Die deutschen Autohersteller sind gut aufgestellt
Die Krise in der Autoindustrie bedeute nicht das Ende des Automobils, sagt Professor Ulrich Jürgens, Automobilexperte am Wissenschaftszentrum Berlin. In Verlagerungen sieht er kein Rezept der Krisenbewältigung. Die Beschäftigten müssten aber damit rechnen, dass Arbeitgeber von Tarifverträgen abweichen wollen. VDI nachrichten, Düsseldorf, 16. 1. 09, has
Jürgens: Es wird an die Existenz einiger Hersteller gehen und sie werden sich mächtig ins Zeug legen müssen, um zu überleben. Weitere Unternehmen werden Staatshilfen bekommen, wenn sie ernsthaft gefährdet sind. Trotz der Krise sehe ich aber nicht das große Sterben bei den Endherstellern.
Aber es gibt weltweit Überkapazitäten.
Dieses Thema begleitet die Industrie seit Langem. Wenn die Nachfrage weltweit in einem so hohen Maße einbricht, dann haben natürlich alle Hersteller Überkapazitäten. Wenn die Konjunktur anzieht, wird sich die Situation wieder nach Herstellern und Produktlinien differenzieren. Überkapazitäten sind nicht das Kernproblem, sondern Ausdruck der Rezession.
Was ist das Kernproblem?
Derzeit überlagern sich mehrere: Der Automobilmarkt wurde in den vergangenen Jahren dank der guten Konjunktur überschwemmt. Jetzt gibt es eine Kreditklemme, die den Autokauf über Kredite unterbrochen hat, dazu kommt der hohe Ölpreis. Diese Einflüsse haben die gesamte Produktpolitik durcheinander gebracht.
Warum sind die US-Hersteller besonders tief in die Krise geraten?
Die Situation ist in den USA besonders schwierig, weil von dort die Kapitalmarktkrise ausgegangen ist. Die Schwäche der US-Hersteller zeigt sich schon seit einiger Zeit darin, dass sie überproportional Marktanteile gegenüber der Konkurrenz aus Japan und Europa verliert. Sie haben auf Produkte gesetzt, von denen man wissen konnte, dass sie auf absehbare Zeit große Probleme haben werden: Spritschlucker und technisch wenig anspruchsvolle Automobile.
Automobile mit hohem Verbrauch gibt es auch von deutschen Herstellern. Sind die Hersteller von Luxusautos zukunftsfähig?
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Die deutschen Premiumhersteller sind jahrelang vom US-Markt gezogen worden, sie haben dort große Gewinne gemacht und haben sich Anregungen geholt für Produkttypen, z. B. für Crossover oder Geländewagen. Auch Toyota hat auf dem US-Markt gepunktet und hat zugleich auch eine ökologische Richtung eingeschlagen. In diese Richtung haben sich die deutschen Premium-Hersteller bewegt, aber noch nicht konsequent genug.
Können die Hersteller von Luxuswagen überleben, wenn der CO2-Ausstoß auf 120 gr/km begrenzt wird?
Man wird sehen müssen, wie diese Regelung im Einzelnen ausgestaltet wird. Es werden auf jeden Fall enorme Anstrengungen nötig sein, damit die Premiumhersteller herunterkommen von ihren hohen Emissionswerten. Die Gefahr, dass etliche ihrer Spritschlucker unverkäuflich bleiben, ist groß.
Gibt es in 20 Jahren noch Luxuswagen?
Es gibt einen großen und möglicherweise auch wachsenden Markt in diesem Segment. Für die Hersteller gilt: Sie haben zwei Optionen. Sie müssen sparsamere Modelle auf den Markt bringen oder sich mit Herstellern von kleineren Fahrzeugen verbünden.
Die Kanzlerin appellierte dieser Tage an deutsche Hersteller, das Auto des 21. Jahrhunderts zu bauen. Werden sie es schaffen?
Gerade in der Autoindustrie kamen wichtige Innovationen aus Deutschland, die auch in die Produktion übergeführt wurden. Dabei dominieren seit Jahren so genannte inkrementale Innovationen, also Neuerungen, bei denen bekannte Komponenten oder Funktionen weiter optimiert werden. Radikale Innovationen haben wir noch vor uns, auch wenn mir die Erwartung auf eine schnelle Einführung oft zu optimistisch erscheint. Aber dass solche Innovationen kommen, daran habe ich keinen Zweifel. Ein Elektroantrieb wäre ein solcher radikaler Schnitt.
Welche Zukunft hat das Automobil?
Es wird eine stärkere Differenzierung geben, z. B. durch Elektrohybridmotoren oder Wasserstoffautos. Die einzelnen Verkehrsträger – Auto, Bahn, Schiff, Flugzeug – werden stärker ineinandergreifen, im Regionalverkehr wird das Automobil einer starken Konkurrenz durch den öffentlichen Nahverkehr ausgesetzt bleiben. Das bedeutet aber nicht das Ende des Automobils, denn die gesamte Verkehrsinfrastruktur ist auf den Individualverkehr angelegt.
Kann das deutsche Produktionsmodell mit seiner Technikorientierung, einem großen Facharbeiterstamm und der Mitbestimmung überleben?
Es ist überlebensfähig, aber es ist kein Selbstläufer, weil es immer wieder unter Druck kommt. Es gibt Chancen, dass die facharbeiterzentrierte Produktionsweise auch unter dem Verlagerungsdruck erhalten bleibt, wenn es gelingt, dass auch in Deutschland mit Kleinfahrzeugen Geld verdient wird.
Rechnen Sie damit, dass es in der Rezession mehr Verlagerungen und Abweichungen von Tarifverträgen geben wird?
Ich rechne nicht mit dramatischen Verlagerungen in nächster Zukunft. Als Mittel der unmittelbaren Anpassung und Krisenbewältigung taugt die Verlagerung nicht. Mit Abweichungen von den Tarifverträgen ist demgegenüber durchaus zu rechnen. Wenn es hart auf hart kommt für einzelne Unternehmen, dann werden sich Parteien zusammensetzen, um über solche Abweichungen zu beraten. Dafür gibt es inzwischen bewährte Verfahren.
Welche Chance geben Sie deutschen Herstellern?
Sie sind gut aufgestellt. Aber der Druck wird steigen. HARTMUT STEIGER
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