Wechselnde Winde stellen Getriebe auf die Probe
Als Graufleckigkeit macht sich seit Jahren ein „Phänomen“ in Getrieben von Windenergieanlagen bemerkbar. Bei der Frage, ob diese Erscheinung ein Schaden ist, gibt es unterschiedliche Ansichten. VDI nachrichten, Düsseldorf, 5. 6. 09, ciu
Windenergie liegt im Trend und mit ihr die Graufleckigkeit, die schon seit Jahren in Getrieben von Windenergieanlagen (WEA) beobachtet wird. Die graue Verfärbung an Oberflächen tritt bei Stirnrädern, Wälzlagern oder Ritzeln in allen Getriebestufen auf. Teilweise lassen sich an den Stellen feinste Risse oder Löcher im Mikrometerbereich feststellen. Als Ursache gilt neben der Auslegung des Getriebes und stark wechselnden Lasten der gesamten Anlage eine unzureichende Schmierung der Arbeitsflanken. Das wiederum führt zu hohen Schubkräften an den Flanken und einer Ermüdung der Oberflächen, die in der Graufleckigkeit sichtbar wird.
Inwieweit die Ermüdungen zwangsweise zu Materialausbrüchen führen und diese das gesamte Getriebe in Mitleidenschaft ziehen, ist unter Experten allerdings strittig. Ein genauer Befund ist nur durch eine Inspektion möglich. „Die Oberflächenermüdung muss nicht unbedingt einen schnellen Getriebeausfall bedeuten. Mit speziellen Schmierstoffadditiven lässt sich das Problem beseitigen“, erläutert Hubert Gregorius. Er ist Vorsitzender des „Arbeitskreises Graufleckigkeit“, den der Bundesverband Windenergie 2007 gegründet hat. „Wir sind dabei, Informationen zusammenzutragen. Leider ziehen Hersteller nicht mit“, ergänzt er.
Die streiten mit Betreibern oder Juristen darüber, ob das Phänomen ein Schaden ist. Schließlich sei Graufleckigkeit so alt wie die Windenergie selbst und es gebe Getriebe, die trotzdem einwandfrei liefen. So mancher Sachverständige sieht in der Graufleckigkeit aber den Anfang vom Ende eines Getriebes. Die Oberflächenermüdung könne in Verbindung mit zu hohen Temperaturen unter anderem zum Verschmelzen der Flanken, zu Materialausbrüchen, gefressenen Verzahnungen und Ausfällen nach Ablauf der Gewährleistung führen.
Für Getriebehersteller ist Graufleckigkeit kein Thema mehr: „Wir haben es im Griff. Verbessert wurden unter anderem die Parallelschleiftechniken an den Verzahnungen und die Oberflächengüte. Außerdem sind neue Schmierstoffe erprobt worden“, erläuterte Detlef Eissing von der Winergy, Voerde. Ähnliches war während der Hannover Messe bei Hansen Transmission, Gevelsberg, oder Jahnel Kestermann, Bochum, zu erfahren.
Mit einem Anteil von 40 % ist Winergy Weltmarktführer und hat bisher rund 50 000 Getriebeeinheiten geliefert. Die Ausfallquote liege deutlich unter 1 %. „Hier sind es Wälzlager, die Probleme bereiten“, berichtet Eissing.
Wettbewerber Eickhoff hat ebenfalls Maßnahmen ergriffen. Hier sind neue Schmierstoffe im Einsatz, wurden Verzahnungskorrekturen vorgenommen und die Güte der Oberflächen verbessert, um die Schmierung zu optimieren. „Unsere Getriebe können inzwischen mehr ab als draufsteht. In der Nennlast zeigen sie ein optimales Verhalten. Das neue Öl wurde zwei Jahre getestet und in allen Getrieben eingesetzt, die Anzeichen von Graufleckigkeit zeigen“, sagte Carsten Sikora vom Service bei Eickhoff.
Für Getriebelieferanten und Hersteller von Windkraftanlagen steht viel auf dem Spiel. Bisher laufen weltweit etwa 85 % der WEA mit Getriebe. Gradmesser für Windkraftanlagenbauer und deren Kunden ist die Zuverlässigkeit der Hauptkomponenten. Die technischen Vorgaben des Germanischen Lloyd (GL) sehen für Getriebe eine Laufzeit von 20 Jahren oder 130 000 Betriebsstunden vor. Ein internationales Expertengremium, an dem auch der GL beteiligt ist, will einen technischen Report zur Graufleckigkeit entwickeln. Das Gremium hatte sich auf den Begriff „Phänomen“ geeignet. Es war sogar eine Norm im Gespräch.
Für den GL, der ebenfalls Materialausbrüche durch Graufleckigkeit festgestellt hatte, sei die Diskussion nicht beendet. Getriebehersteller müssten nachweisen, dass dieses Phänomen nicht mehr auftritt. „Es wird einen internationalen Standard geben, der sich nur auf Graufleckigkeit bezieht“, machte Dr. Karl Steingröver vom GL deutlich. Ebenfalls beteiligt ist der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). „Es sollte in dieser Frage keine Einzellösungen geben. Die Physik ist für alle Hersteller gleich“, erklärt Hans-Günter Heil vom VDMA.
Forschungsbedarf sieht Erwin Bauer vom Allianz-Zentrum für Technik: „Es gibt einen Disput darüber, ob es sich um einen Schönheitsfehler oder einen Schaden handelt. Bisher ist nicht bekannt, wann Graufleckigkeit zu Flankenausbrüchen führt. Die Grenze müssen wir kennen“, so Bauer. Für ihn liegt das Problem in der Konstruktion: „Von dem Fernziel, in jeder Verzahnungsstufe einen gleichmäßigen Schmierfilm zu erreichen, sind wir weit entfernt. Der Wind erzeugt unterschiedliche Leistungen, was zu hohen ungleichmäßigen Belastungen führt. Dabei hat die erste Stufe die geringste Geschwindigkeit. Hier ist es schwierig, eine konstante Schmierung zu halten“, findet er. Reagiert haben die Fördervereinigung Antriebstechnik und die Forschungsstelle Zahnräder und Getriebebau an der TU München mit standardisierten Graufleckentest. Diese sollen es Konstrukteuren ermöglichen, Getriebe so auszulegen, dass keine Graufleckigkeit entsteht.
Zum Thema Zuverlässigkeit von Getrieben zieht der VDMA eine Studie vom Institut für Solare Energiesysteme heran. Darin wurden im bisher weltweit größten Monitoringprogramm 62 000 Wartungs- und Instandsetzungsberichte ausgewertet. Danach standen Getriebe mit 4 % und Antriebsstränge mit 2 % auf dem letzten bzw. vorletzten Platz der Ausfallstatistik. Sie berücksichtigt aber nur WEA mit Leistungen von 30 kW bis 1,5 MW, die bis 1997 errichtet wurden. Inzwischen hat sich Leistung und Getriebe deutlich vergrößert. Der GL kommt bei 2500 selbst durchgeführten Inspektionen an WEA zwischen 100 kW und 3 MW Ende 2008 zum Ergebnis, dass 26 % aller Ausfälle auf Getriebeschäden beruhen. TORSTEN THOMAS
Ein Beitrag von: