Kernenergie 26.11.2004, 18:35 Uhr

US-Atommüll: Ab in die Wüste

VDI nachrichten, Denver, 26. 11. 04 – Nicht nur in Deutschland ist die Suche nach einem Endlager für die hochradioaktiven Abfälle der zivilen Kernenergienutzung ins Stocken geraten. In den USA hat ein Bundesgericht den Plan für das Endlager Yucca Mountain in der Wüste von Nevada ins Wanken gebracht. Jetzt hat das US-Energieministerium den für Dezember geplanten Beginn des Genehmigungsverfahrens verschoben.

Es war ein Donnerschlag, der im Juni im Gerichtssaal des für den Distrikt Washington zuständigen Bundesgerichtes ertönte. „Im Energieministerium saßen die mit der Endlagerung von hochradioaktivem Müll befassten Leute mit offenem Mund da“, erinnert sich Lokesh Chaturvedi, Berater im Dienste der US-Regierung. Das Gericht hatte geurteilt, die für die Wahl des Standorts Yucca Mountain zu Grunde gelegte Lebensdauer des Endlagers von 10 000 Jahren sei viel zu kurz.
Stattdessen müssten mehrere Hunderttausend bis zu eine Million Jahre zu Grunde gelegt werden, so das Bundesgericht. „Alles andere basiert nicht auf den Erkenntnissen der Nationalen Akademie der Wissenschaften und ist auch nicht mit ihnen vereinbar“, schrieben die Juristen der Regierung ins Stammbuch. Das Ganze passierte gerade einmal ein halbes Jahr vor dem Termin, an dem eigentlich das Genehmigungsverfahren für das Endlager bei der US-Atomaufsicht NRC beginnen sollte.
Dieser Termin ist jetzt offiziell verschoben worden. Auf einer Routinesitzung von DOE und Atomaufsicht teilte die Chefin des zuständigen DOE-Amtes Margaret Chu am Montag mit, das Ministerium könne die Frist bis 31. Dezember nicht einhalten, die Verzögerung sei aber nicht bedeutend. Derweil bemühen sich die Regierungsvertereter um Haltung. „Wir haben keine Angst vor der Entscheidung, weil wir in unserer Umweltverträglichkeitsprüfung ohnehin mit einer Million Jahre gerechnet haben“, erklärte Abraham van Luik, DOE-Chefberater für das Projekt auf der Jahrestagung der amerikanischen Geologischen Gesellschaft, die jetzt in Denver stattfand. Man müsse dann eben die für die Genehmigung vorbereiteten Unterlagen nur aktualisieren, und das sei kein großes Problem, hieß es von anderen DOE-Mitarbeitern in Denver. „Wir warten jetzt auf die Umweltschutzbehörde, die gegebenenfalls die Anforderungen an das Endlager ändern muss“, erklärte Don Levich, Geologe bei der Yucca Mountain-Projektgesellschaft der US-Regierung in Las Vegas.
Der ohnehin enge Zeitplan gerät durch die veränderte Lage in erhebliche Unordnung. Eigentlich sollten bereits 2010 die ersten von rund 70 000 t Atommüll in der Wüste von Nevada anrollen. Sie stammen hauptsächlich aus den über 100 Kernreaktoren der USA. Noch hält die US-Regierung an dem Termin fest, aber den Zweckoptimismus des Energieministeriums können immer weniger Experten teilen. „Ich habe keine Ahnung, was diese Entscheidung für das Endlager bedeuten wird, weil jetzt erst einmal die Politiker die Gerichtsentscheidung interpretieren und umsetzen müssen“, erklärte John Stamatakos vom Southwest Research Institute (SWRI) im texanischen San Antonio, der sich seit 15 Jahren im Auftrag der NRC mit den Regierungsplänen für Yucca Mountain beschäftigt.
Denn der Standort im Tuffgestein eines alten Vulkangebiets ist alles andere als unumstritten. Nicht nur Umweltaktivisten und die Repräsentanten des betroffenen Staates wehren sich heftig gegen das Lager – auch unter Wissenschaftlern mehren sich die Zweifel. Dabei hat Yucca Mountain durchaus seine Vorteile: Die Gegend gehört zu den trockensten der USA und ist offenbar schon seit dem Ende der letzten Eiszeit eine Wüstenei. Dazu soll das Endlager mehrere Hundert Meter über dem Grundwasserspiegel angelegt werden. Eindringender Regen wird durch eine über dem Endlager liegende Tuffschicht wie ein Schwamm aufgesogen, was dennoch durchdringt, soll durch Abdeckungen von den Containern fern gehalten werden.
Allerdings ist zweifelhaft, ob das Klima über Hunderttausende von Jahren trocken bleibt. Die letzte Eiszeit mit kühlerem und feuchterem Klima liegt gerade 12 000 Jahre zurück. Problematisch ist auch die geologische Situation. Die Gegend ist ein gewaltiges Becken, das durch die Bewegung der umliegenden Platten gedehnt wird, Erdbeben sind hier zu erwarten. An einem Canyon nur 1 km westlich des geplanten Lagers können sich Beben der Magnitude 6,8 auf der Richterskala alle 50 000 bis 90 000 Jahre ereignen.
Auch Vulkane gibt es in der Nachbarschaft, deren Aktivität zwar in den vergangenen Millionen Jahren immer mehr abgenommen hat. Der letzte Ausbruch liegt jedoch erst 80 000 bis 90 000 Jahre zurück. „Erdbeben haben auf Anlagen unter Tage kaum Auswirkungen und die vulkanische Aktivität bewegt sich sogar vom Standort weg“, betont Levich. Für das Lager spräche außerdem, dass es in einem geschlossenen Tuffblock ohne Bruchzonen angelegt werde.
Ganz wohl scheint den Regierungsvertretern bei allem zur Schau getragenen Optimismus dennoch nicht zu sein. In Denver wurde immer wieder betont, dass man in den vergangenen 15 Jahren mit Milliardenaufwand ausschließlich und ganz ergebnisoffen die Eignung des Standorts in der Wüste von Nevada geprüft habe. Was allerdings geschieht, wenn sich dieser letztendlich als nicht geeignet herausstellen sollte, weiß niemand. Philip Justus, Geologe bei der Aufsichtsbehörde NRC: „Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie es bei einem solchen Szenario weitergehen würde.“HOLGER KROKER

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