Energie 20.10.2000, 17:27 Uhr

Nur alle Energieträger gemeinsam decken den steigenden Bedarf

Der weltweite Energiebedarf und die CO2-Emissionen werden nach allen Prognosen steigen. Daher seien die erneuerbaren Energien zu fördern, rationelle Energienutzung zu unterstützen und auf den Kernenergieeinsatz dürfe nicht verzichtet werden, wie der Energiewissenschaftler Hermann-Josef Wagner nachfolgend erläutert.

Die Umwelt- und die Klimapolitik stellen das Bild einer nachhaltigen Entwicklung der Energieversorgung und Energieanwendung als Zielgröße auf. Obwohl vielfach versucht wird, Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung aufzustellen, fehlen bis heute jedoch Beurteilungsmaßstäbe, die detailliert genug sind, um auch einzelne Techniken bewerten zu können.
Im Helsinki- und Sofia-Protokoll wurde die Emissionsminderung durch Reduzierung der Luftschadstoffe SO2 und NOX europaweit vereinbart. Die einzelnen Staaten verpflichteten sich, entsprechende Minderungsziele zu erreichen.
Neben den Umweltzielen zur Reduzierung von Luftschadstoffen verfolgen die Länder weltweit in unterschiedlichem Maße die vereinbarten Klimaschutzziele. Das Kyoto-Protokoll sieht eine Reduzierung der Treibhausgase vor vereinbarte Werte sollen von den einzelnen Unterzeichnerstaaten, mit unterschiedlichen Verpflichtungen, im Zeitraum von 2008 bis 2012 bereits erreicht werden. Weltweit soll eine Minderung von gut 5 % erfolgen, die EU-Staaten avisieren 8 %, das sind etwa 270 Mio. t CO2 pro Jahr. Innerhalb der EU hat Deutschland mit seiner nationalen Verpflichtung von 21 % die Hauptlast übernommen. Noch sind die Vereinbarungen nicht ratifiziert.
Wahrscheinlich ist, dass nach der nächsten Vertragsstaaten-Folgekonferenz eine Ratifizierung bevorsteht und die Werte rechtlich verpflichtend werden. Dann müssen auch Sanktionsmechanismen, zum Beispiel zwischen den EU-Staaten, eingeführt werden für den Fall, dass vereinbarte Minderungsziele nicht erreicht werden. In der Schweiz existiert bereits eine gesetzliche Grundlage, ab dem Jahre 2004 eine CO2-Abgabe für zu hohe Emissionen zu erheben. Angestrebt wird ein Handel mit CO2-Emissionsrechten. Skepsis bezüglich der gesteckten Ziele wird durch den gegenwärtigen Anstieg der CO2-Emissionen in der EU gestützt.
Die Weltbevölkerung steigt jährlich mit etwa 80 Mio. Menschen an. Szenarien besagen, dass die 6 Mrd. Menschen auf der Welt auf mindestens 8 Mrd. anwachsen werden und eine Stabilisierung zwischen 10 Mrd. und 11 Mrd. Menschen wahrscheinlich ist.
Rund 12 Mrd. t Steinkohleeinheiten beträgt der Weltprimärenergieverbrauch. Davon nehmen 60 % die Industrieländer für sich in Anspruch, während immer noch 1,6 Mrd. Menschen ohne Zugang zu kommerzieller Energie sind und Holz, Kuhdung und dergleichen nutzen. Die erneuerbaren Energien tragen bereits mit 16 % an der Deckung des Weltenergiebedarfs bei. Letztere Zahl setzt sich zusammen aus 10 % Holz und tierischen Abfällen, 4 % Wasserkraft und 2 % Sonnenenergie.
Man fragt sich, wie die weltweiten Entwicklungen weitergehen. Ein wenig Aufschluss kann vielleicht die Analyse verschiedener Weltenergieszenarien, wie zum Beispiel das zuletzt veröffentlichte des Welt Energy Councils, geben. Wertet man die seit 1987 erstellten Szenarien aus, so lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Die eine Gruppe verfolgt als Philosophie, auszurechnen, wie sich die Welt ohne große Eingriffe – quasi als Laissez-faire-Entwicklung – zukünftig darstellen würde. Heraus kommt bei allen ein Ansteigen des zukünftigen Weltenergieverbrauchs um bis zu 40 % im Jahre 2020. In entsprechendem Maße steigen auch die heute rund 24 Mrd. t CO2-Emissionen an. Trotz Nutzung erneuerbarer Energien und weiterer Nutzung der Kernenergie bleiben die fossilen Energieträger in diesen Szenarien mit fast 80 % Anteil die bestimmenden Energieträger.
Andere Szenarien verfolgen von der Philosophie her das Ziel eines geringeren Anstieges des Primärenergieverbrauchs und einer deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen. Außer in zwei dieser Szenarien wird bis zum Jahre 2020 trotzdem eine Zunahme des Primärenergieverbrauchs um etwa 20 % erwartet, wobei die CO2-Emissionen auf dem heutigen Niveau, bzw. etwas darunter, gehalten werden könnten. Erneuerbaren Energien werden in diesen Betrachtungen Anteile bis zu 30 %, also rund eine Verdoppelung gegenüber heute, zugesprochen.
Gemeinsam ist allen Szenarien, dass die Autoren von einem zukünftigen Energiemix weltweit ausgehen, der aus erneuerbaren Energien, Kernenergie und insbesondere fossilen Energieträgern besteht.
Vor dem Hintergrund dieser weltweiten Trends erscheint Deutschland – trotz seiner wirtschaftlichen Kraft – als ein Local Player. Zur Realisierung der von der Bundesrepublik verfolgten Klimagasreduzierung wurden Reduktionsziele für die einzelnen Bereiche der Energiewirtschaft festgelegt. Nun gilt es, sie umzusetzen. Parallel dazu wird der Ausstieg aus der Kernenergie verfolgt. Dabei wurden von politischer Seite bisher keine Wege benannt, wie die durch Kernenergienutzung vermiedenen rd. 120 Mio. t CO2 längerfristig aufgefangen werden sollen. Der deutschen Politik kommt entgegen, dass zum Zeitpunkt des Kyoto-Zieles, dem Jahr 2010, noch kein nennenswerter Ausstieg aus der Kernenergie erfolgt sein wird. Vergeblich sucht man nach einem Energiekonzept, das die Realisierung der Minderungsziele über diesen Zeitpunkt hinaus ermöglicht.
Die Reinhaltung der Luft erfolgt durch emissionsarme Verbrennungstechniken in Verbindung mit effizienten Rückhaltemaßnahmen. Vergleichbares ist für die CO2-Minderung nicht möglich. Für die Höhe der Emissionen zählen hier nur der absolute Verbrauch und die chemische Zusammensetzung der verbrannten Energieträger. Die Deckung eines steigenden Weltenergiebedarfes, verbunden mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Klimagasemissionen ist nur bei Nutzung aller Energieträger und bei effizienterer Energienutzung erreichbar.
Für einzelne Länder ist der Ausstieg aus der Kernenergie und die begrenzte Realisierung von Emissionsminderungen im eigenen Lande vorstellbar, sofern längere Zeiträume, erhöhte Investitionen, staatliche Lenkungsmaßnahmen und ein verstärkter Rückgriff insbesondere auf Erdgas in Kauf genommen werden.
Ein Verzicht auf die Nutzung der Kernenergie hat unter dem Aspekt der weltweiten Nachhaltigkeit keinen Bestand. Zu den Nachhaltigkeitskriterien zählt auch der soziale Ausgleich zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern. Angesichts der globalen Gesamtlage beim Energiebedarf und den ökologischen Anpassungsnotwendigkeiten ist es angebracht, erneuerbare Energien zu fördern, rationelle Energienutzung zu unterstützen und auf den Kernenergieeinsatz nicht zu verzichten. Nur so kann der auf Jahre noch dominierende Anteil fossiler Energieträger vermindert werden.
Deshalb plädiert die beim ersten Weltingenieurtag anlässlich der Expo 2000 verabschiedete „World Engineers Convention“ auch ausdrücklich für alle Optionen zur sparsamen Verwendung von Energie und für die Nutzung aller Energieträger.
Es gilt angesichts der zum Teil Besorgnis erregenden Entwicklungen in der Welt, nicht nationale Scheuklappen aufzusetzen, sondern mit allen Optionen zu versuchen, der Probleme Herr zu werden. HERMANN-JOSEF WAGNER

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