Wasserkraft für Anatolien
Im Oktober 2001 soll nach nur 66 Monaten die vierte Staustufe des Euphrats, das Wasserkraftwerk Birecik, fertiggestellt sein. Eine große Herausforderung für das Baukonsortium, das von der Philipp Holzmann AG geleitet wird.
Aus der Höhe sehen die Muldenkipper aus wie emsige Ameisen. Unaufhörlich schleppen sie gewaltige Mengen Felsbrocken und Geröll heran, um sie in den gemächlich fließenden Strom zu kippen. Immer kleiner wird die Lücke für das Wasser des Euphrats. Nach rund 30 Minuten ist die „Show“ der Großraummulden vorbei, die 55 t auf einen Streich transportieren können. Eine Planierraupe schließt den provisorischen Damm, der den wichtigsten kleinasiatischen Fluß in ein neues Bett zwingt. Mit diesem Ereignis hat das türkische Staudamm- und Wasserkraftprojekt Birecik in Südostanatolien einen weiteren wichtigen Bauabschnitt erreicht.
Das Vorhaben Birecik liegt unterhalb des bereits fertiggestellten Atatürk-Dammes und bildet einen Teil des Entwicklungsplanes (GAP, Great Anatolia Program) der türkischen Regierung für diese Region, der Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft, Stromerzeugung und Industrieansiedlungen vorsieht. Nach Keban, Karakaya und Atatürk, die insgesamt schon 5528 MW aus dem Strom schöpfen, ist Birecik die vierte Staustufe am Euphrat-Lauf. Weitere sollen am Tigris errichtet werden. Das künftige Reservoir, nur 30 km von der syrischen Grenze entfernt, hat ein Volumen von 1,22 Mrd. m3 auf 56 km2 und soll 70 000 ha bis 100 000 ha Flächen zur Agrarnutzung erschließen. Geplant ist u. a. der Anbau von Oliven, Pistazien, Baumwolle und Wein.
Bereits 1986 wurde die erste Wirtschaftlichkeitsstudie für Birecik erstellt, doch erst zehn Jahre später erfolgte dann der Baubeginn. Die Finanzierung erfolgt nach dem sogenannten BOT-Modell (Build, Operate and Transfer), das die Planung, Kapitalbeschaffung, Errichtung und das Betreiben von öffentlichen Projekten durch privatwirtschaftliche Gesellschaften vorsieht. Eine entsprechende Gesellschaft bilden in Birecik der türkische Energieversorger Teas sowie alle Projektteilnehmer, allen voran die Philipp Holzmann AG, Frankfurt, die federführend das Ausführungs- und das darin enthaltene Baukonsortium leitet. „Über unsere Tochter, die Philipp Holzmann Anlagen GmbH halten wir 17 % an der Projektgesellschaft, die mit einem Eigenkapital von 327 Mio. Mark ausgestattet ist“, erklärt Heinrich Binder, Vorstandsvorsitzender der Holzmann AG.
Das finanzielle Risiko ist berechenbar, da die Teas den erzeugten Strom zu festgelegten Preisen abnimmt. Auf diese Weise wird das eingesetzte Kapital von insgesamt 2,3 Mrd. DM über einen Zeitraum von 15 Jahren zurückgezahlt und verzinst – danach gehen Staudamm und Kraftwerk in das Eigentum des türkischen Staates über.
Die Errichtung des über 2,5 km langen Bauwerkes erfolgt in zwei Phasen. Zunächst verblieb der Euphrat in seinem alten Bett. Im Schutz eines bogenförmigen Fangedammes wurden der kleinere Erddamm am rechten Ufer sowie die Betonmauer mit Krafthaus und Hochwasserentleerung vorangebracht, wobei die strukturellen Arbeiten in diesem Bereich im wesentlichen abgeschlossen sind. Durch die jetzt erfolgte Umleitung des Euphrats durch das Entlastungsbauwerk und einen weiteren Fangdamm kann nun auch der linksseitige Abschnitt in Angriff genommen werden.
Alle zehn Minuten wird so viel Beton verarbeitet wie für ein Einfamilienhaus Etwa 80 % der Staudammlänge bestehen aus geschüttetem Erdreich mit einer Kerndichtung aus tonig-lehmigen Sanden, die maximale Höhe über Gründung liegt bei 62,5 m. Das Schüttmaterial stammt aus alluvialen Ablagerungen, die in etwa 3,5 km Entfernung auf dem linken Flußufer anstehen. Das notwendige Kernmaterial für die Dichtung wird auf der anderen Flußseite gewonnen. Die zahllosen Transporte für Aushub und Schüttungen übernehmen die „Ameisen“, Großraummulden mit 35 t bzw. 55 t Fassungsvermögen. Zur Überquerung des Euphrats wurde eine temporäre Schwerverkehrsbrücke installiert.Insgesamt müssen gewaltige Massen bewegt werden: 13 Mio. m3 Alluvialsände, eine Mio. m3 Felsmaterial sowie 14 Mio. m3 Baggergut aus dem Fluß. Für die Dammschüttung werden rund 8.5 Mio. m3 dieser Stoffe verbaut. Ein weiterer Teil geht in die Betonproduktion, die sich auf 1,75 Mio. m3 beläuft. „Für die Staumauer haben wir alle zehn Minuten so viel Beton verarbeitet, wie für ein Einfamilienhaus benötigt wird“, macht Wolfgang Ebner, Projektleiter der Bau-Arbeitsgemeinschaft, die Dimensionen deutlich. An diesem Konsortium für die Bauausführung sind neben Holzmann das türkische Unternehmen Gama und die österreichische Strabag beteiligt.Das Kraftwerk verfügt über sechs Turbinenblöcke der Bauart Francis mit vertikaler Achse, deren Leistung jeweils 112 MW beträgt. Den Lieferauftrag teilen sich die Sulzer Hydro, Ravensburg, und GEC Alsthom Neyrpic, Frankreich. Im November 2000 soll Turbine 1 Strom ins Netz liefern, alle zwei Monate dann eine weitere folgen. Die erste Maschine ist bereits weitgehend eingebaut. Derzeit wird gerade die Montage des Generators durchgeführt. Das Wasser wird über Druckleitungen von 8,4 m Durchmesser zugeführt, die Fallhöhe im Entnahmebauwerk beträgt 44,65 m. Je Turbine ist ein Durchfluß von rund 320 m3/s möglich.Für Oktober 2001, nach nur 66monatiger Bauzeit, ist die Gesamtfertigstellung des Projektes geplant. Noch größere Genugtuung empfindet Heinz O. Bade, zuständiger Projekt-Direktor bei Philipp Holzmann, angesichts der Tatsache, daß es auf der riesigen Baustelle bislang keinen schwerwiegenden Arbeitsunfall gegeben hat: „Wenn man bedenkt, daß hier in der Spitze über 2000 Leute tätig waren, ist das wirklich einmalig.“KLAUS JOPPErfolge am Euphrat: Das Wasserkraftwerk Birecik kommt so gut voran, daß nach jetzigem Stand die Bauzeit um ein Quartal verkürzt und auch die Kosten um einige Prozent gesenkt werden können.
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