Energieversorgung Europas 15.11.2024, 07:56 Uhr

Plädoyer für komplette Wasserstoff-Infrastruktur

Egal ob sich die Maximalerwartungen für den Wasserstoffbedarf in den nächsten Jahrzehnten erfüllen oder weit dahinter zurückbleiben: Europa muss sich darauf intensiv vorbereiten, sagen Fraunhofer-Forschende.

Wasserstoff-Pipeline

Fraunhofer-Forschende haben verschiedene Szenarien durchgespielt, wie sich der Wasserstoff-Bedarf - und damit auch die benötigte Infrastruktur - in Europa entwickeln könnte.

Foto: PantherMedia / phonlamai

Um den Ausbau einer kompletten Wasserstoff-Infrastruktur kommt Europa nicht herum. Selbst wenn der Bedarf 2030 weitaus geringer ist als erwartet werden alle wesentlichen Elemente dieser Infrastruktur, also Elektrolyseure, Transportkorridore und Speicher, in großem Maßstab benötigt. Dass ist das Ergebnis einer umfassenden Studie zur notwendigen europäischen Wasserstoffstrategie, die Forscher des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe im Rahmen des Exzellenzclusters „Integrierte Energiesysteme“ (CINES) vorgelegt haben.

Robuste Aussagen bauen Hemmnisse ab

Die Studie simuliert für das europäische Energiesystem fünf verschiedene Entwicklungspfade und leitet daraus jeweils den Bedarf an Wasserstoff und seinen Derivaten ab. Unter der Annahme, dass das jeweils kostenoptimale Energiesystem umgesetzt wird, errechneten die Forscher daraus, welcher Umfang an Wasserstoffinfrastruktur in den Jahren 2030 sowie 2050 erforderlich sein wird, um den jeweiligen Bedarf zu decken. „Ein Hemmnis für viele Wasserstoffstrategien und Investitionen in die entsprechenden Technologien waren bisher die großen Unsicherheiten darüber, ob und in welchem Umfang die Infrastruktur überhaupt benötigt wird,“, so Tobias Fleiter, leitender Autor der Studie und Chef der CINES-Dimension Energiesystemanalyse. „Mit unserer Forschung haben wir nun erstmals eine robuste Aussage über den Infrastrukturbedarf in Gesamteuropa gemacht.“

In Szenario 1 geht es um neue globale Wertschöpfungsketten. Foto: Fraunhofer CINES

In Szenario 1 geht es um neue globale Wertschöpfungsketten.

Foto: Fraunhofer CINES

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Spannweite von 700 bis 2800 Terawattstunden

Im Minimalszenario liegt Europas Wasserstoffbedarf im Jahr 2050 bei 700 Terawattstunden (TWh). Das umfasst den „robust erwartbaren“ Wasserstoffverbrauch für die ansonsten nur schwer elektrifizierbaren Anteile der industriellen Prozesswärme, Kraftwerke, Fernwärme und des innereuropäischen Flugverkehrs. Im Maximalszenario steigt der Bedarf auf bis zu 2800 TWh. Wichtigster Grund für die große Spannbreite sind die großen Unsicherheiten in Bezug auf den künftigen Wasserstoffverbrauch als Grundstoff für die chemische Industrie.

Geographisch werden sich nach Einschätzung der Forscher Schwerpunkte um die Chemie- und Stahlindustrien in Nordwesteuropa, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Flandern/Belgien, entwickeln.

In Szenario 2 liegt der Fokus auf der Stahl- und Chemieindustrie. Foto: Fraunhofer CINES

In Szenario 2 liegt der Fokus auf der Stahl- und Chemieindustrie.

Foto: Fraunhofer CINES

Importbedarf soll bei nur zehn Prozent liegen

Erstaunlich ist die Einschätzung, dass der prognostizierte Bedarf weitgehend aus europäischer Wasserstoffproduktion gedeckt werden kann. Dabei sind Importe aus Namibia, Chile, Australien und anderen sonnen- und windreichen Regionen längst angedacht und teilweise schon auf den Weg gebracht. Doch Importe machten, so Fleiter, selbst im Maximalszenario lediglich etwa zehn Prozent des Gesamtbedarfs aus.

„Unter der Annahme, dass das Energiesystem annähernd kostenoptimal ausgebaut wird, bleibt in Europa hergestellter, grüner Wasserstoff mehr als konkurrenzfähig gegenüber Importen,“ so Fleiter. Die zusätzlichen Kosten für den Transport aus Nordafrika und dem mittleren Osten (und erst recht aus noch weiter entfernten Ländern) glichen die niedrigen Gestehungskosten dort wieder aus.

Im Szenario 4 wurde der Fokus auf Wasserstoff in den Sektoren Industrie und Verkehr gelegt. Foto: Fraunhofer CINES

Im Szenario 4 wurde der Fokus auf Wasserstoff in den Sektoren Industrie und Verkehr gelegt.

Foto: Fraunhofer CINES

Wasserstoff hängt zunächst an der Windenergie

Die in Europa benötigte Elektrolyseleistung bewegt sich je nach Szenario zwischen 54 und 107 Gigawatt (GW) im Jahr 2030 sowie 300 und 1067 GW im Jahr 2050. Die Standorte der Elektrolyseure sehen die Fraunhofer-Forschende vor allem dort, wo der Wind kräftig und stetig weht, allen voran an den Küsten der Britischen Inseln, Norwegens, Nordwestdeutschlands und Frankreichs. Längerfristig kommen die sonnenreichen Standorte in Südeuropa hinzu, hier insbesondere auf der Iberischen Halbinsel, dem Balkan und in Italien.

In Szenario 5 wurden alle Sektoren zusammengefasst. Foto: Fraunhofer CINES

In Szenario 5 wurden alle Sektoren zusammengefasst.

Foto: Fraunhofer CINES

Umfangreiche Wasserstofftransporte

Weiterhin zeigt sich in allen Szenarien der Studie, dass die Vor-Ort-Elektrolyse an den günstigen Solar- und Windstandorten die kosteneffizientere Variante gegenüber der Elektrolyse in der Nähe von großen industriellen Abnehmern darstellt. Energie in Form von Wasserstoff lasse sich kostengünstiger über größere Entfernungen transportieren als Strom. Dazu ist der großzügige Ausbau des heute noch rudimentären Wasserstoff-Pipelinenetzes nötig. Die wichtigsten Transportkorridore müssten zwischen den Britischen Inseln sowie Norwegen und dem Nordwesten Kontinentaleuropas geschaffen werden. Frankreich würde zum Umschlagplatz für Wasserstoff aus Spanien und Portugal.

Umbau von Erdgasspeichern

Für den saisonalen und wetterbedingten Ausgleich von Wasserstofferzeugung und -verbrauch sind im Jahr 2050 Wasserstoffspeicher mit einer europaweiten Kapazität von 215 bis 300 TWh nötig. Würden alle heute bestehenden Erdgasspeicher für Wasserstoff konvertiert, kämen diese auf eine Kapazität von 225 TWh. „Den Umbau unserer Erdgasspeicher können wir also in jedem Falle als robustes Element in unsere Transformationsstrategien einplanen,“ so Fleiter.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Kempkens

    Wolfgang Kempkens studierte an der RWTH Aachen Elektrotechnik und schloss mit dem Diplom ab. Er arbeitete bei einer Tageszeitung und einem Magazin, ehe er sich als freier Journalist etablierte. Er beschäftigt sich vor allem mit Umwelt-, Energie- und Technikthemen.

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