Energie 28.11.2003, 18:27 Uhr

Um 12 Uhr mittags steigt die Spannung

Der Handel an der Leipziger EEX European Energy Exchange AG bestimmt zunehmend die deutschen Strompreise. Trotz ausgefeilter Computersysteme leisten die Mitarbeiter noch viel Handarbeit, um die Handels-Teilnehmer zu betreuen.

Kunstgeschmiedet und verglast: Mit einem eleganten Aufzug geht es im Städtischen Kaufhaus zur EEX European Energy Exchange AG. In ihrem Handelsraum, wo die deutschen Strompreise entstehen, sitzen Mitarbeiter hoch konzentriert vor Bildschirmen und kontrollieren lange Zahlenreihen. Marktsteuerungs-Leiter Oliver Maibaum hat auf seinen sechs Terminals den perfekten Überblick über alle Handelssysteme. Sein Mitarbeiter Thomas Drescher prüft auf seinen beiden Computern die Gebote der Händler, die sie für die Mittags-Auktion per Internet ins EEX-System geschickt haben, noch einmal auf mögliche Fehler. „Das hat schon so manchem Handels-Teilnehmer viel Geld gerettet.”
In der EEX-Auktion werden Stromlieferungen für den Folgetag gehandelt. Energieversorger, Händler und Großverbraucher kaufen und verkaufen hier Strom, um das eigene Portfolio auszugleichen. Die Preisspanne reicht von Null bis 3000 € je Megawattstunde. Im Extremfall werden tatsächlich 6000 MWh verschenkt, wie am 1. Januar 2003 in Stunde 9: Damals traf sich eine geringe Nachfrage über den Jahreswechsel mit einem großen Angebot an Wind- und Wasserkraft. Einige Händler hatten sich mit zu viel Strom eingedeckt und mussten ihn um jeden Preis loswerden, da sich Elektrizität kaum wirtschaftlich lagern lässt.
Andererseits klettern die Preise bei Stromknappheit aber auch kräftig, wie am 7. Januar 2003, als die Händler in Stunde 19 den bisherigen EEX-Rekordpreis von 1700 €/MWh für eine Strommenge von 5700 MWh zahlten, um ihre Lieferverpflichtungen erfüllen zu können.
Im Handelsraum der EEX steigt bis zur Auktion um 12 Uhr die Spannung: Viele Teilnehmer warten mit ihren Geboten buchstäblich bis fünf vor Zwölf, um noch auf die neuesten Entwicklungen reagieren zu können. Das geht mitunter schief – wenn sie vergessen, die längst erstellten Gebote dann auch ins EEX-System zu schicken. „Wir haben einige Händler schon aus der Kantine geholt”, berichtet Dreschers Kollegin Anja Kurth. Diesmal telefoniert sie vergeblich einem Händler hinterher, der auch bis zum allerletzten Nachzügler-Termin nicht mehr erreichbar ist und damit an der Auktion nicht teilnehmen kann.
Derzeit werden am Spotmarkt der EEX von 99 Teilnehmern aus 13 Ländern durchschnittlich 10 % des deutschen Stromverbrauchs gehandelt. Vorstandsvorsitzender Dr. Hans-Bernd Menzel ist damit schon sehr zufrieden: Er hält maximal einen Anteil von 20 % für erreichbar. Die hier ermittelten Preise sieht er bereits jetzt als europaweit anerkannten Maßstab auch für bilaterale Stromgeschäfte zwischen Unternehmen (genannt OTC – Over The Counter). „Früher haben die Händler einander zuerst die letzten OTC-Preise genannt. Heute orientieren sie sich an den EEX-Preisen.”
Um 12.15 Uhr startet Thomas Drescher die Strompreis-Auktion. Zwei Minuten braucht der Rechner, um die Preise und Mengen zu ermitteln, die dann für die Handels-Teilnehmer verbindlich sind. Schließlich erscheint die Handelsmenge auf dem Bildschirm: 146 189,6 MWh waren es heute, der Preisindex Phelix Base liegt bei 36 €/MWh. Während der Strom in Stunde Vier ganze 18 € kostet, ist er in Stunde 19 mehr als drei Mal soviel wert. In den folgenden zwei Stunden sorgen die Börsen-Mitarbeiter mit dem so genannten Clearing für reibungslose Zahlungsflüsse zwischen den Handelspartnern und erstellen die Fahrpläne, nach denen die gehandelten Strommengen am nächsten Tag durch die Bilanzkreise der vier großen deutschen Netzbetreiber fließen.
Dann wird es langsam spannend für Thoralf Michaelsen und Jens Wartenburger: Sie betreuen den Terminmarkt der EEX, auf dem bis 16 Uhr Strommengen bis zum Jahr 2009 im Voraus gehandelt werden können. Als Maßstab für den täglichen Abrechnungspreis kommen nur Börsenpreise in Frage, die kurz vor Handelsschluss erzielt wurden. „Die Liquidität ist aber noch nicht so hoch, dass wir in dieser Zeit immer Geschäfte haben”, so Michaelsen.
Die EEX muss mitunter zu zwei weiteren Verfahren greifen, um die Preise zu ermitteln: Sie errechnet den Mittelwert zwischen Kauf- und Verkaufsgeboten im elektronischen Orderbuch. Ist auch hier die Faktenlage zu dünn, zieht sie das Chefhändler-Verfahren heran: Um 16.15 Uhr schicken derzeit fünf verschiedene Marktteilnehmer ihre „fairen Preise” an die EEX. Michaelsen und Wartenburger vergleichen dann die Preise der Chefhändler mit dem Orderbuch und fixieren schließlich die Abrechnungspreise für die 40 angebotenen Monats-, Quartals- und Jahreskontrakte.
„Das Chefhändler-Verfahren ist international üblich, wenn die Liquidität nicht für gehandelte Bezahlpreise ausreicht”, erklärt Oliver Maibaum. Dennoch gab es zuletzt harte Vorwürfe des Verbandes der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), der diese Praxis für die steigenden Preise am Terminmarkt verantwortlich machte. Denn mit den hohen EEX-Preisen begründen die Versorger inzwischen die Preissteigerungen gegenüber ihren Kunden. VIK-Vorsitzender Horst Wolf befürchtet dadurch schon 2004 rund 1,5 Mrd. € Strom-Mehrkosten für die Industrie: „Diese Entwicklung lässt sich nicht nur auf fundamentale Daten, wie etwa Angebots- und Nachfrageveränderungen oder Brennstoffkosten, zurückführen”, sagt Wolf. Er hat deshalb bereits Börsenrat, Börsenaufsicht und das Kartellamt aufgefordert, die Marktregeln der EEX zu überprüfen.
Maibaum hält die Vorwürfe für unbegründet: „Jeder Händler kann uns seine Preise schicken und hat damit die Chance, am Chefhändler-Verfahren teilzunehmen. Preisindikationen, die vom Durchschnitt stark abweichen, bleiben von uns unberücksichtigt. Wer die Preise für zu hoch hält, kann doch verkaufen, auf fallende Preise setzen und später zurückkaufen.”
Die EEX selbst versucht mit ihrer Handels-Überwachungsstelle (Hüst), zumindest die technischen Manipulations-Möglichkeiten auszuschließen. Hüst-Leiter Stefan Nießen analysiert in seinem Büro gleich gegenüber dem Handelsraum das tägliche und langfristige Handelsverhalten der Teilnehmer. Meist reicht ein Anruf, um auffällige Vorgänge zu klären. Vom Handel suspendieren musste Nießen noch niemanden – wohl auch ein Erfolg seiner Arbeit: „Meine Funktion liegt weniger im Strafen als im Disziplinieren.”
Für steigende Preise müssen also andere Faktoren verantwortlich sein. Immerhin beherrschen inzwischen die vier größten deutschen Energiekonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe 80 % der deutschen Stromproduktion. Hoffnungsvoll gestartete neue Marktteilnehmer sind weitgehend vom Markt wieder verschwunden – wie Ares, Riva und Best Energy – oder stehen aufgrund hoher Verluste auf dem Prüfstand – wie die EnBW-Tochter Yello. Die Bundesregierung will den eingeschlafenen Wettbewerb nun mit einer Regulierungsbehörde ab Mitte 2004 wieder in Gang bringen.
Darauf hofft auch EEX-Chef Menzel: „Wir können einige Erfahrungen zur Liberalisierung von Energiemärkten beisteuern und freuen uns auf den Dialog mit der neuen Regulierungsbehörde. Grundsätzlich gehen unsere Interessen ja in dieselbe Richtung.”
STEFAN SCHRÖTER

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EEX
Energiebörse für Deutschland und Europa
Im Jahr 2000 waren zunächst zwei deutsche Strombörsen in Leipzig und Frankfurt/Main gestartet, die 2002 schließlich zur EEX European Energy Exchange AG mit Sitz in Leipzig fusionierten. Derzeit werden hier am Spotmarkt Stromlieferungen für den Folgetag und am Terminmarkt Strompreise und -lieferungen für bis zu sechs Jahre im Voraus gehandelt. An beiden Märkten sind insgesamt 113 Teilnehmer aus 13 europäischen Ländern aktiv. Auch das Ausfallrisiko für außerbörsliche Stromgeschäfte kann im so genannten OTC-Clearing über die EEX abgesichert werden. Künftig will die Energiebörse auch einen Handel für Erdgas anbieten. sts

Ein Beitrag von:

  • Stefan Schroeter

    Stefan Schroeter verfasst fachjournalistische Berichte über die Energiewirtschaft.

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