Dollar, aber die Entlassungen waren die Grundlage für den Neuanfang.
Zu diesem Neuanfang gehörte unter anderem der Stopp der geplanten „IBM-Föderation“, wie die damals von den Analysten favorisierte Aufsplittung des Konzerns genannt wurde. Aus dem IBM-Konglomerat sollten viele kleine selbstständige Unternehmen ausgegliedert werden, von denen man sich ein schnelleres Reagieren auf Marktveränderungen versprach.
Gerstner selbst nannte das damals einen „Balkanisierungs-Prozess“, bei dem nur die Banken verdient hätten. Viele Investmentbanker hatten schon ihre Fähnchen an die Türen der profitablen Geschäftsbereiche geheftet und Heerscharen von Wirtschaftsprüfern erstellten für Millionen von Dollars Bilanzen über die Spin-off-Kandidaten. Doch Gerstner konterte diese Pläne mit seine eigenen Erfahrungen als Anwender: „Für mich als IBM-Großkunde wäre ein solcher Plan nicht attraktiv gewesen. Im Gegenteil, nur von IBM hätte ich eine vollständig integrierte Lösung erwarten können, bei der alle Komponenten aus einer Hand kommen“, schrieb er damals an den Aufsichtsrat.
Der Stopp der „Atomisierung“, wie Gerstner die Aufspaltung auch nannte, wurde zu seiner erfolgreichsten Geschäftsidee. Er wollte den großen, weltweit operierenden Unternehmen in Zukunft nicht nur Hardware, sondern auch Software, IT-Consulting und allgemeine Unternehmensberatungs-Leistungen verkaufen. Die Hürden dabei waren die eigenen Mitarbeiter und die IBM-Philosophie, denn solche Leistungen sind nur dann verkaufbar, wenn sie objektiv sind, und das heißt, es müssen auch Konkurrenzprodukte zum Einsatz kommen beispielsweise Oracle als Datenbank oder Betriebssoftware vom Erzrivalen Microsoft. Konsequenterweise verkündete Gerstner dann noch, dass IBM-Computer in Zukunft auch für andere Software und Netzwerke offen sein werden.
Ein Aufschrei ging durch das Unternehmen, das immer noch seine Wunden leckte, weil es den PC-Markt an Microsoft verloren hatte. Doch Gerstners Entscheidung war goldrichtig. Mit über 150 000 Mitarbeitern sind „IBMs Global Services“, wie der Geschäftsbereich heute heißt, der erfolgreichste Teil des Unternehmens. Gerstner hat die von ihm eingeleitete Offenheit der IBM-Systeme bis zum Exzess vorangetrieben. Die Krönung war das vor einem Jahr angekündigte Linux-Commitment, in das IBM derzeit eine 1 Mrd. Dollar investiert. Auch hier zeigen sich schon erste Erfolge, denn erstmals seit 1988 stieg im vorigen Jahr der Umsatz mit Großrechnern wieder an.
Darüber hinaus hat er hat sich die nüchterne Betrachtungsweise eines IT-Anwenders bewahrt und war deshalb häufig außerhalb des „Mainstream-Denkens“. Als er 1999 den Wall Street Analysten sagte, dass es keine neue Economy gäbe, erntete er massive Buh-Rufe. Doch das störte ihn wenig, er setzte sogar noch nach: „Diese Dotcoms sind wie flüchtende Tiere, die einem Feuersturm vorauseilen. Das wahre Geschäft im Internet kommt erst noch – und es wird von den bestehenden Großen gemacht werden.“ Wie wahr, wie sich inzwischen herausgestellt hat.
Seine letzten Tage als CEO verbrachte Gerstner genauso wie seine ersten: Er war unterwegs, um Kunden und Niederlassungen zu besuchen. Auf dem Programm standen noch Salt Lake City, London, Stuttgart und München.
HARALD WEISS
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