Mechanische Lüftung, die das Öffnen der Fenster nicht verbietet
Bürobehaglichkeit er- fordert gleichzeitiges Berücksichtigen mehrerer Klimatisierungsmaßnahmen. Möglichkeiten einer entsprechenden konzertierten Aktion untersucht jetzt das Fraunhofer-Institut für Bauphysik.
Vor allem an heißen Sommertagen ist das Raumklima in Bürohäusern ein Thema. Während einige Mitarbeiter kühlende Klimaanlagen generell ablehnen, wehren sich andere gegen Bruthitze und Durchzug. Das Problem: Eine einzige Wahrheit gibt es im Sinne der Behaglichkeit nicht. „Hybride Lüftung“ soll es jetzt möglich machen, im Büroraum mehrere Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen, was die Akzeptanz eines gestalteten Raumklimas erhöhen könnte. Aber nicht nur auf die Temperatur, die Feuchte und die Qualität der Raumluft komme es an, urteilt in Holzkirchen das mit hybrider Lüftung befasste Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Auch die Raumakustik, die Beleuchtung und der Sonnenschutz spielten eine Rolle. Ganz wichtig bleibe die Möglichkeit, Fenster im Büro öffnen zu können. Ein mit Sensor ausgestatteter Dummy testet derzeit im Holzkirchener Labor die entscheidenden Behaglichkeitskriterien.
Im Rahmen des Verbundprojektes „Hybride Lüftung“ der Internationalen Energieagentur (IEA) verknüpft das Fraunhofer-Institut in Holzkirchen erstmals Einzelsysteme logisch miteinander und schaltet sie auf eine Raumautomation auf. Die Einzelelemente: Licht- und Beschattungstechnik, automatisierte Fensterlüftung. Ein Novum: Der Nutzer kann sich sein Wunschklima einstellen. Die Automatik sorgt im Hintergrund weiterhin für die notwendige Sicherheit und minimiert den Energieeinsatz.
Die Ursachen für Klagen über das Raumklima resultierten meist aus der unzureichenden Abstimmung von Licht, Sonnenschutz, Heizung und Kühlung am Arbeitsplatz, urteilt in Holzkirchen Dr. Erhard Meyer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Oft kämen auch noch raumakustische Probleme hinzu. Durch den Trend zu Bauteiltemperiersystemen und dem damit verbundenen Verzicht auf abgehängte Decken habe die „Halligkeit“ in Büros zum Teil „unangenehme Formen angenommen“. Hinzu komme, dass jedes Gewerk bislang seine eigene Regelstrategie verfolge. Gewerkeübergreifende Maßnahmen zur Optimierung des Raumkomforts bei minimalem Energieeinsatz für Raumklima und Beleuchtung seien – so Mayer – bislang eher die Ausnahme.
Das Fraunhofer-Institut hat jetzt in Holzkirchen einen hybrid belüfteten Musterarbeitsplatz eingerichtet. Dieser besteht aus den Einzelkomponenten Klimasegel, Sonnenschutzeinrichtung, automatisiertes Fensterlüftungs- und integriertes Raumautomationssystem.
Das Klimasegel sorgt als abgehängtes Deckenelement mit Heiz-/Kühlfunktion sowie einem in die Decke integrierten Umluftheiz-/Umluftkühlsystem für die schnelle Anpassung der Heiz-/Kühlleistung an den tatsächlichen Bedarf. „In Kombination mit Betonkerntemperierung sind Kühllastdichten bis zu 100 W/m2 Bürofläche beherrschbar,“ versichert Mayer. Ein wichtiger Zusatznutzen des abgehängten Deckensegels sei die Schallabsorption in Gebäuden mit Betonkerntemperierung. Neben der Verbesserung der raumklimatischen Qualität werde die Nachhallzeit verkürzt.
Die Sonnenschutzeinrichtung beinhaltet die Funktionen Hitzeschutz, Blendschutz, Tageslichtversorgung und Sichtverbindung nach außen. Durch die besondere Gestaltung neuartiger Genius-Lamelle ließe sich sowohl die Kühllast mindern als auch der Anteil von Kunstlicht im Innenraum wirkungsvoll senken, betont Mayer. Das sei eine wichtige Voraussetzung für eine wirtschaftliche Klimatisierung. Zudem werde den ergonomischen Anforderungen an moderne Büroarbeitsplätze Rechnung getragen. Eine LonWorks- oder EIB-Schnittstelle erlaube die Einbindung in ein übergeordnetes Raummanagement bzw. die Koppelung mit einem Lichtmanagement.
Das automatisierte Fensterlüftungssystem sorgt für einen kontrollierten, natürlichen Luftaustausch sowie für gezielte Nachtauskühlung. Die Lüftungsfunktion und die Witterungssensorik sind im Fensterantrieb integriert. Dafür gibt es keinen Drehgriff. Ein Antrieb bewegt das Fenster. Die Kommunikation mit der übergeordneten Raum- oder Gebäudeautomation erfolgt über ein Lon Works Gateway. Das integrierte Raumautomationssystem gilt für alle Gewerke.
Damit der Nutzer an der Vielzahl von Einstellungsmöglichkeiten nicht verzweifelt, fasst ein zentrales Raumbediengerät alle Funktionen zusammen. Innerhalb bestimmter Bandbreiten kann man damit sein gewünschtes Raumklima selbst bestimmen.
Zur Absicherung der Behaglichkeitsparameter, wie Raumlufttemperatur, Temperatur des Deckensegels und Luftgeschwindigkeit am Arbeitsplatz, wird eine „künstliche Haut“, ein vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik entwickelter intelligenter Behaglichkeitssensor erprobt. Zum Einsatz kommt für die Langzeitmessungen im IBP-Labor das nach objektiven Kriterien arbeitende Behaglichkeitsmessgerät „Dummy Representing Suit for Simulation of Human Heatloss“ (DRESSMAN).
Nach Beendigung der Testphase unter Laborbedingungen wird das gewerkeübergreifende Raumklimatisierungskonzept „Hybride Lüftung“ am Office Innovation Center Stuttgart (OIC) im Praxisbetrieb über einen Zeitraum von mehreren Monaten getestet.
„Hybride Lüftung“ entstand im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes „Hybrid Ventilation in New and Retrofitted Office Buildings“ der Internationalen Energieagentur (IEA), Annex 35. Dem Konsortium gehören folgende Unternehmen an: Belimo-Automation, Hinwil/Schweiz (kontrollierte, natürliche Lüftung), Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Holzkirchen (Koordination, Behaglichkeitsmessungen, Dauertests), Hüppe-Form-Sonnenschutzsysteme, Oldenburg (Beschattung, Blendschutz, Tageslichtnutzung), Johnson Controls Regelungstechnik, Essen (gewerkeübergreifende Regelung/Integriertes Raumautomationskonzept), LTG, Stuttgart (Raumlufttechnik), Odenwald-Faserplattenwerk, Amorbach (Deckensegel, Raumakustik), Office-Innovation-Center, Stuttgart (Praxiserprobung), Siteco-Beleuchtungstechnik, Traunreut (Lichttechnik). ELMAR WALLERANG
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