Regelenergie – eine Idee für den Gasmarkt
Ausgleichsgas soll dort die Funktion der Regelenergie übernehmen, es soll wie ein großer virtueller Gasspeicher fungieren.
Die Liberalisierung des Gasmarktes schreitet voran. Die Essener E.on Ruhrgas will den Erdgashandel an die Börse bringen und somit für mehr Wettbewerb auf dem Gasmarkt sorgen. Zum 1. Oktober eröffnete das Unternehmen ein Internetportal für Stadtwerke und Industriekunden, über das täglich Erdgasmengen mit Lieferung am Folgetag – zunächst im nördlichen Marktgebiet – zum Kauf und Verkauf angeboten werden.
„Wenn man die Ideen der Branchenverbände zum Gasnetzzugang betrachtet, so entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, dass das bestehende Modell aus der Stromwirtschaft komplett übernommen werden soll“, hat Dr. Jörg Strese, Leiter der Energiewirtschaft bei der Steag Saar Energie AG, festgestellt.
Beim Modell des europäischen Verbandes der Verteilerunternehmen Geode braucht man nur Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) mit Marktgebietsverantwortlichen (MGV), Entry mit Bezugsvertrag und Exit mit Netznutzungsvertrag zu übersetzen. Demzufolge müssten sich eigentlich auch Regelenergieauktionen im Strommarkt auf den Gasmarkt übertragen lassen, glaubt Strese. Seine Vision: Den realen Gasspeichern werden virtuelle Gasspeicher gegenübergestellt, die bei Bedarf aus einem Pool spontan abschaltbarer Großfeuerungsanlagen Ausgleichgas produzieren.
Reichlich Erfahrung im Bereich elektrischer Energie konnte Steag Saar Energie mit ihrem virtuellen Regelkraftwerk sammeln, das seit 2003 mit einer Leistung von derzeit 1400 MW in Betrieb ist. 58 kleinere und größere industrielle sowie kommunale Kraftwerke, die über Reservekapazitäten verfügen, werden bei Bedarf zu einem einzigen, virtuellen Kraftwerksblock zusammengeschaltet. 500 MW Leistung kann Steag Saar Energie durch optimale Vernetzung in kürzester Zeit mit dieser Pool-Lösung ans Netz bringen. Erst dadurch, dass die Regelenergie auktioniert wurde, konnte ihr ein Marktwert zugewiesen werden.
Stromverbraucher aus der Industrie können sich jetzt ausrechnen, was es an Produktionsausfall kostet, wenn man die Produktion für einige Stunden einschränkt und stattdessen Regelenergie verkauft. Diese Rechnung ist bei energieintensiven Industrien wie der Aluminium-, Elektrostahl-, Kupfer-, Chlor-, Zink-, Papier-, Zement- und Petrochemie mittlerweile Standard. Heute nehmen fast alle dieser Industrien durch gesteuerte Lastabsenkungen am Regelenergiemarkt insbesondere im Minutenreservemarkt teil.
Strese mag keinen Unterschied darin erkennen, ob man eine Elektrolyse oder eine Großfeuerungsanlage unterbricht. Zudem bestehe für Feuerungsanlagen sogar die Möglichkeit, kurzfristig von Gas auf Öl umzustellen – eine Option, die es im Strom nicht gibt. Auch im Gasbereich sei es lediglich eine triviale Rechenaufgabe, zu überprüfen, was die kurzfristige Umstellung auf einen anderen Brennstoff kostet oder wie teuer eine Produktionsunterbrechung ist und was man im Gegenzug damit am Ausgleichgasmarkt verdienen kann.
Wenn man die Versorgung mit Strom kurzfristig unterbrechen kann, um damit eine Netzsystemdienstleistung zu erbringen, warum sollte dies nicht auch im Gasbereich funktionieren, fragt Strese, der damit eine Diskussion für die Etablierung virtueller Gasspeicher anstoßen möchte. Regel- oder Ausgleichsgas soll nach seinen Vorstellungen stets bei einem Ungleichgewicht zwischen Soll- und Ist-Verbrauch im Netz kursieren. Freilich müsste man im Gasnetz mit längeren Rüstzeiten kalkulieren. Während im Stromnetz elektrische Regelenergie in maximal 15 min ans Netz gebracht werden muss, könnten diese Zeiten im Gasbereich etwas länger sein, weil Gasnetze physikalisch bedingt träger auf Druckschwankungen reagieren und wie ein Puffer wirken.
Für die Anforderungen an Ausgleichgas müssten wie beim Strom noch auktionierbare Regelenergieblöcke definiert werden, schildert Strese. Wobei die Einsatzzeit, also wie lange nach einem Ungleichgewicht Ausgleichsgas zur Verfügung steht, die Einsatzdauer und Einsatzmenge festgelegt werden müssen. „Auch die Gaswirtschaft sollte Ausgleichsgasauktionen einführen, dann haben eventuelle Liebhaberpreise für Regelenergie, wie sie drei Jahre im Strom trotz funktionierenden Netzzugangs vorherrschten, von Beginn an keine Chance“, glaubt Strese.
Aus Sicht industrieller Erdgasverbraucher, wie der Degussa, sind im Gasbereich noch viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Eine symmetrische Preisgestaltung für Abweichungen zwischen Einspeisung und Entnahme analog der Regelenergie beim Strom sowie einen Übergang zu täglicher Bilanzierungsperiode hält man dort für wünschenswert. Doch bis dahin sei es ein langer Weg. Daneben beklagt man bei der Degussa auch die mangelhafte Kooperation der Gas-Netzbetreiber, was die Datenübertragung und Messung anbelangt, nach dem Motto: “ My pipe is my castle.“ EDGAR LANGE
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