Spezialkabel leiten Strom vom Meer zum Festland
In der deutschen Nordsee entstehen die ersten Offshore-Windparks. Neben der Stromerzeugung ist für den Erfolg der Projekte auch die Fortleitung der Energie von Bedeutung. Moderne Umspannanlagen und Kabeltechnologien sollen dazu beitragen. VDI nachrichten, Düsseldorf, 6. 3. 09, mg
Als vor 150 Jahren die ersten Morsezeichen das transatlantische Seekabel von Europa nach Amerika durchquerten, staunte die Welt. Niemand hätte es damals für möglich gehalten, dass auch gewaltige Energiemengen durch das Meer transportiert werden könnten. Anderthalb Jahrhunderte später ist es so weit: Eine innovative Übertragungstechnologie ermöglicht den Bau von Großkraftwerken weit draußen auf hoher See.
125 km vor der Nordseeküste entsteht derzeit der am weitesten von der Küste entfernte Offshore-Windpark. Im Cluster „Borkum 2“ herrschen für die zunächst 80 geplanten Riesenwindräder – die Spitzen der Rotoren erreichen am Scheitel fast die Höhe des Kölner Doms – bei Windgeschwindigkeiten bis zu 160 km/h beste Bedingungen zur Umwandlung von Windenergie in Strom. Dieses Jahr sollen die ersten zehn bis 20 der 5-MW-Anlagen installiert werden.
Rund 400 MW wird die erste Ausbaustufe des Windpark-Clusters leisten. Die Energiemenge reicht bequem aus, um den Bedarf aller Fabriken, Büros, öffentlichen Einrichtungen und Haushalte einer modernen Industriestadt von der Größe Mannheims zu decken. Technologische Herausforderung von Borkum 2 ist – neben den Windgeneratoren und ihren Gründungsbauwerken in 40 m Wassertiefe – das Durchleiten der Energie zum Festland.
Mit rund 300 Mio. € entfällt ein Viertel der Gesamtkosten des Offshore-Windparks allein auf den Stromtransport. Ausschlaggebend hierfür ist die auf offener See erforderliche Umspannung von Wechselstrom auf Gleichstrom. Der von den Windgeneratoren erzeugte Wechselstrom ist aufgrund hoher Übertragungsverluste in den Wechselstromkabeln für Transporte von mehr als 60 km durch das Meer ungeeignet. Das Umspannen übernimmt eine „Riesensteckdose“, die hoch über der Wasseroberfläche auf einer 35 m x 50 m großen Plattform verankert ist. Hierbei kommt erstmals in einem Offshore-Windpark die von ABB entwickelte Technologie HVDC Light (High Voltage Direct Current) zum Einsatz.
Statt deutlich schwererer Anlagen, die auf Thyristortechnologie beruhen, spannen auf hoher See mehr als 21 Mio. Transistoren den Wechselstrom aus den Generatoren der Windräder auf hochgespannten Gleichstrom um. Die kleinen Halbleiterbauelemente benötigen deutlich weniger Raum als die HVDC-Anlagen, die auf Thyristortechnik beruhen. Angesichts der extremen Verhältnisse an einem Standort mit 40 m Meerestiefe weit draußen in der rauen Nordsee spart der Verzicht auf jede Tonne Gewicht und jeden Kubikmeter umbauten Raum erheblich Kosten. Die HVDC- Light-Technologie ist wesentlich kompakter und damit deutlich wirtschaftlicher als die herkömmlichen, auf Thyristortechnik basierenden HVDC-Anlagen.
Die „leichte“ Transistortechnik bietet noch einen Vorteil, der sie für ihren Einsatz in Windparks weit draußen auf hoher See prädestiniert. Anders als Thyristor-basierte Anlagen, die beim Hochfahren nach einer Flaute eine erhebliche Energieleistung zum erneuten Anlaufen benötigen, sind HVDC-Light-Anlagen „schwarzstartfähig“: Sie können nach einem Stillstand leicht aus dem Stand hochgefahren werden.
Das Umspannwerk ruht 25 m über dem Meeresspiegel auf einem 1500 t schweren Gerüst
Das Hochsee-Umspannwerk ruht 25 m über dem Meeresspiegel auf einem 1500 t schweren Stahlgerüst. Es ist für härteste Belastungen ausgelegt. So türmen Orkanböen die Wellen bis zu 15 m Höhe auf. Sie brechen sich mit ungeheurer Wucht an den Stahlträgern. Von der Riesensteckdose gelangt der hochgespannte Drehstrom durch ein 125 km langes Seekabel zum Festland. Beim Verlegen „pflügt“ eine vom Kabelverlegeschiff zum Meeresboden hinuntergelassene Vorrichtung eine Rinne in den Sand, in die die nur etwa 10 cm durchmessenden Kabel automatisch eingebracht werden. Das Kabel ist umweltschonend mit Kunststoff isoliert.
Jobsuche für Ingenieure
Windparks weit draußen auf offener See werden bald zum gewohnten Bild gehören, sollen die Klimaschutzziele der Europäischen Union erreicht werden. Offshore-Anlagen liegen im weltweiten Trend, Energie weit entfernt von den Ballungsräumen zu gewinnen und mit möglichst geringem Verlusten zum Verbraucher zu bringen. GÜNTER STARK
Der Autor leitet den Fachvertrieb elektrische Netze von ABB.