Rundum versiegelt und fest verschweißt
Vor gut zehn Jahren wurde Deutschlands zweiter Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop stillgelegt. Im „Sicheren Einschluss“ wartet er nun auf seine Demontage. Die soll im Jahr 2019 beginnen – wenn bis dahin ein Endlager gefunden worden ist.
Wenn man´s nicht weiß, kommt man von allein nicht drauf. Direkt neben der A2 Richtung Hannover, Abfahrt Hamm-Uentrop, liegt das Kraftwerksgelände des Dortmunder Energieversorgers VEW. Neben drei Steinkohleblöcken taucht ein weiteres riesiges Gebäude auf. Zwischen zwei Backsteinflachbauten eingepfercht, liegt die etwa 69 m hohe Reaktorhalle, von außen als Ruine nicht identifizierbar. Dieselbe graue geriffelte Metallfassade, ein typischer Industriebau, eine Stromfabrik, die genau wie alleanderen auf dem Gelände aussieht. Die Verpackung ist gleich, nur der Inhalt ist anders.
Beim zweiten Hinsehen wird´s spannend. Ulrich Thomas ist Instandhaltungs-Ingenieur, Mitarbeiter der Hochtemperatur-Kernkraftwerk-Gesellschaft (HKG). Seit zehn Jahren ist er zuständig für die neben dem Schnellen Brüter in Kalkar teuerste Reaktorruhestätte Deutschlands.
Im Inneren des Kugelhaufen-Meilers wirkt alles taufrisch. Riesige Heliumtanks, Kupfer- und Edelstahlleitungen sehen so aus, als wären sie gerade installiert worden. Selbst die Wände haben noch keine Patina angesetzt. Nichts deutet darauf hin, dass unter der riesigen Hallendecke Deutschlands größter Hochtemperatur-Reaktor im politisch verordneten „absolut strahlungssicheren“ Tiefschlaf ruht. „Gefahr geht keine mehr von dem Reaktor aus“, so VEW-Mitarbeiter Thomas.
Knapp 4 Mrd. DM hat der Bau des THTR 300 gekostet. Das langwierige Genehmigungsverfahren führte dazu, dass die Anlage, mit deren Bau 1972 begonnen wurde, nicht 1977, sondern erst 1987 vom Betreiber übernommen werden konnte. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen haben 80 % der Investitionskosten getragen, den Rest die HKG, die Betreiberin des Atommeilers war und auch heute die Ruine abwickelt.
Zur HKG gehören überwiegend kleine regionale Energieversorger und Stadtwerke. Der Dortmunder Stromkonzern VEW ist mit 31% federführend in der Betreibergesellschaft.
Der THTR hat mit einer Mischung von Thorium und Uran in Graphitkugeln gearbeitet – deswegen auch die Bezeichnung „Kugelhaufen-Reaktor“. Das Graphit diente als Moderator, das die Neutronen abgebremst hat, um ihre thermische Energie freizusetzen. Die Wärme wurde durch Helium abgeführt. Die besonderen Eigenschaften des Reaktors bestanden in der hohen Temperaturfestigkeit (bis zu 3000°C) und der Sicherheit, dass sich dieser Meiler bei Störungen automatisch von selbst abschaltet. Die kugelförmigen Brennelemente wurden von oben in den Reaktor hineingeschickt, und die verbrauchten konnten kontinuierlich unten abgezogen werden.
Wegen der hohen Temperaturen, mit denen der Kugelhaufenreaktor im Normalfall arbeitet, ist er besonders gut geeignet für industrielle Prozesse, die mit solchen Temperaturen ablaufen. Dazu zählte damals auch die Kohlevergasung.
Doch daraus wurde nichts. Der „revolutionäre“ Hoffnungsträger der deutschen Kernenergiegemeinde ist auf politischem Weg kaltgestellt worden, das Projekt wurde relativ schnell im Herbst 1989 endgültig zu den Akten gelegt. Das offizielle Ende erwischte den Meiler nach einem langandauernden politischen Streit zwischen Düsseldorf, Bonn und der HKG. Es fehlte am Geld für den Weiterbetrieb, und es gab nach der Schließung der Hanauer Atomfirma Nukem keinen gesicherten Nachschub mehr für die tennisballgroßen Graphitkugeln, die im HTR die nukleare Kettenreaktion in Gang hielten.
Der Thorium-Reaktor mit einer elektrischen Leistung von 300 MW ging nach knapp dreijährigem Betrieb am 29. September 1988 vom Netz, wurde abgeschaltet. Da in dieser kurzen Betriebszeit keine Rücklagen für eine komplette Demontage aus dem Verkauf des Stroms gebildet werden konnten, entschlossen sich die Betreiber, den Meiler nach der Stilllegung in den Zustand „Sicherer Einschluss“ (SE) zu überführen – so eine Art befristete Überwinterung für Kernkraftwerke. Mit dem einen Unterschied,dass der Zeitraum sich nach vorläufiger Planung über 20 bis maximal 30 Jahre erstreckt. Nach einem Vierteljahrhundert ist die Reststrahlung auf 1 % zurückgegangen, und dann kann mit dem Abriss losgelegt werden.
„Damals sollte das Endlager in Gorleben ab dem Jahr 2009 zur Verfügung stehen. Wir hatten also Zeit, um uns später um die endlagergerechte Demontage des THTR zu kümmern“, erinnert sich Rüdiger Bäumer, VEW-Direktor, zuständig für die Anlagentechnik des Stromversorgers.
Die reinen Abbruchkosten waren im Herbst 1989 mit etwa 300 Mio. DM bis 400 Mio. DM kalkuliert worden. Aus der finanziellen Not machten die verantwortlichen VEW-Ingenieure eine technisch praktikable Lösung. In einem ersten Schritt wurden die 690 000 tennisballgroßen Brennelemente aus dem Reaktorkern entfernt und in das Zwischenlager nach Ahaus transportiert. Anschließend musste der sogenannte Abbrandmessreaktor (AMR) abgebaut werden. Der AMR enthielt 3,9 kg hochangereichertes Uran, das in zwei Castor-Behältern gebunkert wurde und schließlich auch in Ahaus landete. Im April 1995 war der Meiler frei von Kernbrennstoffen, damit waren bereits gut 50 % des strahlenden Inventars aus dem Reaktor verschwunden.
Anschließend wurden weitere Stilllegungs-, Abbau- und Verschlussmaßnahmen eingeleitet, dann der Spannbeton-Reaktordruckbehälter verschlossen, der eine Wandstärke von immerhin 5 m hat.
Sicherer Einschluss, das heißt vor allem, sämtliche Kontaktübergänge aus dem „heißen“ Bereich zu kappen. Was das bedeutet, ist im Reaktorgebäude überall zu sehen. Alle Türen sind fein säuberlich zugeschweißt, Griffe fehlen, Kabelstränge baumeln von der Decke, Rohrleitungen sind versiegelt und überall, wo früher eine Zuleitung ins Reaktordruckgefäß existierte, versperren heute Verkapselungen und Deckel den Kontakt nach draußen. „Alles ist hermetisch abgeriegelt“, versichert VEW-Nuklearexperte Günther Dietrich.
Nicht nur die Zuleitungen wurden durchgetrennt, abgeschnitten und dann verstopft und zugeklemmt, auch alle elektrischen Betriebssysteme sind gekappt worden. Über 2000 Rohre, Pumpverbindungen und Kappen sind mit Verschlüssen versiegelt worden. „Der THTR-Reaktorbereich ist jetzt völlig von der Außenwelt isoliert“, so Dietrich.
Verlassenheit kommt auf in den langen Gängen und leeren Hallen: Keiner von den alten Schaltern funktioniert noch, keine von den vergilbten Neonlampen glimmt mehr auf, und selbst der Aufzug, im klassisch schnörkellosen Industriedesign der 70er Jahre gebaut, funktioniert nicht mehr, seitdem der alte Stromkreislauf im Reaktorgebäude unterbrochen ist. „Alles das gehört zum Konzept des sicheren Einschlusses“, meint VEW-Ingenieur Dietrich.
Parallel zum Abtrennen aller nuklearer Nabelschnüre von den alten Betriebs- und Versorgungssystemen, ist unter Dietrichs Regie der Einbau der künftigen technischen Überwachungs- und Kontrolleinheiten erfolgt. Denn zum ausgetüftelten Konzept einer „Sicher Eingeschlossenen Anlage“ (SEA) zählt vor allem der Schutz vor Korrosion, also vor Durchrostung diverser Metallrohre.
Dazu musste für 13 Mio. DM eine neue Belüftungsanlage gebaut werden. Die sorgt für eine regelmäßige Frischluftzufuhr für die nicht kontaminierten Bedienungsräume und für die Einhaltung eines Luftfeuchtigkeitswertes unter 50 % im alten, abgeschlossenen Kontrollbereich. „Damit verhindern wir, dass im versiegelten Bereich Metallteile anfangen zu rosten“, erklärt Dietrich.
Zwischen der Stahlhülle und dem 5 m dicken Spannbetonreaktor-Druckbehälter wird eine dünne Luftschicht auf Unterdruck gefahren. „Luft“, garantiert Dietrich, „kann zwar ins Reaktorinnere gelangen, aber sie kommt ohne Filterung nicht wieder nach draußen“.
Die Luftüberwachung der sicher eingeschlossenen Anlage ermöglicht es dem Betriebspersonal festzustellen, wie viele radioaktive Aerosole sich im Reaktorbereich befinden.Rund um die Uhr läuft die Kontrollüberwachung.
Für die gesamte technische Überwachung und Kontrolle der 4-Mrd.-DM-Ruine werden gerade mal zwei Ingenieure und eine Halbtags-Sekretärin benötigt. „Mehr Leute brauchen wir für die Abwicklung des Reaktors nicht“, erklärt Günther Dietrich.
Knapp 1,5 Mio DM pro Jahr kostet die Überwachung des sicheren Einschlusses mit den zweieinhalb Dauerarbeitsplätzen. Und von Strahlenbelastung ist auch keine Rede mehr: „Wir arbeiten hier außerhalb der Reaktorhülle alle ohne Strahlenpass“, erzählt Abbruchingenieur Dietrich. Die Reststrahlung im nichtkontaminierten Bereich liegt bei 2 Microsievert, die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte von 50 Millisievert pro Jahr wurden während der gesamten Stilllegungsphase nie überschritten.
Wann mit der endgültigen Demontage angefangen wird, hängt vor allem davon ab, wie es in Deutschland mit der Endlagersuche vorangeht. „Noch haben wir genügend Zeit“, so VEW-Direktor Bäumer. „Doch wenn der Reaktor abgebrochen wird, dann müssen von 400 000 t Abruchmaterial fast 7000 t in ein Endlager“.
Das kann dauern. Bis dahin macht Dietrich weiter seine einsamen Runden durch den toten Reaktor.
MICHAEL FRANKEN
Versiegelte Türen, gekappte Leitungen – alles hermetisch abgeriegelt. Günther Dietrich ist einer der wenigen, die sich noch um den eingemotteten THTR kümmern müssen.
Alle Uhren stehen still in den Gängen des ehemaligen Hochtemperatur-Reaktors Warten auf die Endlagerung: das Reaktorgebäude in Hamm-Uentrop. Die Ummantelung des Reaktorblocks. Noch gut 20 Jahre hat sie vor sich, dann dürfte mit dem Abriss des THTR begonnen werden.
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